Beim VKU-Verbandstag am Montag und Dienstag gaben sich die Politiker auf dem Podium das Mikrofon quasi wie einen Staffelstab weiter. Alleine am ersten Tag traten Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, Bundesumweltministerin Svenja Schulze, SPD-Vize Torsten Schäfer-Gümbel und CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer vor die Vertreter der Stadtwerke, um ihnen ihre Politik zu erklären. DEW-Chefin Heike Heim hat kritisch zugehört.
Interview: Tilman Weber
Nachdem Sie hier den Reden von SPD-Vize Torsten Schäfer-Gümbel, Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und Umweltministerin Svenja Schulze zugehört haben: Sind Sie nun klüger, welche Rolle die Regierung Ihnen in der Energiewende einräumen wird?
Heike Heim: Nicht wirklich. Was mir bei allen am meisten gefehlt hat, war die konkrete Umsetzung von Maßnahmen, die unmittelbare Arbeit an den aktuellen Herausforderungen. Wenn man sieht, dass wir trotz Milliarden-Investitionen in den Ausbau der erneuerbaren Energien leider unserem Hauptziel in der Klimaschutzpolitik, nämlich der Reduzierung der CO2-Emissionen, nicht wirklich näher gekommen sind, dann muss ich sagen: Ab sofort gebieten es ökologische Verantwortung und ökonomisches Gewissen, dass man Emissionen vermeidet, wo es am einfachsten ist. Und dass man nicht immer zuerst auf die 100-Prozent-Lösung schaut, sondern mit kleinen Schritten anfängt, die einen großen Beitrag zur Erreichung unserer Klimaschutzziele leisten, vor allem im Verkehrs- und Wärmebereich. Zum Beispiel sind noch 5,1 Millionen Ölheizungen bundesweit im Einsatz. Wenn man alleine da auf moderne Gasbrennwerttechnik umschalten würde, wäre das ein Riesenschritt nach vorn. Außerdem wäre die Entwicklung einer Systematik mit wirksamen CO2-Preissignalen für alle Sektoren ein Riesenschritt für die künftige CO2-Reduzierung. Beides zeigt mir, wo es eben in Deutschland aktuell noch an klimapolitischer Konkretisierung fehlt.
Sie lobten vorhin auf dem Podium, dass Bundeswirtschaftsminister Altmaier in seiner Rede davor die Rolle der Stadtwerke hervorgehoben hatte. Was meinen Sie genau?
Heike Heim: Herr Altmaier hat zum ersten Mal in einer Rede öffentlich eine prominente Rolle der Stadtwerke als Verteilnetzbetreiber erwähnt. Er hat indirekt dabei anerkannt, dass die bisherige Rollenaufteilung zwischen Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern noch aus den Zeiten vor der Energiewende stammt. 1,6 Millionen dezentrale Erzeugungsanlagen speisen über 90 Prozent des Erneuerbaren-Stroms auf Verteilnetzebene ein. Also findet die Energiewende im Verteilnetz statt. So wäre ein gleichberechtigtes Miteinander von ÜNB zu VNB nur folgerichtig. Ich würde mir deutlich wünschen – wir sind ja selber Verteilnetzbetreiber – dass wir mehr Eigenständigkeit im Systembetrieb erlangen und Verantwortung für das Gesamtsystem übernehmen. Und das bedingt natürlich einen umfassenden Datenaustausch mit den anderen Marktteilnehmern …
Um die Energiewende voranzutreiben?
Heike Heim: Ja genau. Weil diese dezentral ist und von unten kommt. Ich frage mich schon seit Jahren, ob ein zentraler Ansatz, der so stark die Rolle der Übertragungsnetzbetreiber betont, noch der richtige ist.
Um genau zu sein, hat Peter Altmaier gesagt, er werde noch einmal darüber nachdenken, ob er den Stadtwerken eine größere Rolle zugestehen will.
Heike Heim: Zumindest hat er anerkannt, dass Verteilnetzbetreiber eine wichtige Rolle spielen, auch wenn Übertragungsnetzausbau in der Politik wie er richtig sagt derzeit so prominent ist. Gefallen hat mir aber auch, dass das Thema KWK erstmals nicht in der letzten Minute einer Rede fiel – und auch das Thema Wärmewende und die Bedeutung der Wärmewende für die Erreichung der Klimaziele herausgehoben wurde. Das kam sonst bisher zu kurz, weil sonst doch immer sehr stark auf die Stromwende fokussiert wurde. Auch war es ganz hilfreich, dass Altmaier sagte, dass über die Hälfte der Endenergie für Heizung, Warmwasser und Prozesswäme dahingeht. Wärmeerzeugung ist somit für 40 Prozent der Emissionen verantwortlich. Das ist natürlich ein Markt der im Vergleich zur Stromversorgung viel komplexer ist – was Marktstrukturen angeht, die Akteursvielfalt, die Technologien. Doch belegt Deutschland bei Erneuerbaren im Wärmebereich EU-weit gerade einmal Platz 22. Das ist vor dem Hintergrund der Wichtigkeit für mich wirklich peinlich.
Sie monierten aber auch an den Politikerreden des VKU-Verbandstages, dass diese konkrete Vorgaben vermissen ließen. Wo brauchen Sie denn am schnellsten politische Klarheit, damit Sie nicht den Handlungsfaden verlieren?
