Das ist mal ein Nagel mit Kopf, den die alten Neukoalitionäre in Berlin gemacht haben: 65 Prozent erneuerbare Energien bis 2030. Nicht schlecht, wollte man den Politikern von Union und SPD zurufen. Doch schon beim Blick nach Österreich bleibt einem dieser Zuruf im Halse stecken. Denn die neue Regierung in Wien kleckert nicht, sie will klotzen und im gleichen Zeitraum die Energiewende abschließen. Doch für Deutschland ist schon das 65-Prozent-Ziel ambitioniert. Muss es auch, will man das Ziel der Dekarbonisierung der Energiewirtschaft bis 2050 schaffen, wie es der Klimaschutzplan der alten GroKo vorsieht.
Denn blickt man auf den Stromsektor, liegt der Anteil der Erneuerbaren derzeit – also im Jahr 2017 – bei 33,1 Prozent. Im Vergleich zum Jahr 2016 ist das ein Anstieg um 4,1 Prozent. Geht es in diesem Tempo weiter, landet Deutschland im Jahr 2030 bei einem Anteil von 55,1 Prozent. Irgendwie fehlen da noch zehn Prozent bis zum Ziel. Und das ist nur der Stromsektor und dieser Anteil wird nur erreicht, wenn der Stromverbrauch nicht zunimmt. Blickt man aber auf die gesamte Energieversorgung und die Umstellung dieser auf Erneuerbare, wird man um einen steigenden Anteil des Stromsektors nicht herumkommen. „Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss deutlich erhöht werden, auch um den zusätzlichen Strombedarf zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr, in Gebäuden und in der Industrie zu decken”, wissen auch die neuen Koalitionäre in Berlin.
Die Forderungen sind bekannt
Dann müssen sie aber nicht nur eine, sondern gleich mehrere Schippen drauflegen, damit dieser steigende Anteil des Stroms im gesamten Energiesystem auch noch abgefangen werden kann. Da wird sie mit den vorgesehenen Sonderausschreibungen von acht Gigawatt für Photovoltaik und Onshore-Windkraft nicht allzu weit kommen. Das wird der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein sein.
Da muss die Bundesregierung mehr tun. Das wichtigste ist, die adminstrativen und regulatorischen Hürden abzubauen. Keine Bestrafung von Eigenverbrauch, Zulassung der direkten Belieferung von Kunden mit Solarstrom in unmittelbarer Nähe der Erzeugungsanlage, Zulassung des Zubaus von Anlagen ohne Restriktionen – die Liste der Vorschläge ist lang und hinlänglich bekannt.
Immerhin stehen im Koalitionsvertrag einige Vorschläge drin, die ein Umdenken andeuten. So solle die Mieterstromregelung optimiert werden, was auch immer das heißen möge. Zumindest will sich die Bundesregierung der genossenschaftlichen Vermieter annehmen, die in Zukunft ihre steuerlichen Vorteile behalten dürfen, auch wenn sie mit dem Stromverkauf an die Mieter ein neues Standbein schaffen. Diese Forderung erheben die Solar- und die Immobilienbranche schon lange. Jetzt ist man die Bremse in dieser Angelegenheit losgeworden. Denn Wolfgang Schäuble als Finanzminister hat dieses Ansinnen abgelehnt. In dieser Hinsicht kann er als Bundestagspräsident wenigstens keinen weiteren Schaden mehr anrichten.
Neuen Vermarktungskonzepten den Weg ebnen
Es stehen noch weitere Ideen im Koalitionsvertrag, die Hoffnungen machen, dass der ganze großkoalitionäre Tross zwar immer noch schwerfällig, aber zumindest in eine richtige Richtung umschwenkt. Die Stadtwerke sollen die Schlüsselposition in der Sektorkopplung übernehmen, die unterschiedliche Belastung von gespeicherter Energie soll geprüft und vereinheitlicht werden – hoffen wir mal, dass damit die Belastung von Stromspeichern mit der doppelten EEG-Umlage endlich erledigen wird – und die stärkere Beteiligung der Standortgemeinden an der Wertschöpfung von Erneuerbare-Energien-Anlagen sind nicht zu verachten. Aufhorchen lässt vor allem die Idee, intelligente Vermarktungsmodelle zu fördern. Das solle zwar über mehr Marktorientierung aber immerhin mit mehr Speichern geschehen. Doch ob hier das Tor für Konzepte wie Stromlieferverträge, die in anderen Ländern schon längst Gang und Gäbe sind, oder andere Direktbelieferungsmodelle geöffnet wird, darüber verrät der Koalitionsvertrag nichts.
Eine neue GroKo wird sich daran messen lassen müssen, wie sie diese Ziele tatsächlich umsetzt. Ob sie das schafft, wird sich zeigen. Denn noch immer verharren die Koalitionsparteien starr im alten Energiesystem, das mit zentralen Erzeugungsanlagen und vor allem mit viel Netz aufrecht erhalten wurde. So wird es auch bleiben. Geht es nach dem Willen von Union und SPD, werden die Netzbetreiber das Ausbautempo bestimmen. Auch wenn die beiden künftigen Koalitionspartner das Netzausbaubeschleunigungsgesetz novellieren wollen – was noch lange kein Garant ist, dass da die fortschrittlichen Gedanken Eingang finden – und den Ausbau von Speichertechnolgien vorantreiben wollen, vergessen sie eins immer wieder: Die Energiewende ist ein Projekt hin zur dezentralen Versorgung. Unter dieser Prämisse wird eine Formulierung wie: „Eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende und Klimaschutzpolitik ist ein weiterer zielstrebiger, effizienter, netzsynchroner und zunehmend marktorientierter Ausbau der Erneuerbaren Energien” mehr eine verbale Nebelkerze als ein vernünftiger Vorschlag.
Reform des Marktdesigns fehlt
Effizient kann es die künftige Bundesregierung haben. Denn sowohl Windkraft als auch Photovoltaik sind längst komplett ohne Förderung wettbewerbsfähig, wenn die Schäden der Kohleverstromung endlich mit eingepreist würden. Denn dann steigt der Börsenstrompreis, für den der Ökostrom verkauft wird. Dann brauchen die Anlagenbetreiber keine Marktprämie mehr, weil sie mit dem Stromverkauf ihre Anlagen auch finanzieren könne, dann geht der Ausbau der Erneuerbaren von ganz allein marktorientiert. Doch der künstlich niedrige Preis an der Strombörse führt dazu, dass immer noch Marktprämien notwendig sind. Ganz davon abgesehen, dass die Koalitionspartner eine dringend notwendige Reform des Strommarktdesigns immer noch nicht ernst nehmen. Doch neben den anderen guten Ansätzen ist dies unter anderem notwendig, um eine beschleunigte Energiewende ins „energiepolitische Zieldreieck von Versorgungssicherheit, verlässlicher Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit” zu katapultieren. (Sven Ullrich)