Nicole Weinhold
Die Nachrichten gestern Abend: Debatte um CO2-Steuer auf europäischer Ebene, kritische Stimmen dazu von Unionspolitikern. Nächstes Thema: Rüstungshaushalte waren weltweit nie größer als heute, über 700 Milliarden allein in den USA. Nächstes Thema: Unwetter und Überschwemmungen in Kanada. Nächstes Thema: Tornado und Überschwemmungen in Mosambik. Nächstes Thema: Neuer Flughafen für Billigflieger. Alles hängt zusammen: Wir geben lieber Milliarden für unsere Verteidigung aus, statt für die Rettung unseres Planeten, dabei steht uns das Wasser längst bis zum Hals – oder in diesem deutschen Sommer: Der Staub von vertrockneten Feldern.
Warum haben wir so lange nicht gehandelt?
Ich kann Greta Thunberg sehr gut verstehen. Die zunehmenden Naturkatastrophen überall auf der Welt, der Klimawandel vor der eigenen Haustür – das alles legen die Frage nahe, warum wir so lange versäumt haben zu handeln – und auch jetzt noch so viele Widerstände gegen die Rettung des Planeten zu überwinden sind. So viele Sitzungen, Debatten, Konferenzen – so wenig Handlung.
Man kann jetzt beliebig viele Beispiele aus der weit entfernten Vergangenheit heranziehen, wann wer schon auf ein Umlenken beim Klima gedrängt hat. Ich beziehe mich auf Nicholas Stern, weil sein Ansatz zur aktuellen Debatte passt. Stern hat im Jahr 2006 in seinem aufsehenerregenden Report eines klargestellt: Die Rettung der Erde vor einem lebensfeindlichen Klima wird teurer, je länger wir in Tatenlosigkeit verharren. Das war damals, vor nunmehr 13 Jahren, das neue, starke Argument der Klimaschützer.
CO2-Steuer in Europa
Jetzt gibt es immerhin eine ernsthafte Debatte um die Einführung einer europaweiten CO2-Steuer. Laut Umweltbundesamt müsse der Preis für die Kilowattstunde dabei die Größenordnung der Schadenskosten wiederspiegeln. Das wären laut 180 Euro, die zumindest teilweise eingepreist werden müssten – die Kosten, die entstehen pro ausgestoßener Tonne CO2.
Doch bevor man in Deutschland soweit ist, über solche Zahlen nachzudenken, muss zunächst gesagt werden, dass der Chef der europäischen Unionsparteien EVP, der Deutsche Manfred Weber, selbst sich gegen eine CO2-Steuer ausgesprochen hat. Einmal mehr treten die Deutschen nicht als Klimavorreiter auf, sondern als Bremser, so ist man geneigt zu denken. Übrigens: Nach den Nachrichten kam dann ein Wahlwerbespot der Union für Weber - und der war dann wieder auf Öko gemacht mit Windturbinen im Hintergrund. Jedenfalls: Ganz anders Webers sozialdemokratischer Kontrahent für die Europawahl 2019, der Niederländer Frans Timmermans. Anders auch Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Der verglich in den öffentlich-rechtlichen Nachrichten den Klimaschutz ohne CO2-Steuer mit Medizin ohne Penicillin.
Angst vor Protesten
Weber begründet seine ablehnende Haltung mit der Sorge vor Protesten vonseiten der Bevölkerung, wie sie Frankreich nach Ankündigung einer Anhebung der KfZ-Steuer erlebt hat und immer noch erlebt. Aus den Protesten gingen die inzwischen seit Wochen anhaltenden Unruhen der Gelbwesten hervor. Verständlich, dass sich das niemand wünscht. Allerdings kann eine Angst-dominierte Politik niemals eine gute Politik sein. Verstanden und kommuniziert werden müsste stattdessen, dass es bei der CO2-Steuer um eine Umverteilung von Kosten geht. Bürger mit geringem Einkommen werden entlastet, vor allem wenn es um Berufspendler geht, die auf den Transport zur Arbeit angewiesen sind.
