Noch ist jede Menge fossil erzeugter Strom im deutschen Netz und die alten Apologeten der Kernkraft regen sich immer wieder. Doch das Ziel der Bundesregierung ist klar: In wenigen Jahren soll das Stromsystem klimaneutral sein. Doch was ist ein klimaneutrales Stromsystem? Dieser Frage ist die Rainer Lemoine Stiftung nachgekommen und über 130 Experten aus der Praxis befragt.
Derzeitiges Strommarktdesign ist ungeeignet
Die Ergebnisse sind inzwischen in einem Impulspapier veröffentlicht. „Eines der wichtigsten Ergebnisse der Umfrage ist, dass das klimaneutrale Stromsystem nicht eindeutig definiert ist. Daher sollte seitens der Politik präzisiert werden, dass es dabei um 100 Prozent erneuerbaren Energien geht, betont Philipp Blechinger, Leiter des Graduiertenkolleg Energiesystemwende der Rainer Lemoine Stiftung. „Zudem muss klar gemacht werden, dass ein klimaneutrales Stromsystem nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum klimaneutralen Energiesystem sein kann.“
Außerdem sind 93 Prozent der befragten Enerigeexperten der Auffassung, dass das Strommarktdesign dringend reformiert werden muss. Eine Mehrheit von 84 Prozent der Befragten sehen das derzeitige Stromsystem als ungeeignet an, um dieses klimaneutral zu gestalten.
Ökostromausbau muss im Mittelpunkt stehen
Im Impulspapier haben die Autoren technologische Lösungen sowie gesellschaftliche und wirtschaftliche Anforderungen zusammengetragen, um ein klimaneutrales Stromsystem zu schaffen. Es gibt viel Aufholbedarf. „Es braucht in dieser Legislaturperiode Reformen, die die Weichen in Richtung Zielsystem stellen“, fordert Philipp Blechinger. „Dabei muss der zügige Ausbau von Wind und Solarenergie an erster Stelle stehen. Allerdings herrscht noch große Uneinigkeit, wie die Reform des Strommarktes ablaufen sollte. Die Rückmeldungen der Expertinnen und Experten sind jedoch in einem Punkt klar: Jede Strommarktreform muss mehr betrachten als Preisbildungsmechanismen.“
Flexibilitäten anreizen
Die Autoren des Impulspapiers haben sieben Leitplanken zusammengetragen, die bei der Gestaltung des klimaneutralen Stromsystems berücksichtigt werden müssen. So muss eine gesellschaftliche Perspektive zur Grundlage der Ausgestaltung des Stromsystems gemacht werden. Außerdem müssen die Bürger an der Energiewende und am Stromsystem stärker beteiligt werden. Im Zentrum muss der Ausbau der erneuerbaren Energien stehen, hier vor allem der Photovoltaik und der Windkraft. Da diese volatil ins Netz einspeisen, müssen dringend Flexibilitäten angereizt werden, unter anderem um den Ausbau von Speicherkapazitäten und flexiblen Ökostromanlagen zu unterstützen. In diesem Zusammenhang ist auch die Stabilität der Rahmenbedingungen extrem wichtig, um Planbarkeit für die Investoren zu schaffen.
Neues Preisbildungssystem notwendig
Zudem sollten insgesamt die Investitionsbedingungen reformiert werden. Hier geht es darum, die Refinanzierung der Ökostromanlagen auf andere Beine zu stellen. Längst hat sich gezeigt, dass das grenzkostenbasierte Preisbildungssystem an der Strombörse ungeeignet für die Energiewende und ein klimaneutrales Stromsystem herausgestellt. Lösungen dafür sind nicht so einfach. Es stehen Vorschläge wie die Abkehr vom Energy Only Marktes genauso im Raum wie die angebotsabhängigen Strompreise für die Verbraucher. Außerdem muss bei der Gestaltung des Stromsystems die Regionalität stärker berücksichtigt werden. Denn die Energiewende ist nicht nur der Umstieg von fossilen auf regenerative Erzeugungsanlagen, sondern auch die Dezentralisierung der Stromproduktion mit vielen kleinen Erzeugungsanlagen.
Das gesamte Impulspapier finden Sie auf der Internetseite der Rainer Lemoine Stiftung zum kostenlosen Download. (su)