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Scheer: Ausbau Erneuerbarer statt Fokus auf Emissionshandel

Das Energiesystemwende-Kolleg der Reiner Lemoine Stiftung hatte gerade zur Konferenz „Fit fürs Erneuerbare Energiesystem?“ in die Akademie der Wissenschaft ein ausgewähltes Publikum geladen. Die Konferenz stand in der Tradition des Energiedialogs vom Reiner Lemoine Institut, und hat Themen rund um die Energiewende im Bereich Transformation, Mobilität, dezentrale Energiesysteme und Gesellschaft behandelt. Ein Fokus lag auf der Identifikation und Lösung aktueller Hindernisse der Energiewende.

Philipp Blechinger vom Reiner Lemoine Institut verwies in seiner Eröffnungsrede auf eine Parallele zwischen der Konferenz und der tatsächlichen Energiesystemwende, als er anmerkte, die Konferenz sein durch Umstände wie eine Erkältungswelle und einen Munitionsfund und Sperrung der Markgrafenstraße, wo das Event stattfand, einer ziemlichen Belastungsprobe ausgesetzt gewesen. Aber, wie bei der Energiesystemwende, „am Ende schaffen wir es.“ Es kämen doch immer wieder unvorhersehbare Dinge dazu, Ukrainekrieg, Corona, die das Engagement für den Klimaschutz gefährdeten. Aber, so Blechinger: „Die schweigende Menge unterstützt uns.“ Gleichzeitig gebe es eine kleine Gruppe, die sehr laut in die Gegenwehr gehe. Er fragte, wie man es erreichen könne, dass die schweigende Mehrheit auch wieder laut wird. Schließlich ging er auf die schlechte Nachricht des Tages ein, dass das Bundesverfassungsgericht die Umwandlung des Transformationsfonds zum Klimafonds für nicht rechtens erklärt hat. Nun müsse gefragt werden, woher die 60 Milliarden Euro für Klimaschutzmaßnahmen kommen können. 

Nina Scheer (MdB, SPD) fokussierte dann im Detail in ihrer Keynote politische Weichenstellungen für die Energiesystemwende. „Wie ist die Bilanz in der Umsetzung und Tauglichkeit von Maßnahmen? Wie zielführend waren die bisherigen Maßnahmen?“, fragte sie. Das werde nach ihrer Ansicht selten analysiert. Sie wies darauf hin, dass in Diskussionen häufig eine Gleichsetzung von CO2-Reduktion und dem EU-Emissionshandelssystem ETS stattfinde. „Aber wieviel ist der ETS wirklich an der Energiesystemwende beteiligt? Wieviel haben erneuerbare Energien damit zu tun?“ Der Anreize zum Ausbau erneuerbarer Energien sei aber die maßgebliche Triebkraft gewesen. Mit Taxonomie werde zudem gerade „irre stark getrommelt für Atomenergie, für Carbon Capture and Storage (CCS) und CCU. Woher kommt die geballte Kraft?“, fragte Scheer. Natürlich sei es wichtig, dass so schnell wie möglich eine CO2-Reduktion erreicht werde. „Aber wenn man merkt, dass das alles Vorschläge sind, mit denen man das fossile Zeitalter weiterlaufen lassen kann, dann haben wir nichts gewonnen. Welche Instrument ist also zielführend?“ Die Politikerin machte also keinen Hehl daraus, dass sie dem von vielen Wissenschaftlern und Politikern hochgehaltenen ETS wenig zutraut. Allzu leichtfertig wird auf den CO2-Preis verwiesen, der schafft es aber tatsächlich kaum allen – vor allem wenn man sich vor Augen führt, wie viel Betrug und Verwässerung es hier bereits gegeben hat. 

