Nicole Weinhold
Die Jugend hat jetzt Unterstützung von den Klügsten. Mehr als 12.000 Wissenschaftler haben bis jetzt unterzeichnet. Sie schließen sich als Scientists4Future den Schülern in Europa an, die seit Wochen Freitags für eine ernsthafte Klimaschutzpolitik demonstrieren. "Die Anliegen der demonstrierenden jungen Menschen sind berechtigt", schreiben die Wissenschaftler einleitend in ihrer Stellungnahme. Jetzt haben sie in Berlin die Presse eingeladen, um ihre Position zu unterstreichen: Die Wissenschaftler unterstützen die Jugendliche mit ihren Forderungen. Zu den Unterstützern, die sich heute vor die Presse stellten, gehören unter anderem Volker Quaschning von der HTW Berlin und Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen.
Derzeitige Maßnahmen reichen nicht aus
"Zurzeit demonstrieren regelmäßig viele junge Menschen für Klimaschutz und den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erklären wir auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse: Diese Anliegen sind berechtigt und gut begründet. Die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz reichen bei weitem nicht aus." So heißt es in der Stellungnahme der Wissenschaftler. Sie erinnern daran, dass das Pariser Klimaschutzabkommen die Staaten völkerrechtlich verpflichtet, die globale Erwärmung deutlich unter 2 °C zu halten.
Es geht um ihre Zukunft
Es ist wichtig, dass die Jugendlichen aufgestanden sind, denn es geht um ihre Zukunft auf unserem Planeten. Und es ist richtig, dass die Wissenschaft an die völkerrechtliche Verpflichung erinnert. Denn in Deutschland werden die Klimaziele weit verfehlt. Mutwillig. Es hätte anders laufen können. Ein frühzeitiger Kohleausstiegsplan ab 2015, als das Pariser Klimaabkommen noch frisch war, hätte geholfen. Viele weitere Maßnahmen hätten dazu beigetragen, dass die Klimaschutzziele praktische von allein erreicht worden wären: Weg mit den Ausbaudeckeln für Erneuerbare, den Steuern und Abgaben auf Eigenverbrauch bei PV-Anlagen und Speicher. Her mit der Wärmewende, der Mobilitätswende - die ja in anderen Ländern auch möglich sind. Also sollte auch Deutschland dazu in der Lage sein.
Schluss mit der ewigen Frage: Gibt es den Klimawandel wirklich?
Sie haben das Recht auf ihrer Seite und jetzt haben sie Schwarz auf Weiß die Unterstützung vonseiten der Wissenschaft. Vorstellbar, dass es noch einmal ein Politiker wagt, der Masse der Wissenschaft zu wiedersprechen - wie Verkehrsminister Scheuer es beim Thema Feinstaub getan hat. Immerhin kämpft die geballte Kraft der Klimawissenschaftler seit Jahren im IPCC gegen Verunglimpfungen - vonseiten einzelner Klimaleugner, vonseiten einiger Politiker, die mit der Herausforderung des Klimawandels nicht umgehen können. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass nur ein winziger Bruchteil eines Prozents nicht an den menschgemachten Klimawandel glaubt. Nur ist dieser Bruchteil oft sehr lauft. Das Klein-Klein der Bremser in der Politik kommt hinzu, die ewigen Bedenkenträger: Aber gibt es den Klimawandel wirklich? Also: wirklich, echt? In diesem Moment wirkt die Hoffnung auf eine neue Umweltschutzbewegung aus der Mitte der Bevölkerung heraus wie ein Befreiungsschlag gegen den lähmenden Inaktivismus der Politik.
Ja, wir haben gesehen, wie sich Unionspolitiker die Blöße gaben, Bundesumweltministerin Svenja Schulze zu sagen: Klimaschutz: mit unserem Ministerium nicht. Nie ist es offensichtlicher gewesen, dass es schlicht am Willen zum Wandel fehlt. Bleibt zu hoffen, dass die Umweltministerin stark bleibt und dennoch ein Klimaschutzgesetz mit Zielen und Maßnahmen für die einzelnen Ressorts verabschiedet.
Bewegung von unten, die alles verändert?
