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Versorgungssicherheit

Hochtemperaturspeicher heizt Wohnungen mit Grünstromspitzen

Tilman Weber

Seit Beginn der neuen Heizperiode in diesem Herbst wärmt der 2,4 Megawattstunden (MWh) Heizladung bunkernde Hochtemperaturspeicher die Mehrfamilienhäuser im Wohnquartier Tegel Süd mit CO2-freier Energie. Der in seinem Inneren mit Stickstoff als Wärmetransportmittel umspielte Energiewandler springt immer dann an, wenn Wind- und Photovoltaikanlagen in Wettersituationen mit viel Sonne beziehungsweise viel Wind für Einspeisespitzen im Stromnetz sorgen. Mit dem im Stromnetz nicht benötigten und preisgünstigen Überschussstrom heizt die Anlage den eingeleiteten kalten Stickstoff auf. Das erhitzte Gas heizt wiederum in den Container eingestellte senkrechte Stahlplatten als eigentliche Energiespeicher auf bis zu 650 Grad Celsius. Den nach seinem Strömungsdurchlauf heißen Stickstoff leitet die Anlage durch ein Rohr zu einem Wärmetauscher. Und der Wärmetauscher erhitzt auf seiner Wärmeabnahmeseite den Dampf einer Nah- oder Fernwärmeleitung. Oder er kann auch heißen Wasserdampf zum Antrieb einer Dampf-Stromturbine erzeugen, um in windstillen und zugleich sonnenarmen Stunden einen Teil des zwischengespeicherten Grünstroms zurück zu speisen.

Die Energieministerien der Bundesländer Brandenburg und Berlin würdigten am Freitag die Innovation dieses sogenannten Hochtemperatur-Stahlspeichers, hinter dem das Berliner Unternehmen Lumenion steht. Sie bestimmten es zu einem der fünf Preisträger ihres jährlich vergebenen Innovationspreises.

Preiswürdig ist der Tegeler Stahl-Energiespeicher vor allem aufgrund der ihm zugedachten Funktion im Energiesystem – und aufgrund eines zu erwartenden hohen Wirkungsgrades. So soll die Hochtemperatur-Anlage immer dann Grünstrom zum Aufladen nutzen, wenn dieser sonst aufgrund zu hohen Überschusses und zu geringem Verbrauchs weggeschmissen werden müsste. Anstatt dass Betreiber des Übertragungs- oder des Verteilnetzes die Windturbinen und Photovoltaikanlagen als Notmaßnahme abschalten, sollen sie so bei viel Sonne und Wind weiter produzieren und den Speicher beladen können.

Noch handelt es sich bei dem Lumenion-Modell um eine kleine Anlage, deren Energie auch für die Beheizung der 362 angeschlossenen Wohnungen in der Berlin-Tegeler-Siedlung nicht ausreicht. Ein Blockheizkraftwerk mit Gaszufuhr versorgt die Wohnanlage weiterhin, sie muss allerdings nun weniger oft anspringen als bisher, was die CO2-Emissionen der Wärmeversorgung senkt. Schon bald sollte nach den ursprünglichen Plänen ein 40-MWh-Modell in Betrieb gehen. Noch größere Anlagen mit mehreren 100 MWh bis hin in den Gigawattstundenbereich sind als mittelfristige Ziele offenbar schon anvisiert, um dann auch Abschaltungen von Wind- und PV-Parks reduzieren oder gar verhindern zu können.

Noch sind zudem Speicher nicht marktfähig, da auch der Stahlspeicher durch Umlagen und Abgaben auf den Strompreis mit Extrakosten von 15 Cent pro Kilowattstunde (kWh) belastet würde. Das im Forschungsprogramm Windnode und durch die Europäische Union geförderte Berlin-Tegeler-Speicherprojekt hingegen sollte im Umsetzungszeitraum von Oktober 2018 bis Oktober 2020 nachweisen, dass es funktioniert. In einer kleineren Variante im Netzsimulationslabor der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin mit 450 kWh Speicherkapazität erprobten die Projektpartner Lumenion, Energiekonzern und Netzbetreiber Vattenfall sowie Wohnungsgesellschaft Gewobag die Reaktionsfähigkeit der Anlage auf schnell eintretende Einspeisespitzen. In der Wohnanlage stellten sie den Speicher auf seine Nutzbarkeit ein. Sie besitzt dort indes noch keine Dampfturbine zur Verstromung. Diese soll erst bei den nächsten größeren Varianten hinzukommen.

Bisher zeigte die Anlage auch ihre technologischen Vorzüge. So kann sie gemäß den Angaben von Lumion bei einer Befreiung der Anlage von Umlagen und Abgaben auf den Strommarktpreis ihre Energie für bereits zwei Cent pro kWh bereitstellen. Die hohe Wettbewerbsfähigkeit führen die Macher von Lumion auf die guten technologischen Eigenschaften des Hochtemperaturspeichers zurück: Die Funktionstüchtigkeit der Anlage lässt mindestens 40 Jahre Betriebszeit erwarten, weil die Stahlelemente auch bei hoher Lade- und Entladefrequenz kaum altern – also nicht abnutzen. Dies wäre nicht zuletzt ein Vorteil im Vergleich zu herkömmlichen chemischen Batterien. Zudem ließe sich der Stahl nach seiner Nutzung recyceln und damit noch einmal zu Geld vermachen. Die zusätzliche Stromrückgewinnung soll dank der hohen Temperaturen bei einem Wirkungsgrad von bis zu 25 Prozent möglich sein, während die Anlage zugleich eine Restwärme von deutlich über 100 Grad Celsius immer noch für die Wärmeversorgung der Wohnanlage abgeben könnte. Den Gesamtwirkungsgrad taxiert das Unternehmen bei rund 95 Prozent.

Das Start-Up Luminion ist eine Gründung des Solar- und Batteriepioniers Alexander Voigt. Der erfahrene Erneuerbare-Energien-Unternehmer hatte 1996 das Solarunternehmen Solon und zehn Jahre später die Batteriefirma Younicos gegründet. Nachdem Voigt 2015 Luminion ins Leben gerufen hatte, waren Ende 2019 im Rahmen der Partnerschaft mit Vattenfall auch der Vattenfall-Manager Hanno Balzer und im Oktober 2020 der Stahlbauunternehmer Peter Kordt als weitere Geschäftsführer hinzugekommen. Seit 28.10. ist Voigt nicht mehr Geschäftsführer und hat damit das Ruder an Balzer und Kordt übergeben.

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