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„Wir werden im systemischen Umstieg auf die Erneuerbaren vorankommen“

Frau Scheer, inwiefern bringt die neue Koalition in spe die Energiewende auch im Vergleich zu den von der Ampel geprägten jetzigen Rahmenbedingungen möglicherweise voran?

Nina Scheer: Vorausgesetzt, der Koalitionsvertrag findet die mehrheitliche Zustimmung der Beteiligten, werden wir im systemischen Umstieg auf erneuerbare Energien voran kommen: . Es sind eine Reihe von Aussagen zur Steigerung von Flexibilitäten, Speichern, Effektivität von Netzausbau und Netznutzung und auch Aussagen zu weiteren Planungs- und Genehmigungserleichterungen enthalten. In Kombination mit dem bereits in den letzten Jahren geschaffenen Beschleunigungsfaktoren für die Erneuerbaren kann uns dies deutlich voranbringen.  

Worauf sind Sie nach den Vorverhandlungen Ihrer Arbeitsgruppe am meisten stolz, was schmerzt Sie?

Nina Scheer: Auch wenn für mich „stolz“ nun keine zutreffende Kategorie ist: Als wertvoll erachte ich neben den genannten Dingen etwa die Aussagen, dass Ausbau und Modernisierung der Netze mit dem Erneuerbaren-Ausbau synchronisiert werden – und nicht umgekehrt, sowie, dass sich die Erneuerbaren perspektivisch vollständig am Markt refinanzieren können. Hier darf das Wort „können“ nicht überlesen werden. Die Refinanzierungs-Aussage zielt auf einen Rahmen, der genau genommen die Vollversorgung durch Erneuerbare adressiert. 

Im schon veröffentlichten Koalitionsvertrag steht, dass Sie „im Rahmen einer zügig zu überarbeitenden Kraftwerksstrategie“ einen „Bau von bis zu 20 Gigawatt an Gaskraftwerksleistung bis 2030 technologieoffen anreizen“ wollen. Was genau erhoffen Sie mit den präzisierenden Formulierungen „bis zu“ und „technologieoffen anreizen“ zu erreichen? Wollen Sie damit auch auf Kritiker eines befürchteten zu starken Zubaus konventioneller Kraftwerkstechnologien auf Basis fossiler Brennstoffe zugehen? 

Nina Scheer: Sowohl klimaschutzbedingt als auch ressourcenseitig muss allen klar sein, dass jedwede zusätzlich entstehende staatlich geförderte Kraftwerksleistung, die nicht erneuerbar befeuert wird, allein über Versorgungssicherheit begründbar ist. Insofern ist das von Ihnen zitierte „bis zu“ in Kombination mit dem Gaskraftwerke-Zubau ein wichtiger Zusatz. 

Zur Frage des Zubauvolumens und auch der betreffenden Technologien beziehungsweise einzusetzenden Ressourcen ist während der nun ja schon lange anhaltenden öffentlichen Diskussion über eine Kraftwerksstrategie nach wie vor sehr Unterschiedliches zu hören. Manche meinen, man komme an 20 GW Zubau nicht vorbei, manche meinen, man brauche kein einziges neues Gaskraftwerk. Und auch dazwischen liegende Einschätzungen gibt es. Was letztlich wirklich benötigt wird, hängt entscheidend davon ab, welche Weichen auch bei der systemischen Umstellung auf Erneuerbare gestellt werden. Die Bioenergie betreffend haben wir ja noch Ende Januar Neuregelungen beschlossen, die weitere Flexibilitäten anreizen sollen. 

Sie meinen, dass eine Flexibilisierung der Bioenergieverstromung einen mäßigenden Einfluss auf die im Koalitionsvertrag veranschlagten „bis zu 20 Gigawatt“ wird haben können? 

Nina Scheer: Wenn auch nur zu einem Teil, so ist sie geeignet, einen andernfalls bestehenden Zubaubedarf einzugrenzen. Allerdings hängt die Regelung aktuell noch in Brüssel zur Notifizierung fest. Hier wurde nun auch der Beirat der Bundesnetzagentur tätig – übrigens auch das Solarpaket aus dem letzten Jahr betreffend. 

… weil das ebenfalls bei der Notifizierung durch die Europäische Union festhängt …

Auch eine effektivere Netzauslastung, ein besseres „Nutzen statt Abschalten“, Paragraf 13k im Energiewirtschaftsgesetz, die verstärkte Einbindung von Flexibilitäten, zählen zu solchen Weichen und sind auch im Koalitionsvertrag abgebildet. Der 13 k wird zu restriktiv angewendet; anders als verbreitet unterstellt, bezieht sich die zweijährige Erprobungsphase, die in 13 k im Absatz 2 Satz 3 steht, nur auf abweichend ermöglichte pauschalierte Ausschreibungen. Im Übrigen ist es auch heute bereits eine dauerhafte Regelung, wird aber - contra legen - so bislang nicht angewendet. 

