Schon in seinem Eröffnungsvortrag veranschaulichte der Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), Ingbert Liebing, wie groß die von den Stadtwerken bis 2030 ausgearbeiteten Pläne sind – und wie teuer. So verdeutlichte Liebing beim VKU-Stadtwerkekongress in Hannover am Donnerstag, dass die Unternehmen dafür bis zu einer Vervierfachung der jährlichen Investitionen bewältigen müssten. Gemäß einer Studie von Ernst & Young und Energiewirtschaftsverband BDEW stehen bis 2030 Investitionen privater und kommunaler Energieunternehmen in Deutschland, ob Energieversorger oder Netzbetreiber, von 721 Milliarden Euro an. Sie finanzieren damit Infrastruktur wie Stromverteilnetze, den Rohreausbau der Fernwärmenetze, das künftige Wasserstoffnetz, die Digitalisierung, Erneuerbare-Energien-Anlagen, Ladesäulen und neue Leitsysteme für Elektromobilität oder gar eine eigene klimaneutrale Erzeugung von grünem Wasserstoff. „Das sind 100 Milliarden Euro pro Jahr im Vergleich zu derzeit 25 Milliarden“, sagte Liebing. Rechnerisch erfordere dies die sofortige Vervierfachung der Investitionen.
„Das geht eigentlich nicht“, sagte der VKU-Hauptgeschäftsführer zu ERNEUERBARE ENERGIEN. Doch eben dieser Dynamik folgten auch die Stadtwerke: „Auch die VKU-Mitgliedsunternehmen spiegeln uns wider, dass sie so planen“. Klar sei schon jetzt, dass die in vielen Kommunen bisher übliche Praxis einer Querfinanzierung verlustreicher städtischer Angebote wie Schwimmbäder oder öffentlicher Verkehrsmittel wie Straßenbahn und Bus aus den Mehrerträgen der kommunalen Unternehmen dann nicht mehr möglich sei. Zudem müssten die Stadtwerke mehr privates Kapital hinzuziehen.
Der beim Bundesfinanzminister eigens eingesetzte Ressortkoordinator für nachhaltige Entwicklung, Thomas Köhler, machte auf der Stadtwerkefachtagung allerdings klar, dass innerhalb ihrer restlichen Legislaturperiode die Bundesregierung in den kommenden mindestens zwölf Monaten keine bedeutende finanzielle Unterstützung erwarten lässt. Köhler verwies auf die von den Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP jüngst vereinbarte Wachstumsinitiative, wonach Investoren und Betreiber neuer Infrastruktur eine größere Beteiligung als bisher an den sogenannten Systemkosten zu erwarten haben. Zudem wolle die Koalition den beschleunigten Ausbau von Energiespeichern und Energieanlagen für einen Kapazitätsmarkt noch auf den Weg bringen, die der Verstetigung der bisher wetterabhängigen Grünstromeinspeisung in die Netze dienen. Geothermie und Wärmepumpen werde hier eine zentrale Rolle zukommen, sagte Köhler und verwies somit indirekt eher auf möglicherweise weitere neue Investitionsaufgaben für die Stadtwerke.
Offenbar gilt die Verbesserung der Finanzlage der Versorger im Bundesfinanzministerium als keine vordringliche Aufgabe der Bundesregierung. „Die finanzielle Lage kommunaler Unternehmen ist alles in allem positiv“, sagte Köhler, ohnehin sei die Stärkung der Stadtwerke zuerst Aufgabe der Kommunen, die Bundesrepublik sei finanziell schon heute stark in der Förderung der Stadtwerkeaufgaben engagiert – und stelle nun eher noch nichtfinanzielle Instrumente zur Verfügung. Möglicherweise müssten die Akteure mitunter eher ihre Zwischenziele flexibel an die zwischenzeitliche Finanzierbarkeit anpassen.
