Wer hätte noch den aktuellen Bericht des Weltklimarates (IPCC) gebraucht, um zu sehen, dass etwas drastisch schief läuft mit dem Klima. Zumindest wenn man mit offenen Augen und Ohren durch die Welt geht, kann man schon sehen, dass die Menschheit dringend etwas tun muss, will sie nicht weiter an dem Ast sägen, auf dem sie sitzt. Waldbrände in arktischen Regionen oder im Nordosten Russlands, ein Tornado, der durch Luxemburg fegt oder andere extremen Wetterereignisse sollten auch den Letzten wachrütteln, dass es so nicht weitergeht.
Weniger offensichtlich, aber noch gefährlicher ist der fortschreitende Anstieg des Meeresspiegels. Die 3,6 Millimeter, die es derzeit jährlich sind, sieht man als Normalbürger, der an der Nordseeküste steht, nicht. Doch das ist die doppelte Geschwindigkeit des vergangenen Jahrhunderts, als der Meeresspiegel insgesamt um 15 Zentimetern angestiegen ist. Das ist eines der zentralen Ergebnisse der aktuellen Klimaforschung, die im jetzt veröffentlichen Bericht des IPCC stehen.
Eisfläche wird kleiner
Doch damit nicht genug. Der Meeresspiegel wird weiter steigen. Da brauchen wir uns keine Illusionen zu machen. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Wasser bis 2100 um 30 bis 60 Zentimeter steigt, wenn wir jetzt die Treibhausgase drastisch reduzieren und die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius halten. Sollten wir das nicht tun und einfach so weitermachen wie bisher, wird der Meeresspiegel um 60 bis 110 Zentimeter steigen.
Das liegt daran, dass natürlich mit steigenden Temperaturen das Eis in der Arktis und der Antarktis schmilzt und als Wasser in den Meeren dieser Welt hinzukommt. Der Zusammenhang ist längst bekannt. Doch die Daten dieses Jahres sind erschreckend. So hat das Portal Arctic Today schon Ende Juli 2019 die Forschungsergebnisse des National Snow and Ice Data Center (NSIDC) mit Sitz in Boulder, Colorado, zitiert. Demnach ist in diesem Monat die Eisschmelze in der Arktis auf der europäischen und pazifischen Seite auf ein Rekordniveau gestiegen. Die Wissenschaftler stützen sich dabei auf Satellitenaufnahmen die seit 1979 permanent gemacht werden.
Die Klimaspirale dreht sich
Sicherlich ist es normal, dass im Sommer auch in der Arktis das Eis beginnt zu schmelzen. Doch in diesem Jahr hat die Eisschmelze besonders früh eingesetzt. Das führt wiederum dazu, dass die Eisfläche insgesamt nicht nur dünner, sondern vor allem auch kleiner wird. Dadurch wird weniger Sonnenwärme von den Eisflächen reflektiert. Das führt zu steigenden Temperaturen und zu einer noch schnelleren Eisschmelze. Inzwischen hat die Eisfläche in der Arktis das zweitniedrigste Ausmaß erreicht, das bisher von den Forschern des NSIDC beobachtet wurde. Dass es „nur“ der zweitniedrigste Wert ist, sollte uns aber nicht beruhigen. Denn nach Datenauswertung des NSIDC war die Eisfläche in der Arktis nie kleiner als in den vergangenen 13 Jahren.
Aber nicht nur das ewige Eis schmilzt schneller als in den letzten Jahren. Auch die Eisgletscher in den Hochgebirgen werden immer kleiner oder verschwinden komplett. Die Wissenschaftler des IPCC haben herausgefunden, dass bis 2100 satte 80 Prozent der gesamten Einsgletscher in den Hochgebirgen Europas, Afrikas und der äquatorialen Anden verschwinden werden, wenn wir nicht jetzt mit dem Klimaschutz beginnen.