Vielleicht erleben wir jetzt gerade den Anfang einer Bewegung von unten, die alles verändern wird. Die Bevölkerung will nicht länger tatenlos zusehen, dass ihre Volksvertreter als Interessenvertreter der Industrie handeln. In Bayern haben die Bürger eindrucksvoll gezeigt, dass sie eine ökologische Landwirtschaft wollen, die auf Langfristigkeit angelegt ist. Die Politik muss diese Aufrufe ernst nehmen. Sie darf nicht länger ängstlich im Sinne von Konzernen und Lobbyisten handeln. Sie muss sich jetzt entscheiden - für die Bürger und damit gegen die Agrarindustrie.
Es komme nun darauf an, die Netto-Emissionen von CO2 und anderen Treibhausgasen schnell abzusenken und weltweit spätestens zwischen 2040 und 2050 auf null zu reduzieren, heißt es in der Stellungnahme von Scientists4future. Eine schnellere Absenkung erhöhe hierbei die Wahrscheinlichkeit, 1,5 °C zu erreichen. "Die Verbrennung von Kohle sollte bereits 2030 fast vollständig beendet sein, die Verbrennung von Erdöl und Erdgas gleichzeitig reduziert werden, bis alle fossilen Energieträger durch klimaneutrale Energiequellen ersetzt worden sind." Unter Berücksichtigung von globaler Klimagerechtigkeit müsse in Europa dieser Wandel sogar noch deutlich schneller ablaufen, so die Wissenschaftler.
Länder müssen mehr tun
Die Wissenschaftler fordern: Jetzt muss gehandelt werden. "In allen deutschsprachigen Ländern werden beim Umbau der Bereiche Energie, Ernährung, Landwirtschaft, Ressourcennutzung und Mobilität die notwendige Größenordnung und Geschwindigkeit nicht erreicht." Deutschland erreicht die selbstgesteckten Klimaschutzziele für 2020 nicht. Es verfehlt wohl aus die Ziele der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie für 2030. Zudem mangelt es weiterhin an einem wirksamen Klimaschutzgesetz.
CO2-Gesetz in der Schweiz gescheitert
Auch bei den europäischen Nachbarn sieht es nicht gerade rosig aus. Österreich hat sich in seiner Klima- und Energiestrategie Ziele gesetzt, die dem Pariser Vertrag in keiner Weise gerecht werden und selbst dafür sind weder die erforderlichen Maßnahmen noch die finanziellen Mittel vorgesehen. Zugleich sind Bodenverbrauch und -versiegelung pro Person und Jahr in Österreich die höchsten in Europa. Die Schweiz hat ihre Treibhausgas-Emissionen seit 1990 nur geringfügig verringert; gleichzeitig stiegen die im Ausland verursachten Emissionen erheblich an. Und noch ein Rückschlag: In der ersten parlamentarischen Debatte zur Totalrevision des CO2-Gesetzes wurden die inländischen Reduktionsziele gestrichen und die Reduzierung der Schweizer Emissionen sollte durch Kompensation im Ausland erfolgen. Schließlich ist das Gesetz vorläufig gescheitert.
Lebensgrundlage bewahren
"Die jungen Menschen fordern zu Recht, dass sich unsere Gesellschaft ohne weiteres Zögern auf Nachhaltigkeit ausrichtet." Vor allem die Politik stehe in der Verantwortung, zeitnah die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Als Menschen, die mit wissenschaftlichem Arbeiten vertraut sind und denen die derzeitigen Entwicklungen große Sorgen bereiten, sähen die Scientists4Future es als ihre gesellschaftliche Verantwortung an, auf die Folgen unzureichenden Handelns hinzuweisen. "Nur wenn wir rasch und konsequent handeln, können wir die Erderwärmung begrenzen, das Massenaussterben von Tier- und Pflanzenarten aufhalten, die natürlichen Lebensgrundlagen bewahren und eine lebenswerte Zukunft für derzeit lebende und kommende Generationen gewinnen. Genau das möchten die jungen Menschen von Fridays for Future/Klimastreik erreichen. Ihnen gebührt unsere Achtung und unsere volle Unterstützung."
Dieser Initiative kann man sich nur anschließen mit einem angepassten Zitat des Sängers Sting: "I hope the politicians love their childen too."