Unterschiedliche Stadtwerkevertreter verdeutlichten, wie sie ohne diese staatliche Unterstützung bereits jetzt neue Wege zur Kapitalbeschaffung einschlagen. Mit Fallbeispielen skizzierten sie, wie sie größere Investitionsmittel beschaffen und Projekte schneller und standardisierter auf den Weg bringen wollen.
Die Kämmerin der Stadt Münster, Christine Zeller, ließ erkennen, dass in den Kommunen als Eigentümerinnen der kommunalen Versorger bald Debatten darüber aufflammen dürften, ob sich städtische Angebote wie Schwimmbäder oder Busse und Straßenbahnen wie bisher aus Stadtwerke-Gewinnen finanzieren ließen: „Wir werden Verschiebungen in den Handlungsschwerpunkten sehen“, sagte Zeller in einer Gesprächsrunde auf dem Podium. Die VKU-Programmgestaltenden hatten diesen Tagesordnungspunkt mit „Klartext – zwischen Transformationsbedarf und Finanzierungsdruck: Wie gelingt uns der Spagat?“ bereits vielsagend benannt – und somit auf bevorstehende mögliche Konflikte in den Kommunen und zwischen Kommunalpolitik und Stadtwerken hingewiesen. Städte wie Münster und ihre Versorgungsunternehmen benötigten künftig einen Fokus auf „Handlungsschwerpunkte“, sagte Zeller. Entscheidungen darüber, welche Angebote der Städte hierbei wegfallen könnten, seien „extrem schwer“ und müssten deshalb „im Konsens“ fallen.
Nur 30 Prozent der Stadtwerke sollen in der Lage sein, die Investitionen mit eigenen Mitteln und Strategien zu stemmen. Sie müssten daher vermehrt zu Fremdkapitalfinanzierung greifen oder über Partnerschaften neues Eigenkapital heranziehen. Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Mittel- und Niederspannungsnetze betreibenden EWE Netz GmbH des Oldenburger EWE-Konzerns, Torsten Maus, verwies auf gute Eigenkapitaldecken bei eher großen Unternehmen. Sie könnten sich problemlos am Markt die Investitionsmittel besorgen. Alleine jeweils 140 Milliarden Euro beispielsweise müssten die Unternehmen in den Ausbau der Verteil- und Übertragungsnetze investieren. Dies könne je nach kommunalem Netzunternehmen eine Erhöhung der bisherigen Investitionen um einen Faktor von bis zu fünf bedeuten, sagte Maus. Doch je mehr Fremd- oder Bankenkapital die Unternehmen hinzuholen müssen, desto schwerer werde der Finanzierungspfad angesichts einer sich damit verbrauchenden Eigenkapitalabdeckung.
Die Deutschland-Zuständige der Europäischen Investitionsbank (EIB), Heike Freimuth, beobachtet eine enorm anziehende Nachfrage nach den EIB-Mitteln durch Kommunen oder Stadtwerke. Allerdings passen die Projektfinanzierungen der europäischen Förderbank nur auf große kommunale Unternehmen mit viel Eigenkapital und größere Vorhaben. Um kleinere Finanzierungssummen zusammenzubekommen, bleibe Stadtwerken nur der Weg zu den sehr unterschiedlich agierenden Landesförderbanken. Angesichts des kurz- und mittelfristigen hohen Investitionsbedarfs der Stadtwerke sondiere die EIB aber mit möglichen künftigen Partnern, wie Kooperationen flexiblere Finanzierungs- und Förderansätze für die Kommunalunternehmen ermöglichen könnten.