Das Wort "Billigflieger" sollte bald der Vergangenheit angehören
Das heißt, man zahlt an der einen Stelle und bekommt an der anderen Stelle Geld erstattet – je nachdem wie klimaschonend das eigene Verhalten ist. Werden etwa die Flüge endlich teurer, überlegen sich viel genau, ob sie einfach mal so für ein Wochenende nach Mallorca fliegen. Das Wort „Billigflieger“ sollte möglichst bald der Vergangenheit angehören. Übrigens würde bei einem verantwortungsvollen Preis fürs Fliegen auch der eine oder andere Flughafen überflüssig. Stattdessen sollte der Schienenverkehr stärker gefördert werden. Nur fünf Prozent aller Deutschen fahren mit der Bahn in den Urlaub. Viele wissen gar nicht, dass der CO2-Ausstoß beim Fliegen ein Vielfaches von der Bahnfahrt ausmacht. Der CO2-Preis böte Orientierung.
Jeder Sektor soll einen Beitrag leisten
Ein positives Signal setzte Bundesumweltministerin Svenja Schulze, die sich für eine Angleichung des CO2-Preises über Sektoren und Energieträger hinweg ausspricht. Anders geht es nicht, auch wenn Alexander Dobrindt, ehemaliger Verkehrsminister und aktueller CSU-Landesgruppenchef, eine Steuer auf Heizöl und Sprit vehement ablehnt. Begründung: Es gibt schon genug Steuern. Dass Dobrindt immer noch krampfhaft versucht, die Automobilindustrie zu schützen, sei nur am Rande gesagt. Tatsächlich ist eine Neuverteilung bei den Steuern in dem Zusammenhang dringend erforderlich. Aber das ist natürlich kein Grund, die CO2-Steuer abzulehnen. In Deutschland ist einfach eine Reform der in den einzelnen Sektoren sehr unterschiedlichen Steuern überfällig. Strom ist zu stark mit Steuern und Umlagen belastet. Mit seinem ansteigenden erneuerbaren Anteil wird Strom bei Wärme und Verkehr für die langfristigen Klimaziele künftig eine wichtige Rolle einnehmen.
Befreiung stromintensiver Unternehmen
In dem Zusammenhang ist es wichtig, noch einmal daran zu erinnern, dass die Befreiung stromintensiver Unternehmen von einer entsprechenden Steuer zu hohen Mehrkosten für alle kleinen Verbraucher, vor allem Haushalte, geführt hat. Haushalte mit geringem Einkommen haben die Stromrechnung für Thyssen und Co. bezahlen. Das wäre schon mal in der Vergangenheit ein wirklicher Grund gewesen, sich zu empören.
Eine CO2-Bepreisung im Rahmen einer Energiesteuerreform würde sauberen Strom für Haushalte günstiger machen, während die Kosten für Heizung und Kraftstoffe auf Basis fossiler, klimaschädlicher Energieträger dagegen steigen. Von einer aufkommensneutralen Neuausrichtung der Steuern und Umlagen profitieren besonders Menschen mit geringem Einkommen durch geringere Belastung. Damit kommt die Energiesteuerreform nicht nur dem Klimaschutz zugute, sondern sie führt gleichzeitig zu mehr sozialer Gerechtigkeit.
Entlastung bei einkommensschwachen Haushalten
Nach einem Konzept des CO2-Abgabe e.V. werden bei einem anfänglichen Preis von 40 Euro pro Tonne CO2äq ohne Einbeziehung des Flugverkehrs durchschnittlich alle Haushalte entlastet, wobei die relative Entlastung bei einkommensschwachen Haushalten stärker ausfällt. Bei Berücksichtigung des Flugverkehrs werden die Haushalte mit niedrigeren Haushaltseinkommen entlastet.
Die jetzige Entlastung durch die Entfernungspauschale für Pendler würde bei Autofahrern durch die CO2-Bepreisung geringer ausfallen. Da Personen mit höherem Einkommen wesentlich stärker von ihr profitieren als solche mit niedrigerem Einkommen, fällt dies für höhere Einkommen kaum ins Gewicht.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass inzwischen wirklich jedem klar sein müsste, dass der freie Markt die Dinge nicht für uns regeln wird. Wer wie die FDP auf eine Ausweitung des europäischen Emissionshandels setzt, hat schon verloren. Das Warten würde Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Bisher ist hier nichts Nennenswertes passiert. Und so wird es noch lange Zeit bleiben. Der Plan für eine CO2-Abgabe soll im Juli im Klimakabinett der Bundesregierung diskutiert werden.