Mit kleinerem Brimborium ging in diesem Jahr der Petersberger Klimadialog über die Bühne. Seuchenhygienisch korrekt im Videochat haben sich 30 Minister aus aller Welt auf Einladung von Bundesumweltministerin Svenja Schulze und dem britischen Wirtschafts- und Energieminister Alok Sharma über die kommenden Schritte zum Klimaschutz verständigt. Auch die Kanzlerin war virtuell zugegen und fordert in ihrer Rede klimafreundliche Investitionen in zukunftsfähige Technologien.
Sie pocht darauf, das Klimaschutzabkommen von Paris weiter im Blick zu behalten. Entsprechend solle die Unterstützungen der Industrie zur Bewältigung der Coronakrise an Klimaschutzkriterien gebunden sein, verspricht sie. „Es darf nicht am Klimaschutz gespart werden. Ökologie und Ökonomie müssen zusammen gedacht werden”, sagt Merkel nicht nur mit Blick auf die schwindende Biodiversität als eine der Ursachen, warum sich Pandemien wie die derzeitige ausbreiten können. Zusätzlich bezieht sie sich mit ihren Ausführungen auf die 17 Ziele einer nachhaltigen Entwicklung, auf die sich die Agenda 2030 stützt, die von den Mitgliedsstaaten der UNO im September 2015 verabschiedet wurde.
Solar und Wind sind preiswerter geworden
Eines der Ziele ist der Umstieg auf bezahlbare und saubere Energieversorgung. Konkret bedeutet das einen stärkeren Einsatz erneuerbarer Energien. Schließlich sind diese nicht nur sauber. Photovoltaik und Onshore-Windkraft sind inzwischen im Neubau auch die preiswertesten Möglichkeiten, Strom zu erzeugen. Das hat eine aktuelle Studie von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) bestätigt. Die kosten für den Solarstrom sind im vergangenen Jahr weltweit um weitere vier Prozent gefallen. Die Onshore-Windkraft sind in im gleichen Zeitraum sogar um neun Prozent zurückgegangen. In Deutschland sind hier Preise von durchschnittlich fünf Cent pro Kilowattstunde.
Bürger zu reinen Verbrauchern degradiert
Gut gebrüllt, Löwin, möchte man der Kanzlerin zurufen. Einzig das Rudel zieht nur widerwillig mit. Die Bremser sitzen – wie schon lange – im Bundeswirtschaftsministerium. Zwar betont auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), dass der Green Deal der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle bei der Wachstumsstrategie nach der Coronakrise spielen müsse. Doch dass eine Energiewende nur dezentral und von den Bürgern getragen ihren Namen verdient, ist in Berlin noch nicht angekommen. Altmaier sieht in großenergiewirtschaftlichen Projekten das Heil der Welt. Wenn Ökostrom, dann doch lieber aus einem großen Offshore-Windpark, der zwar wichtig, aber alles andere als von Bürgern getragen ist. Zumal im aktuellen Änderungsvorschlag des EEG aus dem Bundeswirtschaftsministerin eine Anhebung der Ausbauziele generell, aber auch für die Offshore-Windkraft fehlt, um die leere Worthülse Altmaiers auch mit Inhalt zu füllen. Speicher? Lieber nicht als Batterie im Keller, sondern doch besser großindustriell und zentral in Form von Wasserstoff.
Photovoltaik nicht mehr auf der Rechnung
Die Photovoltaik kommt hier gar nicht mehr vor. Inzwischen ist aber nicht nur die Solarbranche aufgebracht über die Untätigkeit von Wirtschaftsminister Altmaier, den weiteren Ausbau der Photovoltaik in Deutschland durch das einfache Streichen des Förderdeckels zu ermöglichen. „Wir brauchen mehr und nicht weniger erneuerbare Energien. Diese Entwicklung gilt es, politisch konsequent zu unterstützen und dabei keine Spielchen zu treiben”, sagt Florian Henle, Geschäftsführer des Münchner Ökoenergieversorgers Polarstern, mit Blick auf den Versuch der CDU, der Abschaffung des Förderdeckels nur zuzustimmen, wenn die SPD im Gegenzug größeren Abständen bei der Onshore-Windkraft zustimmt. „Einerseits wird die Verbreitung strombetriebener Anlagen und Geräte gefördert, andererseits unterbleiben Maßnahmen, die ihre klimafreundliche Energieversorgung konsequent unterstützen”, beklagt Florian Henle.
