Nicht ohne Grund erschien gerade 2004 ein Bericht für Greenpeace, der die Gegenmaßnahmen bei einem Terrorangriffe auf deutsche Atomkraftwerke bewertet. Damals sah man nach 9/11 plötzlich die Gefahr, dass Terroristen wie im Fall des World Trade Centers genauso gut auch in ein Atomkraftwerk fliegen könnten. Es gab sogar Überlegungen, dass Windparks rund um Atomkraftwerke einen flachen Anflug auf ein Atomkraftwerk verhindern könnten.
Jetzt sehen wir durch den Angriff auf Europas größtes Atomkraftwerk Saporischschja in der Ostukraine, wie verwundbar uns die Atomkraft macht. Das Kernkraftwerk hat insgesamt sechs Blöcke vom sowjetischen Typ WWER-1000/320. Diese haben eine elektrische Nettoleistung von jeweils 950 Megawatt und eine thermische Leistung von je 3.200 Megawatt. Die thermische Gesamtleistung der Anlage von fast 20 Gigawatt erfordert enorme Mengen Kühlwasser, die dem Fluss Dnepr, welcher an dieser Stelle extra verbreitert wurde, entnommen werden. Die Leichtwasserreaktoren haben eine elektrische Gesamtleistung von 5.700 Megawatt netto (6.000 MW brutto) und bilden somit zusammengerechnet die leistungsstärkste Kernkraftwerksanlage Europas.
Wie nach einem Atomunfall ist plötzlich wieder fast allen (Bayerns Ministerpräsident versucht es grad wieder mit Laufzeitverlängerung) völlig klar, warum die Atomkraft nicht das Allheilmittel gegen den Klimawandel sein kann: Die Technologie birgt Risiken, die wir niemals ausschließen können – mit möglichen Auswirkungen, die so verheerend sind, dass sie ganze Kontinente unbewohnbar machen kann. Das Atomkraftwerk ist die Atomwaffe, die wir auch durch Abrüstungsverträge nicht loswerden. Es sei denn, die Politik versteht diese Lektion jetzt endlich. Zum Beispiel sollte die EU erkennen, dass sie einen Fehler macht, Atomkraft als grüne Technologie gegen CO2 anzuerkennen.
In der Ukraine haben wir gesehen, dass Putin vor Kriegsverbrechen nicht Halt macht. Er wird vielleicht zufrieden sein, wenn in der Ukraine kein Stein mehr auf dem anderen liegt, Menschen in Massen gestorben oder geflohen sind und die Regierung durch russische Marionette ausgetauscht wird. Vielleicht ist er dann zufrieden. Solange das aber nicht der Fall ist, müssen wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die vier am Netz befindlichen Atomkraftwerke Ziel seiner Angriffe sein könnten. Sowie auch der Tschernobyl-Sarkophag. Und es muss nicht einmal so sein, dass eine Bombe auf ein Atomkraftwerk fällt oder ein Flugzeug dort hineinfliegt. Derzeit läuft die Stromversorgung in der Ukraine offenbar als Inselnetz. Sie ist von Europa, aber auch von Russland abgeschnitten. Das heißt, wenn die Stromversorgung sabotiert wird und auch die Notstromversorgung schlapp macht, können Brennstäbe vielleicht nicht mehr gekühlt werden und es kann zur Kernschmelze kommen.
Das ist ein Schockmoment – wie Weihnachten 2016 am Breitscheidplatz in Berlin. Damals hatte man auch nicht damit gerechnet, dass auf diese Weise mitten in Berlin Anschläge verübt werden könnten. Der Terror hat viele Gesichter. Betonpoller sollen die Weihnachtsmärkte schützen. Doch wie schützt man ein Atomkraftwerk? Der Bericht zu den Gegenmaßnahmen, der 2004 für Greenpeace angefertigt wurde, beschäftigt sich unter anderem mit Vernebelungskonzepten. Diese werden an den Beispielen Biblis und Brunsbüttel auf Schwachstellen geprüft. In dem Bericht heißt es, das Konzept sei vom Bundesumweltministerium als nicht ausreichend eingeschätzt worden. Als weitere Idee befand das damalige BMU tatsächlich die Errichtung von Objekten außerhalb der Atomanlage als wirksame Maßnahme zur Reduzierung der Zielerreichbarkeit bzw. der Höhe der einwirkenden Kräfte sein. Für eine weitergehende Bewertung seien vertiefte Untersuchungen zum Pilotenverhalten durch entsprechende Experten unter Einbeziehung von Kosten/Nutzenanalysen erforderlich, so das BMU damals. Jetzt, wo die Gefahr greifbar ist und entsprechend Schutzmaßnahmen in der Ukraine kaum vorhanden sind geschweige denn bei Panzerbeschuss helfen würden, ist es fast schon unangemessen über Kosten zu reden. Aber natürlich kann sich jeder denken, dass Nebel und Türme rund um AKW die Meiler nicht billiger machen würden.
Jetzt muss man einfach hoffen, dass der Krieg in der Ukraine enden wird, bevor Putin diese Europa vernichtende Keule hervorholt.
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