Scheer bilanzierte die Energiesystemwende und die aktuelle Politik weiter: „Wo stehen wir unmittelbar? Wir haben dicke Erfolge im Bereich Ausbau der erneuerbaren Energien.“ Sie erinnerte in dem Zusammenhang an ihren Vater, den Regenerativvorreiter, SPD-Mann und EEG-Schöpfer Hermann Scheer, der vor 13 Jahren verstarb. Die damalige Rolle Deutschlands mit dem EEG und dem festen Einspeisetarif sei weltweit angenommen und kopiert worden. Nicht ohne Grund sei das deutsche Wort Energiewende unübersetzt geblieben. Hermann Scheer und seinen Mitstreitern sei dafür zu danken.

Beim EEG sei die Erfolgsbilanz schnell erkennbar gewesen. „Welche Maßnahmen ziehen wirklich? Was ist nicht so gut gelaufen? Man hat Instrumente, mengensteuernde Instrumente wurden mengenbegrenzende Instrumente, bis heute haben wir uns nicht erholt davon“, warnte die Politikerin. Zu spätes Handeln habe bei der PV dazu geführt, dass die Energiewende aufgehalten wurde. „Sind wir auf dem richtigen Pfad? Es besteht derzeit die Gefahr, der Atomenergie ein Trittbrett geben“, so Scheer. „Ich halte es für eine politische Aufgabe, dass man Atomenergie weiter bekämpft. Atomkraft ist darauf angewiesen, dass es staatliche Versicherungshöchstgrenzen gibt. Sonst hätte es wohl auch keine Versicherung gegeben. Eine vermeintliche Markttauglichkeit gibt es nicht.“ Auch was die Zeitachse anbelangt, von wegen man dürfe nicht technologiefeindlich sein: Erneuerbare Vollversorgung sei auf jeden Fall vor dem Zeitpunkt einer Kernfusionsnutzung erreicht, „wenn Erneuerbare nicht verwässert werden.“ 

Scheer sieht einen zu starken Fokus auf CO2-Bepreisung. Was richte der Preis unmittelbar an – dort, wo eine Lenkung nicht möglich ist? „Anders als beim Dienstwagenprivileg“, so Scheer im Nebensatz. Denn dort, bei dieser Art der fossilen Subvention, könnte man tatsächlich lenken. Sie räumte ein, dass es Situationen gibt, in denen man nachgeben müssen. „Bei der Energiepreissteigerung stand ich dahinter, dass ein Jahr Moratorium auf den CO2-Preis gelegt wurde.“ Als Lenkungsinstrument sei dieser sehr angreifbar. „Wer am meisten auf Bepreisung setzt, hat am wenigsten die schnelle Energiewende als Ziel. Wir brauchen mehr Kräfte, die die unmittelbare Energiewende voranbringt, das ist der Ausbau der Erneuerbaren“, betonte sie. Eine Maßnahme sei gerade im Bundestag beschlossen worden, so Scheer: „Nutzen statt abregeln, man habe also eine Lösung gefunden, dass Regenerativanlagen nicht mehr in dem bisherigen Maß abgeregelt werden.

Schließlich betonte die Politikerin noch, die 60 Milliarden Euro aus dem Fonds dürfe man auf keinen Fall verloren geben. „Wir müssen da jetzt eine Lösung finden, wie wir das anders hinbekommen.“

Anschließend gaben Carolin Dähling (Green Planet Energy), Matthias Kalkuhl (MCC Berlin), Philine Wedell (Dena), Anna Leipprand (Wuppertal Institut), Nadine Bethge (DUH) in kurzen Vorträgen einen Überblick über die Problematik, die in den von ihnen betreuten parallelen Workshops diskutiert werden sollte.

Anna Leipprand vom Wuppertal Institut erklärte, sie beschäftige sich mit Industrietransformation, Standorten und Energiewende. Die Industrie könne bis 2045/50 CO2-neutral werden. Grüner Wasserstoff müsse z.B. für die Stahlindustrie zur Verfügung stehen. Die Elektrifizierung der Energiewende bedeute eine Steigerung des Strombedarfs von 200 auf 3-400 TWh/a.

