Es ist schon ein verblüffendes Timing. Just in dem Moment, in dem das Protestcamp in Lützerath teils mit brutaler Gewalt geräumt werden soll, kommen in der brandenburgischen Staatskanzlei Fachleute zusammen, um über die sich häufenden Waldbrände im Land zu reden und darüber zu beraten, wie man dieses Problem lösen kann. Nicht zu unrecht zaubert dies ein Runzeln auf manche Stirn oder sorgt für das Schütteln so manchen Kopfes. Denn man mag den Experten dort einfach nur mal die verheerende Entwicklung der Emissionen von Treibhausgasen unter die Nase reiben, damit auch der letzte Verschanzte versteht, wo das Problem herkommt.
Strukturwandel jahrelang verschlafen
Nun mag man sagen, dass die Brandenburger nichts dafür können, wenn im fernen, schwarz-grün regierten NRW ein Energiekonzern völlig unsinnigerweise immer noch Braunkohle abbaggern und zu Strom verarbeiten will. Auch liegt Brandenburg, was den Ausbau der Erneuerbaren angeht, weit vorn. Doch das Bundesland fremdelt immer noch angesichts der Braunkohle im eigenen Südosten mit der Energiewende. Lange hat die Politik in Potsdam das Thema Strukturwandel in der Lausitz verpennt und muss sich jetzt mit einer Rekordzahl an Waldbränden beschäftigen, die immer mehr Geld kosten – Geld, das längst hätte in Solar- und Windkraftwerke fließen können.
Folgekosten werden sichtbarer
Tatsächlich wird in Lützerath von RWE der Brand gelegt, der in Brandenburg finanziert von Steuerzahlern wieder ausgetreten werden muss. Aber auch der Bund ist in der Finanzierung mit drin. Denn auch die Bundeswehr wird immer wieder für Löscheinsätze in Betracht gezogen. Deshalb hat Ministerpräsident Dietmar Woidke auch die Bundesverteidigungsministerin und sogar die Bundesinnenministerin mit zur Waldbrandkonferenz eingeladen. Dabei wäre hier der Klimaschutzminister Robert Habeck durchaus ebenfalls gefragt, seine konkrete Vorgehensweise vorzustellen, wie er das Ziel angehen kann, dass die Waldbrände in Brandenburg – und auch in anderen Regionen Deutschlands – zumindest nicht mehr werden.
Kohle unter Lützerath notwendig?
Doch Habeck hat alle Hände voll zu tun, das Imagedesaster von B90/Grüne angesichts des Kohledeals mit RWE zu begrenzen. Da ist immer wieder die Rede davon, dass es die letzte Braunkohle sei, die aus dem Tagebau Garzweiler entnommen wird und 2030 Schluss sei.
Dass dies noch nicht mal als Trostpflaster taugt, zeigt beispielsweise eine Studie und eine Kurzstudie von Wissenschaftlern verschiedener Institute, die sich zur Coal Exit Research Group (CERG) zusammengeschlossen haben, um den Kohleausstieg wissenschaftlich zu begleiten. „Im Abgleich mit den maximal anzunehmenden Fördermengen zeigt die vorliegende Studie, dass der Vorrat im Abbaugebiet des Hauptbetriebsplans 2020-2022 für den Tagebau Garzweiler II selbst unter konservativen Annahmen auch ohne Inanspruchnahme von Lützerath ausreichend ist, um die angebundenen Kraftwerke Neurath und Niederaußem sowie Veredelungsbetriebe bis Ende 2030 zu versorgen“, fassen die Auto:innen der Studie die Ergebnisse zusammen.
Betriebswirtschaftliche Entscheidung
Tatsächlich sei das Abbaggern von Lützerath eine betriebswirtschaftliche Entscheidung von RWE. Denn die Energiepreise sind derzeit hoch. Damit lässt sich viel Kohle mit der Kohle machen. Zudem ist der Kohleflöz unter Lützerath sehr hoch und eine Anpassung des Tagebaus sei sehr teuer. Derweil muss aber auch RWE aufpassen, dass der Imageschaden überschaubar bleibt. Tatsächlich beruft sich der Energiekonzern auf drei Gutachten, die das Wirtschaftsministerium von NRW in Auftrag gegeben hat.
Kohle, aber auch Abraum zur Rekultivierung benötigt?
Deren Autoren, die teilweise ihre Gutachten mit Daten von RWE erstellt haben, halten die Nutzung der Braunkohle unter Lützerath für notwendig. So kommt ein Gutachten der Bergbauberatungsgesellschaft Fuminco zu einer leicht geringeren Reserve an Braunkohle in den jetzt schon bearbeiteten Tagebauregionen als die Forscher der Coal Exit Research Group. Dieses Mengen sind zudem noch schwieriger abzubauen, was allerdings dem Argument der CERG nicht widerspricht, dass der Abbau der Kohle unter Lützerath zumindest aus betriebswirtschaftlichen Aspekten erfolgt. Zudem kommt Fuminco zu dem Schluss, dass der Abraum von Lützerath für die Rekultivierung der bisher entstandenen Mondlandschaft gebraucht wird.
CO2-Schleudern in NRW
Zudem beruft sich RWE auf die Tatsache, dass Lützerath dem Konzern gehört und er damit machen kann, was er will. Das ist tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Nur gehört RWE nicht die Atmosphäre, die mit dem von den Braunkohlekraftwerken ausgestoßenen CO2 belastet werden, was wiederum den Klimawandel anheizt und für noch mehr Waldbrände sorgen wird.
Rabiates Vorgehen
Um das zu verhindern, finden derzeit und auch am kommenden Wochenende Protestaktionen gegen die Verstromung der Braunkohle unter Lützerath statt. Auch hier muss RWE zusehen, dass es den Imageschaden begrenzt. In einer Pressemitteilung wendet sich der Konzern an die Protestierenden, doch besonnen zu bleiben. „Gewalt gegenüber Polizei oder eingesetzten Beschäftigten ist vollkommen inakzeptabel“, schreibt RWE in einer Pressemitteilung. Zudem solle der Rechtsstaat geachtet werden.
Dass dies von Seiten der RWE-Mitarbeiter schon gründlich schief gegangen ist, zeigen Berichte von Journalisten, die von eben diesen Mitarbeitern drangsaliert und angegriffen wurden. So berichtet der Chef der Pressegewerkschaft, Jörg Reichelt, gegenüber der Tageszeitung Taz von Übergriffen auf unabhängig berichtende Journalisten seitens der Security von RWE. Er führt dies auf die fehlende Ausbildung der Mitarbeiter zurück. (su)
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