Wie lange können deutsche Stadtwerke noch verfügbare Geldmittel für Investitionen oder für tägliche Handlungen auf den Energiemärkten einsetzen? Seit von Mitte bis Ende September nacheinander alle drei großen Organisationen mit Bezug zu den kommunalen Versorgern ihre Forderungen nach einem Schutzschirm für ihre Liquidität veröffentlicht hatten, erscheint der Fall klar: Die meist großenteils im Besitz von Städten und Gemeinden befindlichen Energieversorger brauchen in den kommenden Monaten staatliche Bürgschaften oder Zugriff auf Mittel der staatlichen Förderbank KfW, um handlungsfähig zu bleiben. In der Energiekrise durch den Ukrainekrieg müssen sie als Wärmeenergielieferanten mit steigenden Gaspreisen im Großeinkauf von bis zuletzt sogar schon dem Vierfachen des Vorjahresniveaus zurechtkommen. Und im kurzfristigen Spotmarkt für Strom zum Ausgleich täglicher Abweichungen von Einspeisung und Elektrizitätsabnahme am Stromnetz waren die Preise gemäß der Monatsmarktwerte bis September um das Zehnfache angestiegen.
Energiebranchenverband BDEW, Stadtwerkeverband VKU und der Deutsche Städtetag riefen die Bundesregierung zum Herbstanfang und so zu Beginn der Heizperiode zum Spannen eines finanziellen Auffangnetzes auf. In der ersten Oktoberwoche richtete die schleswig-holsteinische Landesregierung einen 250-Millionen-Euro fassenden Liquiditätstopf ein, den die Landesbank absichert. Die Länderchefs anderer Bundesländer beschränken sich derweil noch darauf, dass sie ebenfalls den Schutzschirm für Stadtwerke fordern.
„Die brauchen uns noch“
Paradoxerweise benötigen die deutschen Stadtwerke und regionalen kommunalen Versorger dieses Auffangnetz, gerade weil sie wirtschaftlich handeln und umfangreich in zukunftsfähige Energieprojekte investieren. Doch angepasstes finanzwirtschaftliches Handeln verhindert der Auftrag der Kommunen. Vielmehr müssen sie die lokale Daseinsvorsorge sichern. Sie dürfen ihrer unter aktueller Inflation und Energiekosten leidenden Kundschaft nicht sofort Strom oder Gas abdrehen, sollten sie zahlungsunfähig werden. Zudem müssen sie Energiekunden aus ihrem Versorgungsgebiet aufnehmen, die gerade noch bei privaten Billigstromhändlern unter Vertrag standen. Solche können unter dem Kostendruck der Krisensituation ihre Angebote nicht mehr aufrecht halten. So mussten kommunale Versorger zuletzt kurzfristig Energievolumen nachkaufen, wo ihre langfristig abgeschlossenen Energielieferverträge den zusätzlichen Bedarf nicht abdeckten. Zugleich aber benötigen sie Kapital für spannende Investitionsprojekte. Im rasant sich ändernden Energiewendeumfeld verfolgen die kommunalen Versorger wichtige Programme, um sich vom heute verlustreichen eindimensionalen Versorger zum rentablen Breitbanddienstleister für Nachhaltigkeit umzuwandeln. Würden sie die Programme verdorren lassen, könnten sie im Wettbewerb hingegen mittelfristig an Boden verlieren – sobald die Billigwettbewerber sich zurückmelden.
Wie breit das Feld schon ist und wie innovativ es bestellt wird, das die Versorgungsunternehmen als Dienstleister für die Nachhaltigkeit von Kommunen zu beackern versuchen, ließ sich in den Foren des Stadtwerkekongress in Leipzig vernehmen. Auf der Konferenz des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) berichteten Mitte September die Referenten über derzeit wichtige Projekte: ein Verleihsystem für 100 digital buchbare Elektro-Vespa-Roller, die Verpachtung von Strom-Nachtspeicheröfen – intelligent gesteuert durch die Stadtwerke mit dem Ziel einer guten Netzauslastung, oder zum Beispiel neue Großwärmepumpen für die Fernwärme.
15 Prozent der Energiekunden der Stadtwerke könnten schlimmstenfalls in dieser Heizperiode zahlungsunfähig werden. Ihre Beiträge würden dann in den Büchern der kommunalen Versorger wegbrechen. Das sagt der Stadtwerkeverband VKU.