Leipprand fragte, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass Industrie abwandert dorthin, wo billige Energie verfügbar sei? Das sei eine berechtigte Sorge. „Aber wie schlimm wäre das?“ Zu fragen sei, ob Weiterverarbeiter auch mit abwandern – erst Stahl, dann Auto? Die Industrie sei weitgehend einig: ein schneller Ausbau der erneuerbaren Energie wird gewünscht.  Es sei eine Transformationsfrage, ob die Industrie bleiben soll.

Matthias Kalkuhl fragte zunächst: „Wo stehen wir bei der Energiewende?“ Er verwies auf die positiven Aspekte, den EU Green Deal; der ETS2 sei beschlossen. Aber auch, dass UK eine Rolle rückwärts vollzogen hat bei den Erneuerbaren.  Hinzu komme der AFD-Zuspruch; die polarisierende Debatte um das GEG. Die anstehenen Wahlen seien entsprechend besorgniserregend. Man müsse die Sachlichkeit wieder stärken. Man müsse klar sagen, dass Klimapolitik Geld kostet. Hier sei problematisch, dass ungleich verteilte Kosten entstehen, v.a. Niedriglöhner leiden demnach. „Das Klimageld kann bei vielen Haushalten nicht ausreichen.“ Aber, so Kalkuhl: Was Klimaschäden anbelangt, sei der Green Deal dazu geeignet,  140 bis 400 Mrd. Euro zu sparen, u.a. für Lebensmittelpreise. 

Philine Wedell von der Dena ging auf den Resilienz-Begriff ein. Der geplante Ausbau, der Hochlauf der Erneuerbaren, die  Verdreifachung der Regenerativleistung, wie kann das erreicht werden? „Wie kann Resilienz dafür sorgen, dass wir unsere Ziele erreichen? Woher bekommen wir Rohstoffe und Technologien? Wie abhängig sind wir?“ Es sei schon längst ein globaler Wettlauf, etwa mit dem Inflation Reduction Act der USA (IRA), der dafür sorgt, dass Ansiedelung in den USA stattfindet. Die europäische Windindustrie und ihre Zulieferer seien stark gewesen, aber Ausbau Erneuerbarer in Europe sei eingebrochen. „Hersteller sind in Schwierigkeiten; wie sollen diese wieder hochfahren?“ Es brauche nur eine geringe Unterstützung; Siemens Energy und die Kreditlinie sei das beste Beispiel. Bezüglich PV gab Wedell zu bedenken, dass China einen Anteil habe, „dass wir jetzt die Energiewende günstig umsetzen können - mit billigen Modulen.“ Aber Abhängigkeit sei die Gefahr.

Nadine Bethge von der DUH ging auf den erforderlichen Netzausbau ein. Sie führte aus, wie viele tausend km an neuen Netzen auf der Übertragungsnetz- und Verteilnetzebene nötig sind. Hinzu kommen Wasserstoffnetze. Sie lobte die Systementwicklungsstrategie SES; Mobilitäts-, Strom- und Wärmewende müssen zusammengeführt werden. „Wir brauchen ein integriertes Szenario.“

Carolin Dähling von Greenplanet Energy erklärte die Zuhörern dann, dass man zwar Erneuerbare ausbaue, „aber wir haben immer noch einen großen Anteil statischer Kraftwerke. Jetzt geht es für Verbraucher darum, wie ihre Mobilität und Wärme aussehen soll.“ Energieversorger spielten da eine wichtige Rolle als Verbindung zwischen Netzdienstleister und Verbraucher, sowie zwischen Energie und Verbraucher. „Wir steuern auf ein System mit fluktuierenden Quellen zu. Es wird komplizierter; deshalb müssen wir die Verbraucher mitnehmen.“ Energy Sharing und Mieterstrom seien hier Schlagworte. 

Mehr als 150 Expert:innen aus Politik, Wissenschaft und Praxis waren zusammengekommen. In parallelen Workshops wurde über Lösungen zu verschiedenen Themen diskutieren. Abschließend diskutierte Fabian Zuber (RLS) mit Claudia Kemfert (DIW) über die Energiesystemwende.