Heike Heim: Diesen Faden haben wir bei DEW21 immer in festen Händen. Aber nichtsdestotrotz: Zu wünschen wäre für uns als nächstes die Modernisierung des Gemeindeordnungsrechts. In Nordrhein-Westfalen reduziert bekanntlich der Paragraf 108 die Tätigkeit kommunaler Unternehmen auf die Kerngeschäfte. Nur steht in Zeiten der Digitalisierung in Frage, was denn das Kerngeschäft eines kommunalen Energieversorgers künftig ist und was nicht mehr? Für mich gehört eine Investition in Digitalisierungs-Know-how dazu. Wir können in Zukunft wirtschaftlich nur erfolgreich sein, wenn wir die digitalen Kompetenzen im kommunalen Betrieb haben. Wir brauchen daher als zweites auch ein einheitliches Verständnis dieses kommunalen Kerngeschäftes. Das wäre ein großer Wunsch für mich an die Politik.
Sie sehen also eine Rolle für die Stadtwerke darin, ein Digitalisierungs-Dienstleister zu sein oder ein Digitalisierungsermöglicher …
Heike Heim: … oder ein Akteur mit einer Beteiligung an Digitalisierungsunternehmen. Und was ich mir auch wünschen würde, wäre – ich sage das in Bezug auf die Verlängerung der KWK-Förderung bis 2025 – die Berücksichtigung, dass moderne KWK-Daten ein exzellentes Pendant zur volatilen Erneuerbaren-Stromproduktion sind. KWK können so einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Daher würde ich mir wünschen, dass die KWK-Förderung bis 2030 verlängert würde.
Die gesetzlichen Regelungen dürften den Stadtwerken aber auch die Unternehmerschaft bei Elektromobilität erschweren – Stichwort Tankstellenbetrieb …
Heike Heim: Bei Elektromobilität konzentrieren wir uns in Dortmund, bei DEW21, auf privates und halböffentliches Laden. Es geht uns weniger um die Bereitstellung öffentlicher Ladeinfrastruktur, weil 80 Prozent der Ladevorgänge entweder zuhause oder beim Arbeitgeber nichtöffentlich stattfinden. Wir sind sehr regional konzentriert und unsere größte Ansprache bei diesem Thema ist, dass unsere Gewerbe- oder Firmenkunden mit unserer Hilfe ihren Kunden oder Mitarbeitern bei sich Lademöglichkeiten zur Verfügung stellen wollen. Das beantworten wir in diversen Projekten.
Sie machen auch in der Stromerzeugung einiges, zum Beispiel mit Windkraft. Wenn Sie hier aber künftig Kapazitäten ausbauen wollen, müssen sie aufgrund der in den Ausschreibungen gesunkenen Margen die Projekte im frühen Planungsstadium übernehmen können. Dabei werden Genehmigungen für neue Projekte nur noch sehr schleppend erteilt. Müssen Stadtwerke mit eigenen Grünstromkapazitäten wie DEW21 nun wieder abwarten, welchen Faden sie als nächstes ziehen können?
Heike Heim: Die Dynamik erlaubt kein Abwarten. Wir haben über 110 Megawatt eigene Windkraft am Netz und von daher eine ganz auskömmliche Position im Vergleich zu anderen Stadtwerken. Unternehmerisch betrachtet sind die Windparkprojekte derzeit von ihrer Profitabilität nicht so, um uns mit den Verzinsungsansprüchen unserer Gesellschafter hier erfolgreich am Markt bewegen zu können. Es gibt aber noch andere Möglichkeiten den Ausbau der Erneuerbaren-Erzeugung nach vorn zu treiben. Wir verfolgen hier nun im Wesentlichen zwei Pfade. Bisher kam die Energiewende im urbanen Raum nur schwer voran. Wir werden in zwei bis drei Monaten völlig neue Contracting-Projekte auf den Markt bringen. Diese sollen für mittlere Kunden und Gewerbekunden neue Photovoltaikanlagen in Verknüpfung mit einem Speicher oder einer betrieblichen Optimierung durch Eigennutzung an den Mann oder an die Frau bringen. Und gleichzeitig versuchen wir als Unternehmen selber in größere Freiflächen-PV-Anlagen zu investieren.
Hinzu kommt als drittes und Größtes – außerhalb der Erneuerbaren-Stromerzeugung – die Umstellung der Wärmeversorgung in Dortmund. Diese wird unter CO2-Vermeidungsgesichtspunkten einen erheblichen Beitrag leisten können.
Auch bei der Digitalisierung für die Energiewende können Sie nicht wissen, was gesetzgeberisch getan werden wird – und wo hierbei ein wirtschaftliches Betätigungsfeld für die Stadtwerke entstehen kann. Werden Sie also abwarten?
Heike Heim: Nö, wir müssen hier Geschwindigkeit gewinnen und nicht verlieren. Die Digitalisierung hat ja drei ganz große Aspekte für uns: Bei zweien davon können wir schon jetzt handeln. So können wir sofort die Digitalisierung im eigenen Unternehmen vorantreiben, im Sinne von Automatisierung von Prozessen, Modernisierung der eigenen IT-Landschaften, Vermeidung von Systembrüchen – etwa, weil wir verschiedene Software- und Computersysteme haben. Als zweites verändert die Digitalisierung auch, wie wir zusammenarbeiten: Wir können mit ihr neue Kooperationsplattformen nutzen, können beispielsweise unternehmensintern gleichzeitig an Dokumenten arbeiten und mobiles Arbeiten fördern.
Der dritte Aspekt wird sein, dass wir auf Basis der Digitalisierung neue Projekte und Dienstleistungen entwickeln können. Hierbei gibt es durchaus noch potenzielle Friktionen zur aktuellen Gemeindeordnung. Es bleibt aber ein hochspannendes Thema, welches mögliche Betreibermodell wir für den kommunalen Datenschatz finden. Es heißt ja, Daten seien das neue Öl. Doch wir verkaufen in Deutschland nicht Öl, sondern Treibstoffe. Daher müssen die Stadtwerke wie auch die Politik sich fragen, wie unser Daten-Rohöl zum Treibstoff der Energiewende werden kann.