Klimaschutz duldet keinen Aufschub
Die Daten zeigen: Der Klimaschutz duldet keinen Aufschub – etwa bis 2021, wenn beispielsweise die Bundesregierung endlich zaghaft damit anfangen will, ein mageres Klimaschutzprogramm umzusetzen, das die Mehrzahl der Experten für völlig unzureichend hält. Sicherlich ist hier ein sozialer Aspekt nicht zu vernachlässigen. Ob das Überleben der Wirtschaft mit einem ambitionierten Klimaschutzprogramm auf dem Spiel steht, kann man gern diskutieren. Doch ohne schnelle Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen wird es die Wirtschaft und uns alle noch härter treffen. Es geht nicht nur um die 670 Millionen Menschen, die in den Hochgebirgsregionen der Erde leben und die dort kaum noch Überlebenschancen haben, wenn mit dem wegschmelzenden Eis auch ihre Heimat austrocknet. Den Klimawandel betreffen auch nicht nur die 680 Millionen Menschen, die in den niederen Küstenregionen leben oder die vier Millionen Bewohner der arktischen Regionen. Auch die 65 Millionen Menschen, die auf den Inseln beispielsweise im Pazifik oder in der Karibik leben, werden den Klimawandel nicht allein ausbaden müssen.
Wir sind alle vom Klimawandel betroffen
Denn dieser äußert sich nicht nur im steigenden Meeresspiegel, sondern auch in den oben beschrieben Extremwettersituationen. „Die offene See, die Arktis, die Antarktis oder die Hochlandregionen mögen von der Mehrheit der Menschen weit weg sein. Aber wir sind alle abhängig von den Einflüssen dieser Regionen, direkt oder indirekt auf unterschiedliche Art und Weise – sei es bezüglich der Wettereinflüsse, des Klimas, der Nahrungsmittelproduktion oder der Wasserressourcen, der Energieerzeugung, des Handels, der Erholung und des Tourismus‘“, sagt Hoesung Lee, Vorsitzender des IPCC.
Er warnt davor, dass wir die Augen verschließen vor den Gefahren, die ein weiterer Treibhausgasausstoß mit sich bringt und zwar für alle auf der Erde. Die extremsten Wetterereignisse, die bisher ein Mal im Jahrhundert auftreten, werden uns in Zukunft jährlich heimsuchen, wenn wir jetzt nicht tätig werden.
Danke für den Fisch
Die Erderwärmung hat zusätzliche Auswirkungen auf die Ozeane. Die müssen jetzt schon 90 Prozent der überschüssigen Wärme auf er Erde speichern. Begrenzen wir den Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius, müssen sie schon zwei bis vier Mal mehr Wärme aufnehmen als noch 1970. Schaffen wir das nicht, müssen sie sogar fünf bis sieben Mal mehr Wärme speichern.
Selbst das klingt nicht so schlimm. Denn wer will nicht gern in einem warmen Meer baden. Doch mit der steigenden Temperatur speichern die Ozeane auch mehr Kohlendioxid. Dass dadurch das Meerwasser saurer wird und wir dann den Seefisch von unserer Speisekarte streichen können, ist dabei nur ein Aspekt. Das wärmer werdende Wasser wird zusätzlich das Abschmelzen der Eisflächen am Nord- und Südpol beschleunigen.
Mit Hochdruck handeln
Angesichts dieser Forschungsergebnisse ist es lächerlich zu diskutieren, ob die emotionale Rede einer Greta Thunberg vor den Staatslenkern dieser Welt in New York genervt hat oder nicht. Fakt ist: Sie ist die Stimme jener Generation, die genau die von IPCC beschriebenen Auswirkungen spüren wird. Es geht jetzt nicht darum aufzuarbeiten, welche Fehler und Versäumnisse sich die älteren Generationen in der Vergangenheit geleistet haben. Es geht jetzt darum, das sie jetzt zusammen mit der Jugend endlich das mit Hochdruck handeln. Denn sicherlich gibt es noch mehr Probleme auf dieser Welt. Doch diese werden mit fortschreitendem Klimawandel nicht kleiner, sondern eher exponentiell größer. Deshalb gebührt dem Kampf gegen die Erderwärmung jetzt die höchste Priorität.