„Zu restriktiv angewendet“, wie Sie sagen, weil die Netzbetreiber den Paragrafen so auslegen, dass die effektivere Netzauslastung durch mehr Nutzen statt Abschalten wetterabhängig überschüssig erzeugterGrünstrommengen bisher fälschlich nur in zeitlich begrenzten Pilotversuchen erfolgt … Inwiefern lassen sich aber Befürchtungen der Biogas- und Kraft-Wärme-Kopplungs-Branche, aber auch Kritik seitens der Betreiber volatil einspeisender Wind- und Solarenergieanlagen widerlegen, dass neue Großgaskraftwerke, wo sie dennoch entstehen, nur „in der Mittellast rumfahren, um konkurrenzlos günstig je nach Flexibilitätsmarktregeln und Preisen nach unten und nach oben regeln zu können? Was kann hier gegensteuern?

Nina Scheer: Um es kurz zu machen: die Bedarfsgerechtigkeit … 

… gemäß Koalitionsvertrag soll die dadurch garantiert sein, dass neue Gaskraftwerke „deutschlandweit vorrangig an bestehenden Kraftwerksstandorten entstehen und regional nach Bedarfen gesteuert werden“. Ok, verstanden. Ein anderer Punkt: Die Überbauung der Netzanschlusspunkte um das Fünffache durch mehrere Technologien, so lautet eine Expertise aus der Branche, könnte dank flexibilisierter Stromerzeugung aus Biomasse eine dezentrale De-Facto-Reservekraftwerksstruktur entstehen lassen. Der Koalitionsvertrag erwähnt diese Überbauung in einem Halbsatz. Können Sie dazu schon etwas andeuten?

Nina Scheer: Die Überbauung muss konsequent verfolgt werden. Für Biomasse gilt es, die generell wachsende Relevanz von Reststoffverwertung zu stärken und insgesamt die „Tank-Teller“ Frage im Blick zu behalten. Bioenergie kann sicher deutlich mehr als heute leisten; es ist aber auch klar, dass es hier ressourcenseitige Grenzen gibt. 

Zur Erzeugung der künftig benötigten Grünstromvolumen, das weiterhin zum Großteil aus der Windkraft stammen wird: „Für die Akzeptanz vor Ort stellen wir die Steuerungswirkung von Windenergiegebieten sicher, im Einklang mit den bestehenden Mitwirkungsrechten der Kommunen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Wollen Sie diese Mitwirkungsrechte etwa stärken oder umgestalten? 

Nina Scheer: Die Beteiligung vor Ort und der Kommunen hat nachweislich positive Effekte auf den Umgang der Menschen mit räumlichen Veränderungen. Zugleich ist auch klar, dass Fragen, die kommunal nicht zu entscheiden sind, auch nicht durch kommunale Entscheidungen verändert werden können. 

Bei der Windenergie wurden übrigens nun im Wege der abschließenden Gesamteinigung unserer Fraktionen, nachdem wir als Arbeitsgruppen unsere Verhandlungsergebnisse abgeliefert hatten, auch Aussagen aufgenommen, die im Ergebnis jedenfalls kein Hemmnis für die Energiewende entfalten dürfen: Darauf wird gesondertes Augenmerk zu legen sein. Ich meine zum Beispiel die im Koalitionsvertrag nun angekündigte Prüfung befristeter Engpassgebiete sowie die angekündigte Evaluierung des Flächenziels für ausgewiesene Windkraftnutzungsgebiete im 2032.

Die Genehmigungsbehörden sollten „vor überbordenden Schadensersatzforderungen“ geschützt sein – durch wen?

Nina Scheer: Das ist eine Frage der Ausgestaltung.

Wie verhindern Sie, dass eine geplante Überprüfung des Referenzertragsmodells „unter anderem hinsichtlich unwirtschaftlicher Schwachwind-Standorte“ die gerade erst einsetzende Windkraftprojektierung in Süddeutschland wieder einbremst? Das Referenzertragsmodell sieht ja einen prozentualen Vergütungsaufschlag für Windparks abhängig vom Windaufkommen vor, damit Projektierer an weniger windhöffigen Standorten wie in Süddeutschland im Ausschreibungswettbewerb fair mitbieten können?

