Der regionale Windenergieverband, ein Bankvorstand sowie drei Unternehmer, die Windenergie-, Photovoltaik- und Bioenergieanlagen in Schleswig-Holstein errichten und betreiben, haben am Dienstag gemeinsam auf drohende „immense negative Auswirkungen“ durch die geplante Übererlösabgabe für Grünstromunternehmen verwiesen. Das von der Bundesregierung geplante „Gesetz zur Einführung einer Strompreisbremse und zur Änderung weiterer energierechtlicher Bestimmungen“ führe bereits zu einem Aussetzen von Investitionsprojekten „in Milliardenhöhe“, erklärte die Landesvertretung des Bundesverband Windenergie (BWE) in ihrer schriftlichen Mitteilung dazu. Den Gesetzentwurf hatten die drei Regierungsfraktionen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen am 1. Dezember in den Bundestag eingebracht.
BWE-Landesgeschäftsführer Marcus Hrach, der in Personalunion zudem als Geschäftsführer des Landesverbandes LEE der gesamten Erneuerbare-Energien-Branche fungiert, monierte: „Mit diesen Vorschlägen werden eben nicht zusätzliche Gewinne abgeschöpft, sondern die durch die Krise entstandenen zusätzlichen Umsätze.“ Die Abschöpfung ignoriere auf diesem Weg die spätestens seit Ende 2021 „teils immens gestiegenen Erzeugungskosten“ der Erneuerbare-Energien-Anlagenbetreiber. Sie würde gemäß ihrer Entwurfsfassung „massiv in die Wirtschaftlichkeit der Projekte“ eingreifen.
Der Chef des nordfriesischen Erneuerbare-Energien-Unternehmens GP Joule, Ove Petersen, warnte als Projektierer im Bereich Photovoltaik (PV): „Der Zubau von Erneuerbare-Energien-Anlagen wird durch das Gesetz zur Strompreisbremse massiv gefährdet. Solarparkbetreiber sind einst mit Preisen in die Ausschreibungen gegangen, die gerade so die Kosten deckten. Mehr nicht. Wenn bald 90 Prozent der Umsätze – nicht der Gewinne! – oberhalb der Erlösobergrenze abgeschöpft werden, ignoriert das völlig die realen Finanzierungsgrundlagen der Parks wie auch die zuletzt stark gestiegenen Kosten der Solarparkbetreiber.“
Windparkbetreiber Jörg Thordsen, Chef der Entwicklungs- und Betreibergesellschaft des Bürgerwindparks Janneby, kritisierte einen drohenden Vertrauensverlust insbesondere bei den Banken als Folge der staatlichen Sonderabschöpfung. Würden Betreiber von Windparks künftig langfristige Stromlieferverträge mit größeren Stromabnehmern abschließen wollen, sogenannte PPA-Verträge, würden Banken als Fremdkapitalfinanzierer aussteigen, so deutete Thordsen an. Projekte seien entsprechend nur noch über höhere Eigenkapitalbeteiligung der Investoren möglich. Der Bau beispielsweise eines neuen Vier-Anlagen-Windparks mitsamt seiner gesamten benötigten Infrastruktur für 40 Millionen Euro erfordere dann statt vier Millionen zehn Millionen Euro aus den eigenen Mitteln der Investoren. Vor dem Hintergrund des sehr hohen Anteils mittelständischer Investoren und der Bürgerenergiegesellschaften an den Projektierungen von Windparks in Schleswig-Holstein statt wie anderswo mehr größerer und kapitalstärkerer Investoren wie Fonds oder Energiekonzerne sei dies eine Gefahr: Demnach „bedeutet der aktuelle Gesetzesentwurf somit das Aus ihrer geplanten Projekte.“
Bioenergiewirt Martin Lass, Geschäftsführer der Bioenergie Gettorf GmbH & Co KG, sagte zudem einen Rückgang der Einspeisung hochflexibler Bioenergie-Speicherkraftwerke voraus. Weil Biogasverstromung anders als Stromerzeugung aus Windkraft und PV nicht wetterabhängig ist, muss diese in einem von fossilen Rohstoffen künftig unabhängigen Stromsystem die Lücken zwischen Einspeisung und Stromentnahme schließen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz sieht deshalb Flexibilisierungsprämien für solche Biogasanlagen vor. „Diese vorhandenen Biogasanlagen werden somit bestraft für ihre Investitionsbereitschaft in die flexible Stromproduktion und in die regionale Wärmewende“, sagte Lass.
