Tilman Weber
Die für die deutschen Stadtwerke weitreichendste Novelle der vergangenen Wochen könnte die Reform des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (Nabeg 2.0) von Anfang April gewesen sein. Der Bundestag stimmte in der ersten Monatswoche dem darin vereinbarten vereinfachten Planungsrecht zum Bau neuer Höchstspannungstrassen zu, sogenannter Stromautobahnen. Sie sollen regional konzentrierten Wind- oder Solarstrom schnell in andere Verbrauchsregionen transportieren. Doch zusätzlich reformiert das Nabeg 2.0 auch das Zugriffsrecht von Netzbetreibern auf dezentrale Erneuerbare-Energien-Anlagen sowie auf Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, um in Notfällen leichter das Gleichgewicht zwischen schwankendem Verbrauch und wetterabhängig unregelmäßiger Grünstromeinspeisung wieder herzustellen. Künftig sollen nicht mehr nur größere konventionelle Kraftwerke an den Höchstspannungs-Fernleitungen sondern auch kleinere dezentrale Stromerzeuger an den Verteilnetzen in dieses sogenannte Redispatch einbezogen sein. Und die Stadtwerke dürfen als Verteilnetzbetreiber die damit verbundene An- und Abschaltung der dezentralen Stromerzeuger selbst in die Hand nehmen.
Die Regelung begrüßt der Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Der Stadtwerkeverband hatte zu Jahresbeginn noch Alarm geschlagen, weil das für Energie zuständige Wirtschaftsministerium zuerst die Übertragungsnetzbetreiber mit den Redispatch-Eingriffen in die Verteilnetze beauftragen wollte. Jetzt ist die Hoheit aus Sicht der Stadtwerke über die Verteilnetze wieder hergestellt. Die kommunalen Versorger erhalten damit sogar die Chance, „verstärkt Systemverantwortung übernehmen (zu) können“, wie der VKU lobt. Möglicherweise könnte dies das Geschäftsmodell als Verteilnetzbetreiber ausweiten und stützen. Allerdings müssen die Verteilnetzebetreiber ihre Maßnahmen laut Nabeg 2.0 mit den Übertragungsnetzbetreibern abstimmen.
Auch die Elektro-Kleinstfahrzeugeverordnung vom 3. April ist nach dem Geschmack des VKU. Darin regelt die Bundesregierung, wie Tretroller und ähnliche bisher auf Gehwegen nutzbare Fahrzeuge wie etwa auch Skateboards mit elektrischen Antrieben fahren dürfen. Mit bis zu zwölf Stundenkilometer schnellen Fahrzeugen dürfen Nutzer solcher E-Scooter künftig auf dem Gehweg unterwegs sein. Etwas schnellere E-Scooter mit bis zu 20 Kilometern pro Stunde Fahrtempo sind zudem noch auf dem Radweg erlaubt.
„Die Verordnung ist ein wichtiger Beitrag zur Förderung der Elektromobilität, für die Stadtwerke mit ihren Verteilnetzen und Ladesäulen die notwendige Infrastruktur bereitstellen“, lobt hierzu der VKU. So spielt der Versorgerverband auf Hoffnungen der Stadtwerke an, bei der Elektromobilität als Infrastrukturversorger ins Geschäft zu kommen, der nicht zuletzt Ladesäulen ausbaut oder leasen lässt: „Der klare Rechtsrahmen gibt Investitionssicherheit, einen Handlungsrahmen und definiert die Sicherheitskriterien. So wird eine zusätzliche Option für Stadtwerke eröffnet, moderne Mobilitätslösungen anzubieten.“ Ein Kooperations- und Modellprojekt für E-Scooter haben zum Beispiel die Stadtwerke Bamberg bereits gestartet.
