Frank Bomarius, stellvertretender Leiter des Fraunhofer IESE, spricht über notwendige Anpassungen bei der Netzinfrastruktur.
Hersteller von Superkondensatoren sagen, der Strom im Netz sei längst nicht mehr sinuskurvenförmig, sondern wegen der ganzen regenerativen Einspeiser sei die Kurve ziemlich zerhackt. Ist das ein Problem?
Frank Bomarius: Die Inverter, die Gleichstrom aus Regenerativquellen in Wechselstrom umformen, versuchen eine genau dazu abgestimmte Sinuslinie zu erzeugen. Eine verschobene Sinuslinie wäre Blindleistung. Vereinfacht gesagt: Man muss sich als Erzeuger mit der Sinuslinie synchronisieren, sonst arbeiten Sie dem Netz entgegen. Dazu kommt, dass die nicht über rotierende Massen erzeugte Energie, sondern über Transistoren schalten. In diesen Schaltvorgängen entstehen hochfrequente Störsignale, die für die angeschlossenen Geräte schädlich sein können. Netzteile von Geräten erzeugen zusätzlich solche Oberwellen. Die Stromqualität (die saubere Sinuslinie) leidet darunter. Dies kann u.a. durch Kondensatoren ausgeglichen werden – das ist eine konstruktive Maßnahme in Geräten und Anlagen.
Erneuerbare sind ja an sich in der Lage, das zu übernehmen.
Frank Bomarius: Ja, durch konstruktive Maßnahmen in den Wechselrichtern selbst. Aber auch durch Digitalisierung zur entsprechenden Ansteuerung der Anlagen, so dass es erst gar nicht zu Abweichungen von den 230V, 50Hz kommt.
Da denkt man auch gleich an Systemdienstleistungen.
Frank Bomarius: Es wäre natürlich gut, wenn ein Einspeiser oder ein Verbraucher sich systemdienlich verhält, indem er zum Beispiel Blindleistung vor Ort nachregelt oder Erzeugung bzw. Verbrauch an die aktuelle Systemsituation anpasst. Ohne Digitalisierung kann das weder gesteuert noch bepreist und abgerechnet werden.
Muss da technologisch aufgerüstet werden?
Frank Bomarius: Das schon, ich nenne nur Smart Meter Roll-out und SMGW. Es gibt auch Dienstleister, die durchaus schon umfangreiche Informationen haben. Aber es fragt sich, ob und wozu die genutzt werden dürfen.
Was wünschen Sie sich von den Netzbetreibern?
Frank Bomarius: Was wir in Projekten machen, ist, Betriebsplattformen zu bauen, mit denen wir beispielsweise Produktionsanlagen steuern können. Diese Plattformen sammeln Informationen von den Anlagen, etwa welche Verbräuche sie haben. Aus den Produktionssteuerungssystemen weiß man, wie die Planung der nächsten Stunden aussieht. Was werden die Verbräuche sein oder welche Abwärme entsteht? Wenn Sie diese Daten über die (geplanten) Verbräuche haben, können Sie diese mit den Erzeugungsprognosen von Wind und Sonne verrechnen und so auf Netzebene verwenden.
Unsere Systeme werden schon in vielen Industrie-4.0-Projekten eingesetzt. Aber auch zum Beispiel bei ODH e.V., dem Verein Open District Hub, der Quartiere mit moderner Technologie ausstattet. Da bringen wir besagte Betriebsplattform, genannt „BaSys 4.0“, für das Energiemanagement ein.
Also erstmal im Quartier, später dann in einer größeren Zelle, etwa einer Region?
Frank Bomarius: Genau. Die Partner sind große Wohnungsbaugesellschaften. Firmen wie Schneider Electric sind dabei. Die wirkliche Integration in die Netze ist aber noch nicht gegeben.
Da gab es früher mal ein Projekt am Euref Campus.
Frank Bomarius: Das war eines der ersten „Energie“-Quartiere in Berlin. Eine Demonstration der Leistung von Schneider Electric und wenigen anderen. Man wird aber in Zukunft ein flexibles Zusammenspiel verschiedenster Anlagenhersteller benötigen, also Offenheit und Heterogenität. Deswegen braucht man eine Plattform, die offen ist für alle möglichen Anbieter und mithin standardisiert ist. Viele Anlagen sind heute durchaus fernsteuerbar, aber nur über die proprietäre Plattformen und Schnittstellen des jeweiligen Herstellers.
Müssten wir in Europa eine Umgestaltung in Richtung autonome Netz vorantreiben?
Frank Bomarius: Die Signale, die wir aus der Klimapolitik bekommen, sagen uns, dass wir in wenigen Jahren zu steuerbaren Systemen mit hohen Anforderungen an die Nachweise der Footprints produzierter Teile kommen müssen. Sonst werden wir die gesetzten Klimaziele nicht erreichen. CO2- Zertifikate hin und her zu verkaufen, wird nicht genügen. Jedes Teil in Lieferketten wird umfassende Daten zu seiner Produktion mit sich tragen müssen, auch um nachzuweisen, dass es bei seiner Herstellung energetische und Umweltziele erfüllt hat. Das bedeutet: durchgehende Digitalisierung. Und zeitliche und mengenmäßige Abgleiche zwischen (verfügbarer) Erzeugung, Netz und Verbrauch.
Seit ca. 15 Jahren machen wir Forschungsprojekte mit sogenannten Experimentierklauseln, Reallabore, die zeitweise gegen die Regulatorik verstoßen dürfen. Eine notwendige Anpassung der Regulatorik, um die Erkenntnisse in die Praxis zu überführen, ist weitgehend ausgeblieben. Pointiert gesagt, darf man bei den Projekten vieles ausprobieren; aber nur solange es nicht gegen die Regulatorik verstößt, darf es auch ausgerollt werden. So kann Innovation nicht funktionieren.
Wo wird blockiert? Wird das von den Netzbetreibern verhindert, für die sich das aktuelle System durchaus lohnt?
Frank Bomarius: Warum soll ein auskömmliches Geschäftsmodell verändert werden? Aber es gibt natürlich auch weitere Gründe. Beispielsweise durch das Unbundling wurden zuvor eng zusammengehörende Einheiten künstlich getrennt und so dem Entstehen eines integriert arbeitenden steuernden Systems entgegengewirkt. Wenn es keinen Akteur gibt, dem ein solches System nutzt und der Mittel und Rechte hat, um es zu bauen, wird es nicht gebaut.
Man müsste das Unbundling also rückgängig machen?
Frank Bomarius: Oder eine Regelung finden, dass die entsprechenden Informationen ausgetauscht werden und es sich lohnt, ein solches System aufzubauen. Dazu braucht es Plattformen, Schnittstellen und Datenformate. Wir können viel definieren, es muss jedoch umgesetzt werden dürfen und sich wirtschaftlich lohnen.
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