Dass Finanzierungsstrategien zugleich das Instrument dafür sein können, die Stadtwerke mehr auf ihre Nachhaltigkeitsziele zu fokussieren, verdeutlichte wiederum die Münsteraner Kämmerin: Mit einem sogenannten grünen Schuldschein zur Finanzierung nachhaltiger Projekte hatte Münster zwei Mal weit über 100 Millionen Euro einsammeln können. Die Kampagne habe zu einer intensiven Beschäftigung der Anlegerinnen und Anleger mit den künftigen Nachhaltigkeitsprojekten geführt und wohl zu ihrer Identifikation damit. Das eingesammelte Geld ließ sich Münster bei Banken oder Versicherern als Eigenkapital anerkennen. Durch Ausgründung einer Infrastrukturgesellschaft für die Verlegung von Glasfaserkabeln, die für die Digitalisierung der Energieversorgung wichtig sind, holte Münster zudem das Altersvorsorge-Anlageunternehmen Palladio Kommunal als Kapitalgeber und künftiger Miteigentümer des Glasfasernetzes ins Boot.
Altersvorsorgekapital und Infrastrukturfinanzierung zusammenzubringen, hält der geschäftsführende Gesellschafter bei Palladio Kommunal, Thomas Brosze, entsprechend als große Chance, um den Infrastrukturausbau viel schneller als sonst möglich voranzubringen. Den Nachteil, dass Kommunen oder Stadtwerke dabei das Eigentum an ihrer Infrastruktur zu einem großen Teil in fremde private Hände legen, will Brosze durch den Vorteil der frühzeitigen Inbetriebnahme der Infrastruktur durch die Stadtwerke ausgeglichen sehen.
Auch genossenschaftliche Modelle könnten ein Mittel sein – und sind es teils schon. Allerdings müssen die kommunalen Unternehmen dafür den Bürgerinnen und Bürgern entweder eine gute Rendite oder eine hohe Absicherung ihrer Geldanlagen zusichern können. Während hohe Renditen die Wirtschaftlichkeit der Projekte für die Stadtwerke schmälern würde, erfordert eine gute Absicherung des Anlegerkapitals erneut den Zugriff auf die Eigenkapitaldecke der Stadtwerke, die damit aber ihre ohnehin im europaweiten Vergleich sehr niedrige Eigenkapitalrendite weiter absenken. Ohnehin lassen sich private Investoren oder Altersvorsorgekapitalfonds kaum dazu bewegen, in Infrastruktur zu investieren, wo große Kapitalkosten sehr frühzeitig anfallen: Erstbohrungen zur Erkundung der Wirtschaftlichkeit möglicher Geothermieanlagen zum Beispiel werden sie nicht finanzieren. Eine Erstfinanzierung durch Förderbanken hält Brosze daher für sehr wichtig, ehe sein Unternehmen sich an neuen Bohrungen zur Projektentwicklung beteiligen könnte.
Zu klären ist freilich auch, welche Folgen unterschiedliche zeitliche Perspektiven der Partner auf die Projekte haben. Während private Investoren ihr Kapital je nach Anlagekonzept mehr oder weniger lang in Projekte stecken können, begrenzt auf den fürs Einstreichen der Gesamtrendite anvisierten Zeitrahmen, müssen Versicherungen ihre Renditen eher in Fünfjahreszeiträumen verwirklichen. Stadtwerke müssen auch mit 20-jährigen Investitionsphasen rechnen, ehe Gewinne zurückfließen.
Auch die Pflege des Eigenkapitals, um Bankkredite oder Versicherungen zu vernünftigen Preisen abschließen zu können, ist wichtig. Nachrangdarlehen oder eigenkapitalähnliche Finanzprodukte sind hierfür im Gespräch: Solche Mezzanine-Produkte erkennen Banken oder Versicherer mitunter als Eigenkapital an, was kommunale Versorgungsunternehmen mit ihnen allerdings vorab klären müssen. Kleinere Stadtwerke, so war beim VKU-Stadtwerkekongress von Teilnehmenden zu erfahren, setzen schon jetzt auch auf Partnerschaften mit größeren privaten Unternehmen. Sie können besonders profitieren, wo private Partner zum Beispiel nach einem Einstieg in die Abfallwirtschaft eine verlässliche Lieferung von Substrat für die stadtwerkeeigene Biogasanlage garantieren.