Großformatige Vision braucht Auffangnetz
Die süd- und mittelbadische Badenova AG hat für eine künftige Fernwärmeversorgung schon eine großformatige Vision in Angriff genommen. Das in Freiburg im Breisgau ansässige Unternehmen gehört 96 Kommunen der Region. In Freiburg führt es vor, wie sich durch Fernwärme ganze Wohnquartiere als Energieversorgungsinseln organisieren lassen. Badenova verknüpft diese zudem stadtweit. Zum Einen sollen Industrieunternehmen ihre Abwärme als grüne Wärmequelle einbringen. Und weil das Bundesland Baden-Württemberg für 2022 die Stromerzeugung mit Photovoltaik (PV) auf allen Neubauten als Pflicht einführte, sieht das Energieinselkonzept zum Anderen auch eine Nutzung des PV-Stroms vor. Außerdem bereitet Badenova die Erschließung von Erdwärme durch Bohrungen nach Thermalwasser in 2,5 bis 3 Kilometer Tiefe vor. In einer Messkampagne hatte das Versorgungsunternehmen 2022 begonnen, Thermalwasservorkommen um 19 sich beteiligende Kommunen zu erfassen. Auch den Bau von Elektrolyseuren zur Erzeugung des emissionsfreien Energieträgers grüner Wasserstoff mit Wind- und Solarstrom hat das Stadtwerk im Blick. Im Juni startete dafür die trinationale Kooperation 3H2 mit auch Unternehmen aus der deutsch-französisch-schweizerischen Grenzregion.
Badenova-Vorstand Heinz-Werner Hölscher sieht auch den drohenden Verlust der Zahlungsfähigkeit von vielleicht 10 oder wie vom VKU geschätzt sogar bis zu 15 Prozent der Kunden nicht als relevante Gefahr für den Versorger: Angesichts von Energiewendezielen von vielen der Badenova-Städte sei davon auszugehen: „Die brauchen uns noch“. Badenova sei systemrelevant, lautet demnach das Fazit. Dennoch sieht Hölscher die deutschen Stadtwerke in der Klemme: Die seit der Coronapandemie hinzugekommene Knappheit an Handwerkern zur Installation der Erneuerbare-Energien-Anlagen und Lieferengpässe von Anlagen-Komponenten gefährdeten die Zeitpläne. Und die wachsenden Risiken am Sportmarkt kann das Unternehmen als Daseinsvorsorge-Stadtwerk nicht wie sonstige Grünstromhändler durch ausgleichende Wertpapierkäufe absichern: Sogenannter Derivate-Handel lässt Handelsgeschäfte abhängig von bestimmten Preisentwicklungen eintreten. Stadtwerke hatten mit dem spekulativen Finanzinstrument der vergangenen Finanzkrise finanziellen Schiffbruch erlitten.
Fernwärme Leipzig mit Kohle statt mit Geld
Was den Stadtwerken aktuell am meisten zu schaffen macht, dürfte von Kommunalversorger zu Kommunalversorger höchst unterschiedlich sein. Auf jeden Fall aber droht es das Vorantreiben ihrer Energiewendeprojekte empfindlich zu treffen, wie das Beispiel Leipzig zeigt: Hier bereiteten die Stadtwerke im Oktober die Inbetriebnahme des neuen hochflexiblen Heizkraftwerks Süd als erstes wasserstofffähiges Gas-Großkraftwerk sowie eines riesigen Wassererhitzers zur Nutzung überschüssigen Stroms für die Fernwärme vor. Doch aufgrund des unsicheren Erdgasmarktes musste die Stadt Leipzig die Wärmeabnahmeverträge mit dem weniger flexiblen Kohlekraftwerk Lippendorf bis 2025 verlängern. Was das für die Wirtschaftlichkeit der zunächst Erdgas-betriebenen neuen Energieerzeugungsanlage und des Wärmespeichers bedeutet, erscheint vorerst unklar. Auch ein bereits mit Kooperationspartnern anvisierter Elektrolyseur zur Erzeugung grünen Wasserstoffs auf dem Kraftwerksgelände wäre finanzierungstechnisch neu zu kalkulieren, sollten die fehlenden Einnahmen die flüssigen Mittel weiter reduzieren. So genehmigte das Stadtparlament den Stadtwerken im August alleine zur Absicherung seiner Strombörsengeschäfte erstmals einen 400-Millionen-Euro-Kredit.