Kontaktverbote, zusätzliche Hygienemaßnahmen und die Stilllegung großer Teile des öffentlichen Lebens stellen viele Unternehmen vor Herausforderungen. Auch Energieversorger und Stadtwerke erleben jetzt, dass sich Investitionen in digitale Lösungen auszahlen. So kann die Steuerung des Netzes mittlerweile bei vielen Versorgern „remote“ erfolgen, wie z.B. bei der Alliander Netz Heinsberg. Der Netzbetreiber im Kreis Heinsberg hatte schon im Vorfeld der Pandemie stark auf Digitalisierung gesetzt, konnte somit gut auf die neuen Anforderungen reagieren und gilt in der Branche als Pionier in der Bewältigung dieser neuartigen Krise.
Gerade Regionen wie Heinsberg, die einen hohen Anteil an regionalen erneuerbaren Energien im Strommix haben, profitieren von der Transparenz und Sicherheit, die mit digitalen Lösungen geschaffen werden. Denn im Gegensatz zur klimaintensiven Stromerzeugung spielen bei dezentral organisierten Energieanlagen regionale Vernetzung und digitale Dienstleistungen eine Schlüsselrolle. Einerseits wird die Digitalisierung in der Energiewirtschaft vorangetrieben, andererseits die lokale Wertschöpfung aufgrund der Nutzung lokaler Ressourcen gestärkt und die Wahrnehmung der Energiewende vor der Haustür bei Verbrauchern aufgebaut. Energieversorger sollten diese Erkenntnis nutzen und jetzt die Weichen für eine nachhaltige Stromgewinnung vor Ort stellen.
Mit erneuerbaren Energien die Wirtschaft stimulieren
Unterstützung für die Umsetzung der Energiewende fordert die Branche dabei aus der Politik. In vielen Ländern werden aktuell Rettungsgelder an Unternehmen ausgezahlt, die aufgrund der Pandemie unter ausbleibenden Aufträgen oder anderen Einbußen leiden. Diese Zahlungen sollten aber im Hinblick auf die Pariser Klimaziele begünstigt an klimafreundliche Unternehmen fließen, empfehlen Experten, wie z.B. Claudia Kemfert vom DIW.
Mehr als 180 Wirtschaftsverbände, Unternehmen und Umweltschutzvereine haben kürzlich einen Aufruf für milliardenschweren Konjunkturhilfen für die Einhaltung der Klimaziele gestartet und davor gewarnt, aufgrund von Corona die geplante Energiewende aufzuschieben. Auch Hans-Josef Fell, Autor des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes, spricht sich für Lösungsansätze aus, die sowohl die Wirtschaft stimulieren als auch das Klima schützen sollen. Beides vereinen Erneuerbare Energien, deren Ausbau auch zu Krisenzeiten auf keinen Fall in Frage gestellt werden sollte. In einem kürzlich im Spiegel Magazin vorgestellten Papier schlägt Fell ein neues Gesetz vor, dass durchgehende Strom- und Wärmelieferungen aus erneuerbaren Energien gezielt mittels einer fixen Vergütung fördern soll.
Mit digitalen Plattformen und neuen Fördermodellen das Klima schützen
Diese sogenannte Kombikraftwerksvergütung macht erstens die Fähigkeit zur ständigen bedarfsgerechten und damit flexiblen Erzeugung auch in Zeiten in denen Wind und Sonne relativ wenig verfügbar sind zur Voraussetzung und erlaubt zweitens die Einbindung beliebiger Technlogien der Sektorkopplung. Hierzu gehören Wärme- und Stromspeicherung, und unter anderem auch die Wasserstofferzeugung als sekundärer Energieträger. Digitale Plattformen spielen dabei für die Steuerung der verschiedenen zum Teil räumlich getrennten technischen Einrichtungen und deren Energieflüsse ebenso eine zentrale Rolle wie für die Abrechnung und Verbindung mit dem herkömmlichen, zentral organisierten Energiesystem.
Mit dem von Fell vorgeschlagenem Modell hätten auch ältere Anlagen nach Auslaufen der EEG-Förderung eine Perspektive. Eine klare Gesetzeslage, die eine feste Vergütung vorschreibt, führt zu mehr Investitionssicherheit, die wiederum zu einem nachhaltigen Wirtschaften im ökologischen wie ökonomischen Sinne beiträgt. Zur erfolgreichen Umsetzung solcher Fördermodelle eignen sich u.a. Energieplattformen, indem sie zur Visualisierung der relevanten Rahmenbedingungen herangezogen werden können. Außerdem können sie „Enabler“ vor Ort für mehr Transparenz beim Verbraucher sorgen sowie die Akzeptanz für die lokale Energiewende erhöhen. Denn den Appell des Europäische Rats an die Kommission, die europäische Wirtschaft nach der Pandemie möglichst schnell wieder in Richtung nachhaltiges Wachstum und grünen Wandel zu bringen, ist nur mit dem verstärkten Ausbau von Erneuerbaren Energien zu schaffen.
Klimafreundliche Energiewirtschaft als „das neue Normal“
Mit der wachsenden öffentlichen Aufmerksamkeit für Klimafragen haben sich etablierte Geschäftsmodelle bereits stark gewandelt. Nicht zuletzt die Digitalisierung und die Sharing Economy sind treibende Kräfte, mit denen dieser Prozess Fahrt aufnimmt. Der Trend geht klar in Richtung sauberer Energie und mehr Nachhaltigkeit. Versorgungsunternehmen sollten das nutzen, um gestärkt aus der Krise zu gehen, indem sie in den Ausbau regionalen Grünstroms investieren.
Der Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromproduktion steigt. Erst im März 2020 lag er bei über 50 Prozent des deutschen Strommixes. Aber auch die Nachfrage nach Ökostrom nimmt laut Verivox seit einem Jahr wieder zu. Ursache dafür ist möglicherweise der „Greta-Effekt und der Wunsch vieler Stromkunden, auf emissionsarme Alternativen zu fossilen Brennstoffen und Kohleverstromung umzusteigen. Für viele gehört die klimaschädigende Energiegewinnung der Vergangenheit an. Durch den gesellschaftlichen Druck stellen mittlerweile auch mehr Firmen auf erneuerbare Energien um oder installieren sogar eigene Anlagen auf den Industriegeländen.
Stromhandel mit Erneuerbaren Energien in Echtzeit, der Transparenz und Nachhaltigkeit priorisiert, gewinnt an Attraktivität und Akzeptanz. Für Energieunternehmen allgemein und Stadtwerke im Besonderen ist die Corona-Krise ein Weckruf. Die Weichen für regionale und digitale Erneuerbare Energien müssen jetzt gestellt werden, um nicht von anderen Akteuren und Geschäftsmodellen an den Rand gedrängt zu werden und einen großen Teil zum klimafreundlichen Wirtschaften und zur „neuen“ Realität beitragen zu können.
Autorin: Joyce van de Garde, Leiterin Digitalisierung und Innovation bei Alliander
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