EWE-Netz-Geschäftsführender Maus plädierte für die Einteilung des Stadtwerke-Investitionsprogramms in „verdaubare Häppchen“. Gelinge es, die Investitionsangebote zu standardisieren, lasse sich das Finanzierungskonzept einmalig mit Banken oder Versicherern vereinbaren und danach ohne aufwändige Neuverhandlungen für immer neue Projekte wiederholen.
Mit eigenen Beispielen stellten Geschäftsführende der Stadtwerke in Bochum, Halle und Hannover ihre Kapitalbeschaffung dem Plenum einem Vergleich. Der Vorstand der Hannoverschen Enercity AG, Marc Hansmann, verwies auf einen Investitionsplan der Niedersachsen mit 7,6 Milliarden Euro Finanzbedarf. Milliarden-Euro-Investitionen sieht Enercity jeweils alleine für Windenergie, Photovoltaik und die Fernwärme vor. Weil die Fördermaßnahmen des Bundes die Kosten beim Umbau der Fernwärme auf eine Erneuerbare-Energien-Versorgung nur zu einem kleineren Teil ausgleichen können, plädierte Hansmann dafür, dass Stadtwerke mehr als bisher überplanmäßige Gewinne für ihre weiteren Investitionen künftig ansammeln dürfen.
Die Geschäftsführerin der Stadtwerke Bochum, Elke Temme, stellte das Konzept eines mit der Sparkasse gemeinsam aufgelegten Bürgerfonds vor. Die in Zwei-Millionen-Euro-Tranchen aufgeteilten Bochumer Anlageprodukte lassen Investitionen zwischen 2.000 bis 5.000 Euro zu. Hier kommen Beträge zusammen, die keineswegs für einen bedeutenden Anteil des Finanzbedarfs bis 2030 ausreichen, aber zu hoher Verbundenheit der Kunden mit den Stadtwerke-Projekten führen.
Der vorsitzende Geschäftsführer der Stadtwerke Halle, Matthias Lux, stellte eine Off-Balance-Finanzierung vor. Die Stadtwerke der sachsen-anhaltinischen Stadt suchen nach immer neuen Partnerunternehmen wie beispielsweise der Ingenieurkammer Baden-Württemberg zur Gründung mehrerer auf jeweils ein anderes Ausbauprojekt bezogener Joint-Venture. Auf diesem Wege konnte das Versorgungsunternehmen inzwischen Freiflächen-Solaranlagen mit 140 Megawatt (MW) Photovoltaikleistung in Betrieb nehmen. Ziel bis 2030 ist eine Photovoltaikleistung von 250 MW, die bisher fest geplanten Vorhaben reichen für den Anschluss von 200 MW. Weil die Hallenser auch errechnet haben, dass sie für eine bilanzielle Klimaneutralität sogar 600 MW Photovoltaik-Leistung brauchen, haben sie weitere Partner gesucht. Inzwischen bilden sie die Joint-Ventures auch mit anderen Stadtwerken. In den Joint Ventures könnten die Partner die Sicherheit ihrer Kapitalanlage alleine durch die höheren Einspeisevergütungssätze gemäß Erneuerbare-Energien-Gesetz gewährleisten oder über langfristige Stromabnahmeverträge mit Großkunden.
VKU und BDEW hatten früher im Jahr zudem einen Energiewendefonds vorgeschlagen, der mit einem Anfangskapital von 30 bis 50 Milliarden Euro starten solle. Staatliche Garantien oder Bürgschaften sowie die professionellen Fondstrukturen könnten dafür sorgen, dass private Unternehmen über stille Einlagen oder klassische Unternehmensbeteiligungen ihr Anlagekapital einfließen lassen.
Mit rund 700 Teilnehmenden erzielte der zweitägige Stadtwerkekongress am Dienstag und Mittwoch einen neuen Besucherrekord, wie der VKU bilanzierte.