Andy Sommer, Teamleader Fundamental Analysis and Modelling beim europaweit führenden Grünstromvermarkter Axpo aus der Schweiz, brachte die einmalige dramatische Situation der Preisentwicklung auf den Energiemärkten beim von ERNEUERBARE ENERGIEN veranstalteten Webinar (siehe Video) mit Axpo auf den Punkt: Der Strompreisanstieg auf den Future-Märkten habe bei Lieferungen für die Jahre 2022 und 2023 nach einem extremen Anstieg bis Anfang dieser ersten vollen Dezemberwoche schon ein Niveau von 140 Euro pro Megawattstunde (MWh) erreicht, referierte Sommer. Nur zwei Tage später sei er Mitte der Woche, am Tag des Webinars, auf 180 Euro gesprungen.
Haupttreiber der aktuellen Preisrallye ist gemäß dem Urteil bei Axpo der unter verschiedenen Einflüssen unter Druck geratene Gasmarkt: die nach dem Einbruch der Gaspreise während der Wirtschaftskrise unter den weltweiten Coronapandemie-Bekämpfungsmaßnahmen auf den Gastiefpreis reagierende starke Nachfrage, der Gashunger der zuerst in Asien wieder anziehenden Wirtschaft, der Abzug der Flüssiggashandelsmengen nach Asien bei sich leerenden Gasspeichern in Europa, die umweltpolitisch gewollte Reduktion der Gasausbeutung in den Niederlanden, die aus außenpolitischen Gründen gestoppte Pipeline-Gaszufuhr aus Algerien nach Spanien, die weiter ausstehende Inbetriebnahme der Gaspipeline North Stream 2 für russisches Erdgas, das Ausbleiben von Inbetriebnahmen neuer Gasfelder. Die Gasspeicher quer durch Europa seien dadurch auf Tiefststände ihrer Füllhöhe gefallen, erklärte Sommer. Es werde daher noch einige Jahre dauern, bis sich frühere Füllstände wieder erreichen ließen. Ab 2024 und 2025 könnten neue Flüssiggasvolumen aus Importen aus den USA und Katar wieder hinzukommen und die Situation der Gasversorgung wieder komfortabler werden lassen.
Infolge der knappen Gasbestände müssten Kohlekraftwerke europaweit einspringen. Der höhere Bedarf an Emissionsrechten sorge für einen Anstieg der Zertifikatspreise höher als erwartet. Bei zeitgleichem Anziehen der Emissionspreise durch Entzug von Zertifikaten aus dem Markt durch die Europäische Union (EU) sowie unter den verschärften EU-Klimazielen einer Reduktion der jährlichen CO2-Emissionen in Europa um 55 Prozent statt nur 40 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990 sei ein nachhaltiger CO2-Tonnen-Handelspreis von 100 Euro zu erwarten, erklärte Axpo-Experte Sommer. Dies werde dazu führen, dass sich die Strompreise nach einem zu erwartenden Rückgang der Teuerung zu Mitte der 2020er Jahre wieder stabilisierten. Die Axpo-Prognose sieht hier Erzeugungskosten von Strom aus Gaskraftwerken von rund 80 Euro pro MWh vor, nach 160 Euro derzeit, wobei 2030 fast die Hälfte der Preishöhe aus den CO2-Zertifikaten kommt.
Gaskraftwerke dienen nämlich als Grundlastkraftwerke der Orientierung im Strompreishandel. Dennoch bleibt zu berücksichtigen, darauf verweist Sommer, dass die Zahl der Stunden im Jahr mit bloßer Grünstromversorgung bei ausreichend Wind und Sonne stetig zunehmen werde – und diese „Nullkostenanlagen“ dann den Strompreis drückten. Von derzeit etwa 100 Stunden im Jahr nehme das Niveau auf 600 zur Mitte des Jahrzehnts und auf 2.000 bis 2030 zu. Ebenfalls zu berücksichtigen in den Preiskalkulationen ist gemäß Axpo-Modellierungsleiter Sommer die zunehmende Volatilität der Einspeisungen, durch die sich Phasen mit hoher Grünstromeinspeisung rasch mit nachlassender Grünstromeinspeisung abwechseln werden. Entsprechende Preissprünge könnten folgen.
Lesen Sie mehr über die Erkenntnisse aus dem Webinar mit den Axpo-Experten in der Ausgabe 1/2022 der ERNEUERBARE ENERGIEN . Dort berichteten wir auch von den Seminarvorträgen durch Johannes Pretel, den Head of Origination Deutschland, über die eigentlichen Treiber der Stromhandelspreise von Wind- und Solarenergieanlagen, sowie durch den Senior Originator Janosch Abegg über die wichtigen Stellschrauben in der Preisbestimmung bei den PPA-Vertragsverhandlungen.