Mit einer Gewinnabschöpfung aus dem Betrieb von Stromerzeugungsanlagen will die regierende Ampelkoalition der gemäß Parteifarben rot-gelb-grünen Regierung eine versprochene Strompreisbremse refinanzieren. Die Stromgroßhandelspreise waren in sich zuspitzenden Konflikten der europäischen Gasimportländer mit dem bisherigen Erdgashauptlieferland Russland schon 2021 und erst Recht nach dem militärischen Einfall Russlands in die Ukraine explodiert. Die Strompreisbremse soll die ebenfalls anschwellenden Strompreise der Verbraucher eindämmen. Weil die Preise im Stromgroßhandel sich gemäß den Regeln der Strom-Spotmärkte immer nach den höchsten Erzeugungspreisen wie nun in der Erdgasverstromung richten, hatten zuletzt auch Erzeugungsanlagen ohne Rohstoffbetriebskosten wie PV- oder Windenergieanlagen daran besser als vorher verdient. Bundespolitiker bezeichnen diese Erlöse in der öffentlichen Debatte deshalb als Zufalls- oder Übergewinne. Im Gesetzentwurf ist nun von „Übererlösen“ die Rede. Mit ihm sieht die Ampel vor, 90 Prozent eines pauschal errechneten Mehrertrags abzuschöpfen. Der Mehrertrag ergibt sich durch Vergleich der PPA-Vergütungspreise oder der an den Strombörsen erzielten tatsächlichen Einnahmen mit einem fiktiven Wettbewerbspreis. Den Wettbewerbsstrompreis legt der Referentenentwurf pauschal in Höhe des in der Ausschreibung für das Projekt bezuschlagten Mindestvergütungswertes plus eines Puffers von wenigen Cent fest.
Die Berechnung der angeblichen Übergewinne bilde die ungefähr zeitgleich mit dem Strompreisanstieg stark zugenommenen Kosten der Windenergieprojekte nicht ab, kritisierte Windparkbetreiber Thordsen. Während die Anschaffungskosten für Windenergieanlagen von 700.000 auf 1,1 Millionen Euro je installiertem Megawatt zugenommen hätten, demnach um deutlich mehr als 50 Prozent, hätten sich Baukosten für die Zufahrtswege und die Stromtrassen sogar verdoppelt. Und Zinsen fürs Fremdkapital hätten sich um das Dreieinhalbfache verteuert, hielt Windenergiemann Thordsen den Gewinnberechnungen des Gesetzentwurfes entgegen.
Tatsächlich dürften nicht alle Investoren neuer Wind- oder PV-Parks gleichermaßen leiden, weil der Anstieg der Windturbinenpreise erst vor knapp einem Jahr begonnen hatte und erst zu Herbstbeginn ihr heutiges Preisniveau erreichten. Auch lässt der vorhergesehene Preispuffer von konkret ein bis drei Cent pro eingespeiste Kilowattstunde (kWh) sowie weiterer sechs Prozent am aktuellen Spotmarktwert von beispielsweise 14 Cent pro kWh im November, also umgerechnet weiterer 0,8 Cent, immer noch rund 11 Cent pro kWh als Umsatz einstreichen. Wenigstens beließe das Gesetz nämlich von den so errechneten Übererlösen noch zehn Prozent bei den Anlagenbetreibern als Anreiz für gute Ergebnisse im Stromhandel. Die verbleibenden 11 Cent kämen somit noch einer Vergütungserhöhung im Vergleich zum EEG-Ausschreibungsniveau um 60 Prozent gleich oder im Vergleich zu den Vergütungen bloß aus Einnahmen aus dem Spotmarktverkauf in der Mitte vorigen Jahres – zum Zeitpunkt noch vor dem Anstieg der Großhandelsstrompreise – um sogar deutlich 100 Prozent.
Allerdings verweist der Bundes-BWE in Berlin richtigerweise auf starke Unterschiede in den Kostenstrukturen der Projekte und zwischen den erzielten Handelspreisen der einzelnen Anlagenparks. Der jedem Anlagenpark zugestandene Monatsmarktwert sei schließlich nur ein Mittelwert, den die Hälfte der Parks mehr oder weniger deutlich verpassten. Außerdem hätten manche Windturbinenkaufverträge schon zu Beginn der ansteigenden Rohstoff- und Erdgaspreise infolge des Ukrainekrieges eine der Inflation oder den Rohstoffkosten angepasste automatische Preissteigerung vorgesehen. Hinzu kämen deutlich erhöhte Preise für die Bezahlung der Stromdirektvermarkter an den Spotmärkten. Während die Erlösabschöpfung auf diese Weise manchen Projekten je nach Stromhandelspreisentwicklung die Überschüsse ganz wegzubeißen droht, kann es für neuere PPA-Vertrags-Anlagenparks ebenfalls sehr problematisch ausgehen: Bei zuletzt möglicherweise sehr hohen PPA-Abschlüssen für langfristige Stromlieferungen zu einem festen Preis könnte das Gesetz die für ihre Kreditfinanzierung durch die Banken vorgelegten Ertragskalkulationen völlig verhageln – und damit über Nacht die PPA-Projekte für die Geldhäuser als nicht kalkulierbaren Vorhaben in Misskredit bringen.
Michael Möller, Vorstand der Volksbank Raiffeisenbank Nord, unterstützte den Alarmruf der Nord-Erneuerbaren-Branche ebenfalls. Sowohl die Planungssicherheit als auch die „Parameter für eine solide Wirtschaftlichkeit“ seien bedroht. Zudem forderte er, die Politik müsse die Höchstpreise der Ausschreibungen an die erhöhten Anlagen- und Projektierungskosten anpassen. Das EEG 2023 enthält hierfür auch eine Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung.
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