Auch die beiden eine Woche später erfolgten Klarstellungen des Gesetzgebers zur Stromsteuer und zur Umwandlung von überschüssigem Strom zu Wasserstoff oder Gas können den Stadtwerken laut VKU neue Perspektiven eröffnen. So bleiben Stromerzeuger bis zwei Megawatt (MW) Leistung von der Stromsteuer weiterhin ausgenommen. Sie müssen also keinen Aufschlag auf aus dem Stromnetz gezogene Elektrizität bezahlen, wenn sie diese im Anlagenbetrieb brauchen. So lobt der VKU „das Gesetz ausdrücklich als Fortschritt für die Energiewende: Durch dieses Mehr an Rechtssicherheit werden Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz gestärkt.“ Stadtwerken, die sich mit Erneuerbaren-Anlagen, aber auch mit Klär- oder Deponiegasverstromern engagieren, könnten damit den Umbau der Energieversorgung weiterhin als wirtschaftliches Modell für sich ansehen, interpretierte der VKU sinngemäß. Außerdem lobte der VKU, dass Power-to-Gas (PTG) weiterhin von Netzentgelten befreit bleibt. Die Regierung hatte dieses Privileg erst rückgängig gemacht und dann kurze Zeit später wieder hergestellt. Auch hier setzen die kommunalen Versorger weiterhin auf ein zukünftiges wirtschaftliches Betätigungsfeld. Allerdings müsse die Bundesregierung hier noch weitere Hausaufgaben machen, fordert der VKU. Hoffnung sieht er freilich dadurch gegeben, dass eine „vom BMWi angekündigte Erarbeitung einer umfassenden Power-to-X- und Wasserstoffstrategie“ dafür nun den Boden bereiten soll.
Dass die Stadtwerke ihre Geschäftsmodelle ändern müssen, ist in der Szene längst klar. Mit herkömmlicher Stromerzeugung aus konventionellen Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen lässt sich für sie kein Geld mehr verdienen. Aber auch der einfache Wechsel zum Ausbau von Wind- oder Solaranlagen mit Stadtwerke-eigenem Kapital bringt nicht viel ein. Angesichts der zuletzt erfolgten drastischen Vergütungsabsenkungen bei staatlich garantierten Einspeisepreisen für den Grünstrom sind auch Erneuerbare-Energien-Anlagen oder KWK-Anlagen kein Selbstläufer für wirtschaftliche Rentabilität mehr.
So nehmen die Stadtwerke-Abgesandten und andere Tagungsteilnehmer beim VKU-Energiewendeforum am 8. und 9. Mai in Tübingen gleich mehrere Konzepte in den Fokus, die auf jene neue Wirtschaftlichkeit zielen: Eine regionale Verankerung von Energiekonzepten als Unternehmensmodell, das Kunden aus der Region bindet oder zu neuen Stromverträgen ermutigt, individuelle Wärmeversorgungskonzepte für Wohnviertel oder Industriekunden, die Energiewende im Verkehr und die strategische Option von Kooperationen mit anderen Energiemarkt-Akteuren. Nicht zuletzt aber werden auch die Digitalisierung und die intelligente Steuerung der Energienutzung in Stadt- oder Landgebieten ein großes Thema sein, um daraus möglicherweise neue Geschäftsmodelle ableiten zu können.
Nur zwei Wochen später fragen sich norddeutsche kommunale Versorger, wie sie zu digitalen Versorgungsunternehmen werden können, und inwieweit sie es müssen. Beim Norddeutschen Versorgertag des VKU am 23. Mai in Hamburg stehen darüber hinaus wie schon in Tübingen innovative Geschäftsfelder für neue Investitionen durch die Stadtwerke und vielleicht auch daraus abzuleitende neue Produkte im Fokus. Dass die Versorgungsunternehmen in den norddeutschen Gemeinden und Städten hierbei noch Trendsetter bundesweit sind, heben die Programmmacher ebenfalls hervor. Bei einer Podiumsdiskussion sowie bei Impulsreferaten mit anschließendem Austausch reden und hören die Teilnehmer dann mehr von den Details.
Wie sehr die Serie kleiner Energiemarktreformen die Diskussionen an beiden Tagungen beflügelt, wird sich zeigen. Auch ein Spruch des Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom März kommt laut VKU zur rechten Zeit: Die Umlage zur Finanzierung der Vergütungen von Grünstromanlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG-Umlage) kollidiert laut EuGH nicht mit europäischem Recht. Damit würden „Investitionen in eine sichere, wirtschaftliche und nachhaltige Energieversorgung“ für Stadtwerke wieder sinnvoll. Allerdings müsse die Regierung nun neue Förderregeln für KWK und Regeln für die Marktintegration von Erneuerbaren-Anlagen aufstellen.