Klimawandel ist die Herausforderung
Auch Markus W. Vogt, Geschäftsführer der Aream Group, einem Assetmanager von Ökostromanlagen, ist entsetzt über die Betonköpfe, die den Coronavirus gegen den Klimaschutz in Stellung bringen. „Wenn jetzt die Auto- und andere Industrien fordern, dass Maßnahmen zur CO2-Reduzierung aufgeschoben werden, weil sie den Wiederaufbau der Industrie behindern, arbeiten sie am Thema vorbei, verkennen die Realität und zeigen sich als selbstsüchtige und profitversessene Dinosaurier”, betont er. „Eine Pandemie, wie wir sie gerade erleben, stellt uns als Menschheit vor große Herausforderungen. Der Klimawandel wird uns leider vor noch größere Schwierigkeiten stellen.”
Industrie: Ruf nach Staatsbeihilfen – aber ohne Staat
Tatsächlich scharren die Untoten der alten, fossil angetriebenen Wirtschaft mit den Füßen und fordern Staatshilfen ohne auch nur einen Millimeter Fortschritt damit zu verbinden. So fordert der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Klimaziele für 2030 auf den Prüfstand zu stellen, damit die Unternehmen die Staatsbeihilfen in Geschäftsmodelle aus dem vergangenen Jahrtausend stecken können. Sicherlich ist die wirtschaftliche Lage derzeit verändert, wie BDI-Vize Holger Lösch richtig darstellt. Doch die Idee, die Krise nicht für den konsequenten ökologischen Umstieg zu nutzen und statt dessen die alten Fehler der Finanzkrise des Jahres 2008 zu wiederholen zeigt, dass in der Industrie der Lernprozess langsam ist und dort akuter Nachhilfebedarf besteht.
Mobilisten wollen es weiter fossil
Hier schreitet die Autoindustrie voran. So windet sich der Vorstandsvorsitzende des Volkswagenkonzern Herbert Diess unter den Fragen des Tagesthemen-Moderators und fordert mit Verweis auf eine angeblich hohen Beitrag von Pkw mit Diesel- oder Benzinmotor zum Klimaschutz ganz ohne Skrupel Staatsbeihilfen für die Autobranche. Sein Unternehmen hat im vergangenen Jahr einen Gewinn von fast 14 Milliarden Euro gemacht. Eine schlüssige Antwort, ob Staatsbeihilfen angesichts solcher Zahlen notwendig seien, bleibt Diess schuldig.Noch mehr fehlt ein klares Bekenntnis, die staatliche Unterstützung auch für den Umstieg auf echte saubere Mobilität zu verwenden.
Fragwürdig sind auch die Staatsbeihilfen für die angeschlagene Lufthansa, die die Bundesregierung und die bayerische Landesregierung am liebsten milliardenschwer und ohne Auflagen hinsichtlich sozial- und klimapolitischer Maßnahmen seitens des Konzerns überweisen möchte. Auch wenn inzwischen ein Mitsprachrecht der Bundesregierung als Aktionär im Gespräch ist, fehlt hier komplett der Ansatz, den die Kanzlerin mit „Ökonomie und Ökologie zusammen denken” gemeint hat. Da muss mehr Bewegung in die Ministerriege und vor allem endlich ein Machtwort der Kanzlerin kommen, wenn sie ihre Worte ernst meint.