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VKU-Tagung: Kanzler in spe übt Grünen verstehen, Kommunalversorger verlangen Neustart der Energiewende

Der mutmaßliche künftige Bundeskanzler war zwar entgegen der Ankündigung im Programm nicht gekommen, um die Eröffnungsrede zu halten. Doch bei der Jahrestagung des Stadtwerkeverbands Verband kommunaler Unternehmen (VKU) in Berlin wusste auch die moderierende Journalistin Astrid Frohloff am Dienstag zur Eröffnung schon vorweg, worüber die rund 800 teilnehmenden Vertreter der VKU-Mitgliedsunternehmen dennoch schon einmal zu reden hatten: Wie ganz Deutschland stünden die Stadtwerke vor einer „völlig veränderten Situation“. Diese hätten gewissermaßen ein „Rendezvous mit der Wirklichkeit“, sagte sie mit angedeutetem Verweis auf anhaltende und sich weiter zuspitzende geopolitische Spannungen rund um den Krieg in der Ukraine, auf die Differenzen mit der Regierung in den USA, auf die beschlossene militärische Aufrüstung Europas und eben auf die große Änderungen ankündigende Regierungsneubildung in Deutschland.

All das habe „Auswirkungen auch auf die kommunale Wirtschaft“, stimmte Rohloff die Teilnehmenden auf eine Besonderheit dieser VKU-Verbandstagung ein: Auf der Tagesordnung stehen an Dienstag und Mittwoch fast gänzlich die großen Themen für eine Positionsbestimmung der Stadtwerke – von den Erwartungen an die neue Bundesregierung bis zur Klimapolitik der Europäischen Union. Während der bei der Bundestagswahl siegreiche Spitzenkandidat der CDU, Friedrich Merz, plötzlich mit den oppositionellen Grünen über deren Zustimmung zu schuldenbasierten Rekordausgaben verhandeln muss, loten die VKU-Mitglieder auch ohne dessen höchstrangigen Botschaften an sie die sich abzeichnende nahe Zukunft aus.

Die Lage sei für die Stadtwerke zu diesem Zeitpunkt wohl noch schwieriger als bei der vorigen VKU-Verbandstagung 2023, sagte Ulf Kämpfer, Kieler Oberbürgermeister und VKU-Präsident. Auf dem damaligen im Zwei-Jahres-Rhythmus veranstalteten Hauptevent des Verbandes hatten die Branchenvertreter gerade die ersten Auswirkungen des Ukrainekriegs verarbeitet. Sie hatten sich aus dem russischen Einmarsch ein Jahr zuvor in die Ukraine und der damit verbundenen Umorientierung Deutschlands weg von russischen Erdgaslieferungen hin zu neuen, auch teureren Gasbezügen ergeben. Damals sei die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP gerade noch im Tritt gewesen, das umstrittene fehlerhafte und für die Stadtwerke herausfordende Heizungsgesetz zwar schon in die Öffentlichkeit von der Presse durchgestochen und doch noch nicht beschlossen, die Energiewende puschenden Reformen am und um das Erneuerbare-Energien-Gesetz aus dem sogenannten Osterpaket 2022 aber schon in Kraft, so erinnert sich Kämpfer. Heute seien die Herausforderungen deutlich gewachsen, es fehle weiterhin eine Kraftwerksstrategie, das Heizungsgesetz sei weiterhin unfertig, die Stadtwerke hätten nicht nur 700 Milliarden Euro Investitionen in die Energiewendeinfrastruktur vor sich, sondern auch 800 Milliarden Euro alleine für die Netze der Wasserwirtschaft. „Wir haben keine Ahnung wie das gelingen soll“, sagte Kämpfer. Der städtische Haushalt in Kiel bilde die Anspannung ab: Vor zwei Jahren habe er noch ein Plus von 29 Millionen Euro verzeichnen können, betonte der Oberbürgermeister der Ostseestadt und verwies im Vergleich dazu auf das gerade frisch bilanzierte Minus von 75 Millionen.

