In einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel haben 306 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften ein beschleunigtes Ausstiegsszenario aus der Atomenergie gefordert. Die deutschen Laufzeitverlängerungen müssten dauerhaft zurückgenommen werden. In dem Schreiben drücken die Unterzeichner ihre Betroffenheit über die Opfer der Katastrophe in Fukushima aus und betonen, dass erneuerbare Energien im Zusammenwirken mit Effizienztechnologien schon aktuell genügend Energie bereitstellen könnten, um bis 2020 oder früher alle Atomkraftwerke in Deutschland abzuschalten. Dafür seien ein Ausbau der Netze, Stromspeichertechnologien und eine verstärkte Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) nötig. Detaillierte Szenarien zur Energiewende aus dem Jahr 2010 zeigten, dass ein Energiesystem auf Basis erneuerbarer Energien bis 2050 rund 750 Milliarden Euro günstiger sei als ein Festhalten am bisherigen Weg.
Energiewende wirtschaftlich und sozial akzeptabel
Die energetischen und technischen Potenziale erneuerbarer Energien seien größer als alle anderen fossilen oder nuklearen Energiepotenziale. „Sie sind umweltfreundlich, wirtschaftlich und sozial akzeptabel“, heißt es in dem Schreiben. Bei weiterem Ausbau der Erneuerbaren werde in kurzer Zeit die durch Kernkraftwerke eingespeiste Strommenge von 140 Terawattstunden (TWh) pro Jahr vollständig zu ersetzen sein. Das bedinge natürlich die verstärkte Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und den Ausbau von Infrastruktur wie Stromnetze und Speichermöglichkeiten. Nicht zuletzt deshalb erwarten die Unterzeichner eine Neuausrichtung der Forschung: „Die Mittel für die Nuklearforschung sollten vollständig für die Erforschung der erneuerbaren Energien und für Energieeffizienztechnologien umgewidmet werden.“
Moratorium wichtiger Schritt
Daneben beschreiben die Wissenschaftler ihre Sorge über den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken. Sie begrüßen das von der Bundesregierung verfügte Moratorium als „wichtigen Schritt in die richtige Richtung“ und weisen darüber hinaus auf die wirtschaftlichen Chancen für den Exportweltmeister Deutschland sowie die Vorbildfunktion hin, die das deutsche Verhalten auf der globalen Bühne haben könnte.
Aus physikalischen wie aus technischen Gründen könne es auch künftig keine sicheren Kernkraftwerke geben, heißt es im Schreiben weiter. Schon die Unfälle von Windscale 1957, Lucen 1969, Three Mile Island 1979 und Tschernobyl 1986 sowie der „Beinahe-GAU“ von Forsmark 2006 hätten in der Vergangenheit gezeigt, dass das Restrisiko etwa alle zehn Jahre Wirklichkeit wurde.
Lange AKW-Laufzeiten wenig rentabel
Nicht zuletzt seien lange Laufzeiten von Kernkraftwerken auch ökonomisch fragwürdig, da der zunehmende Betrieb in Unterlast zu immer weniger rentablem Betrieb führe. Atomenergie sei die teuerste Energieerzeugung, wenn sie den gleichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unterworfen würde wie andere Erzeugungsmethoden. „Dazu zählt auch die Versicherung der Anlagen.“ Nur versteckte Subventionen machten Strom aus Kernenergie „billig“. Das Schreiben ist in Kopie auch an Umweltminister Norbert Röttgen, Forschungsministerin Annette Schavan und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle geschickt worden. Unter www.Solar-Consulting.de/OffenerBriefMerkel können sich weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dem Brief anschließen. (Andreas Haude)