Nina Scheer: Auch hier ist von einer Überprüfung die Rede. Auch die künftige Ausgestaltung des Referenzertragsmodells muss neben der auch preislichen Notwendigkeit, schnellst möglich auf Erneuerbare umzusteigen, letztlich dem Anspruch einer Beibehaltung der einheitlichen Strompreiszone gerecht werden, sollte also den Windenergieausbau im Süden nicht eingrenzen. 

Wie wollen Sie Flächenpachten für neue Windparks begrenzen – auch so ein von Schwarz-Rot genanntes Ziel?

Nina Scheer: Überhöhte Pachten sind eine inzwischen unüberhörbare Anforderung. Das „Wie“ ist eine Frage der Ausgestaltung. Wo gefördert wird, darf es im Ergebnis jedenfalls - salopp gesprochen - keine unanständigen Pachtzinsen geben.

Der Koalitionsvertrag nennt viele solche wünschenswerten Verbesserungen, ohne zu definieren, wie Sie es erreichen wollen und wie Sie die daraus eventuell drohenden wirtschaftlichen Nebenwirkungen vermeiden können. Noch ein Beispiel: Bei Offshore-Windenergie sollen künftig „erzeugungsoptimale Flächenkulissen“ entstehen. Das aber wäre doch gleichbedeutend mit einem reduzierten Ausbau an Erzeugungskapazität unterhalb der bisherigen Ausbauziele, weil weniger Windturbinen auf die gleichen schon vorgesehenen Entwicklungsflächen kommen dürfen?

Nina Scheer: Es muss um eine den Zielen gerecht werdende Ausgestaltung gehen. 

Von einer Neuregelung der Ausschreibungskriterien für die Meereswindkraft weg von den sehr stark preisgetriebenen hin zu qualitativen Kriterien – wie es die Branche wünscht – ist auch nichts zu lesen, stattdessen von hybriden Netzanschlüssen, die vermutlich Handelspreise für Meereswindstrom drücken werden. Müssten Sie nicht mehr tun, damit heimische Wertschöpfung faire Bedingungen erhält? 

Nina Scheer: Nicht erst mit den jüngeren handelspolitischen Entwicklungen ist klar, dass die heimische wie europäische Wertschöpfung gegenüber verzerrenden Eingriffen geschützt werden muss. Der Koalitionsvertrag sieht auch Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz vor. 

Sie denken, dass eine Stärkung des Landes oder der EU im Wettbewerb oder in Konflikten mit anderen Weltregionen diese Wertschöpfung auch in Erneuerbare-Energien-Bereichen sichern würde? Dazu passt dann vielleicht, dass auch wohl ein geschützter abgesenkter Industriestrompreis kommt. Wie verhindern Sie aber, dass der abgesenkte Industriepreis ungewollt den Markt für langfristige freie Stromabnahmeverträge der Grünstromerzeuger mit Unternehmen stört?

Nina Scheer: Es geht mit dem Industriestrompreis darum, angesichts weltweit deutlich anwachsender handelsseitiger Herausforderungen, europäische wie heimische Investitionssicherheit zu schaffen. Eingriffe dieser Art rechtfertigen sich aber selbstredend nur insoweit sie selbstwirksame Mechanismen mit ebenbürtigen Preissenkungseffekten auf dem Weg der Energiewende nicht hemmen. 

Wird es analog zum Stromsektor auch Speicher- und Wasserstoffziele in Verbindung mit Ausschreibungen für den regelmäßigen Zubau von Kapazitäten geben müssen?

Nina Scheer: Man sollte die Frage von Ausbauzielen nicht mit Instrumentendebatten vermengen. Wir brauchen jedenfalls mehr Erneuerbare - den vollständigen Umstieg auf Erneuerbare - Speicher, Flexibilitäten und auch grünen Wasserstoff. Was die Instrumente betrifft, gibt es zu berücksichtigende EU-Vorgaben, aus denen ich allerdings nicht erkenne, dass der Weg über Ausschreibungen die einzige zulässige Option wäre. Geht es nach erfolgsbewährten Erfahrungswerten, sollte man sich bei der Instrumentenwahl an den positiven Effekten des Einspeisevergütungssystems orientieren, das dann künftig EU-seitig mit einem Clawback-Mechanismus auszugestalten ist.

Ein weiterer mit dem Koalitionsvertrag bevorstehender Prozess betrifft übrigens das verständigte Monitoring. Angesichts der seit einigen Wochen laufenden Strommengen-Diskussion wird es bei diesem Monitoring darauf ankommen, die sektorübergreifend künftig definitiv wachsenden Bedarfe an Strom zukunftsgerecht abzubilden. Andernfalls könnten die Ausbauziele der Erneuerbaren in Frage in Frage gestellt werden. Und das wäre ein fataler Rückschritt, auch für die Energiesicherheit unseres Landes.