Die kommende Regierung in Deutschland müsse daher nun vor allem Verlässlichkeit, Bezahlbarkeit und Effizienz der Energiewende auf Seiten der Stadtwerke garantieren, forderte Kämpfer. VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing ergänzte als Folgeredner, es brauche in einer neuen Regierungspolitik zur Energiewende und zum Klimaschutz zusätzlich „mehr Realismus“.  Der VKU trete daher für einen „Neustart der Energiewende“ ein. Hier brauche es mehr „Vertrauen der Politik in die Unternehmen“: Die kommunalen Unternehmen müssten mehr Freiheit haben, um eigene Kompetenzen zu nutzen und auf die regionalen Gegebenheiten einzugehen, statt Vorschriften zur Umsetzung der Energiewende im Detail. Die jüngste Befragung der Stadtwerke im VKU zeige, dass jedes zweite Unternehmen der gescheiterten Ampelregierung die Schulnote 6 gebe und weitere 14 Prozent eine 5, also fast zwei Drittel der kommunalen Unternehmen rückblickend offenbar eine schlechte nicht ausreichende rahmenpolitische Flankierung für ihre enormen Aufgaben erlebt haben. Außerdem hielten gemäß der Umfrage zwei Drittel der Unternehmen das Ziel einer Klimaneutralität bis 2045 für unrealistisch, verwies Liebing auf das tatsächliche Ergebnis der Erhebung. Alle in der Umsetzungsrealität der vergangenen Energiewendereformen den Kommunalunternehmen überlassenen Aufgaben nebeneinander in Eigenwirtschaft zu erledigen, „geht nicht“, sagte der VKU-Hauptgeschäftsführer.

Einigkeit, geht es nach Liebing, ist sich die Stadtwerkeszene über ihre künftige Aufgabe, „die zukunftssichere Daseinsfürsorge in einer klimaneutralen Welt“. Die Aussage des Hauptgeschäftsführers erhielt im großen Versammlungssaal des Berlin-Neuköllner Estrel-Hotels genauso Beifall wie sein Plädoyer für eine künftige politische Priorität für eine kommunale Energiewende, die refinanzierbar ist: Sie müsse „bezahlbar durch unsere Kundinnen und Kunden“ sein – unterstützt durch „das eine oder andere an staatlicher Förderung“. Zusätzlich müsse die nächste Regierung den Ausgleich der zusätzlichen Kosten durch die Energiewende für die sozial Schwächeren in die Hand nehmen. Liebing verwies auf das zwar beschlossene aber nie von der Ampelregierung umgesetzte Klimageld als Ausgleichszahlungen an alle Energieverbraucherinnen und Energieverbraucher. Diese fertig entworfene soziale Ausgleichskomponente sollte die Mehrkosten aus den steigenden Preisen für klimawirksamen Kohlendioxidausstoß (CO2-Emissionen) im CO2-Emissionsrechte-Handel durch eine Rückzahlung an alle Verbraucher begleichen. Ärmere Haushalte mit weniger Energieverbrauch hätten dabei mehr Geld zurückbekommen, als die CO2-Verteuerung betragen hätte. Während das Klimageld aber nicht kam, mussten die Kommunen und ihre Versorgungsunternehmen aber eine Strompreisbremse zum Schutz Ärmerer vor den Energiefolgekosten durch die Ukrainekrise umsetzen. Alleine für die Umsetzung dieser Maßnahme fielen für die Stadtwerke bis jetzt aber noch unermessliche Kosten an.

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Andreas Jung, war am Dienstag gleichwohl als Vertretung für Merz vor dem Stadtwerkepublikum derjenige, der der Versorgerbranche ebenfalls einige richtungsweisende Botschaften unterbreitete. So ließ Jung keinen Zweifel daran, dass die Kommunalunternehmen nicht auch künftig genauso die Herausforderungen international wirksamer Krisen wie Klimawandel oder Konflikte für die Daseinsfürsorge bewältigen müssen. „Geopolitik wird vor Ort in den Kommunen konkret“, sagte Jung. In der Energiekrise nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs sei dies den Kommunen auch insoweit gelungen, dass sie „das Land am Laufen gehalten haben“.

Das Sondierungspapier der geplanten künftigen Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD bestätige, dass diese auch künftig zu allen beschlossenen Klimazielen stehe und an ihnen festhalten wolle. Außerdem aber wolle sie die Akzeptanz der Klimaschutzmaßnahmen stärken, indem sie soziale Auswirkungen vermeide und Klimaschutz nicht nur mit sozialen Anliegen, sondern auch Wirtschaftswachstum vereinen lasse.

Insbesondere werde auf die Stadtwerke eine neue Politik zukommen, die eine neue Dynamik in der Umsetzung der Klima- und Energiewendeziele durch mehr Offenheit für verschiedene Technologien und wirtschaftliche Konzepte erzeuge. „Wir setzen auf Ermöglichung“, betonte der CDU-Politiker.

Was genau daraus für die Stadtwerke folgen wird, sagte Jung nicht, verwies aber auf ein weiteres neues Prinzip: Gesetze für die Energiewende müssten künftig immer die Systemdienlichkeit der Energieerzeugung und Klimaschutzmaßnahmen mitfördern und den Ausbau von Netzen und Speichern in den wirtschaftlichen Konzepten und Angeboten immer mitdenken lassen. Konkret sprach sich Jung allerdings für eine „pragmatischere“ Umsetzung der Energiewende durch eine „pragmatischere Wasserstoffstrategie“ aus, die „alle Farben des Regenbogens“ enthalte und eine europäische Strategie sei – mit einer Dimension „über Europa hinaus“ mitsamt Einbezug von Wasserstofferzeugung in Afrika. Übergangsweise soll demnach nicht nur grüner, also durch Erneuerbare-Energien-Strom erzeugter Wasserstoff durch die auch von Kommunen mitfinanzierten künftigen Wasserstoffnetze fließen. Es sollen demnach auch aus fossilen Quellen gewonnene und nach unterschiedlichen Erzeugungstechnologien benannte blaue, rosa und sonstige andersfarbige Volumen des emissionsfrei nutzbaren Energieträgers ins Versorgergeschäft gelangen. Zudem sieht das Sondierungspapier bis 2030 den Bau neuer Gaskraftwerke bis zu einer Erzeugungsstärke von zusammen 20 Gigawatt vor und die Abschöpfung nicht vermeidbarer CO2-Emissionen durch die Technologien CCS und CCU vor. Während CCS – Carbon Capture and Storage – eine Abscheidung und unterirdische Einlagerung des CO2 vorsieht, ist CCU – Carbon Capture and Utilization – ein Vermarktungsrahmen für eine anschließende industrielle Nutzung des CO2.  

Dass so möglicherweise neue und zusätzliche Aufgaben auf die Kommunen und ihre Stadtwerke zukommen, sagte Jung nicht, verwies aber auf zwei mögliche neue Einsatzgebiete der kommunalen Netzbetriebe: So brauche es künftig auch eine CO2-Infrastruktur mit einem CCU- und ein CCS-Netz.

Es könnte, so konnten die Kommunalunternehmens-Abgesandten lernen, sich einiges an der Finanzierung ändern, aber auch an der Steuerung ihrer geschäftlichen Realitäten. So könnte die neue Regierung den von VKU und dem Energiewirtschaftsverband im Juni vorigen Jahres geforderten Energiewende-Fonds einrichten, der den Stadtwerken auch privates Geld als Eigenkapital zur Verfügung stellen könnte. Ohnehin soll eine „neue Offenheit“ für privates Kapital neue Finanzierungsformen erschließen lassen. Ein Bund-Länder-Kommunen-Gremium schließlich könnte zudem für eine zumindest teilweise Steuerung der kommunalen Energiewendewirtschaft sorgen, die gemäß Jung „am besten aus dem Kanzleramt“ erfolge.