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Kommentar zu Netzausbau

Bitte, mehr Streit mit Seehofer!

Keine Frage: Dass Seehofer sich wieder einmal als unzuverlässig erweist und die Energiewende blockiert, wo es nur geht, ist außerhalb Bayerns fast schon unumstritten. Der Kölner Stadt-Anzeiger hat die Stimmung gegen den zum süddeutschen Windkraftbremser  mutierten Bayern in einer Schlagzeile prägnant eingefangen: „Crazy Horst darf Energiewende weiter blockieren“ titelte die Tageszeitung gestern, nachdem eine Koalitionsrunde mit den Fraktionschefs von CDU und SPD sowie Seehofer, Wirtschaftsminister Grabriel und Bundeskanzlerin Merkel am Dienstag offenbar das Zeitlimit für eine Einigung bis Sommer verlängert hat.

Die Fakten sprechen zu stark gegen Seehofer – und sie sind allen mit der Energiewende befassten Akteuren oder Beobachtern bekannt: Mit der im November verabschiedeten Abstandsvorschrift für neue Windparks 10 H müssen neu genehmigte Windparks um das Zehnfache ihrer Gesamthöhe Abstand von Siedlungen halten – und im landwirtschaftlich zersiedelten Bayern bleibt dann bald wohl kaum noch Platz für einen weiteren Ausbau der Windkraft. Und dann blockiert er seit dem Herbst plötzlich den von ihm zuvor mitbeschlossenen Bau zweier großer Transportleitungen von den deutschen Windkraftkonzentrationszonen aus dem Norden Deutschlands in den Süden. Dabei sollen doch diese Leitungen den grünen Dreiflüglerstrom genau dann in die großen Verbrauchszentren der wirtschaftlich boomenden Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg liefern, wenn Windstrom bei Stürmen im Überschuss entsteht und im auch dank Seehofer weiterhin windkraftarmen Süden fehlt.

Seehofer ist ein anerkannter Populist, der sich gegen diesen Vorwurf nicht einmal zu wehren scheint. Dass er Entscheidungen von heute auf morgen aufgrund von Stimmungslagen seiner Wähler um 180 Grad wenden kann, wird hier wieder deutlich: Umso mehr, als Bayern schon kurz vor der Energiewende durch die Bundesregierung infolge der Atom-Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima eine rasante Wende hin zur Windenergie vollzogen hatte. Es ist eine fast schon tagische Situationskomik. Seehofer erscheint nun wie ein umgekehrter Merkel. Die Bundeskanzlerin brauchte Fukushima, um plötzlich den Atomausstieg zu vollziehen, den sie vorher massiv abzuwenden versucht hatte. Danach setzte ein Boom beim Ausbau der Windkraft ein. Seehofer verhält sich genau andersherum.

Die drei Chancen: Mehr Realismus, ...

Doch die Kritiker sollten soweit Realisten bleiben, um der politischen Natur Horst Seehofers gewahr zu bleiben: Dessen Populismusstrategie ist ja bekannt und nicht furchterregend – wie zuletzt wieder bei der Maut vorgeführt. Seehofers CSU will bekanntlich gegen jeden Rat auch aus der Schwesterpartei CDU und europäischer Rechtsexperten eine Straßengebühr für Autos aus dem Ausland auf deutschen Autobahnen einführen. Seehofer hat sich soweit durchgesetzt, dass der aus seiner Partei stammende Verkehrsminister nun einen Vorschlag erarbeiten darf, der wahrscheinlich vielleicht die ausländischen Autofahrer nicht mehr als die deutschen belasten wird – oder ganz scheitert. Sprichwörtlich ist die Metapher mit dem Wappentier des Freistaats: Vom bayerischen Löwen, der nach einem Sprung als Bettvorleger gelandet ist. Erst laut und mächtig. Dann unbedeutend. Das wichtigste dieser Bayern-Politik ist zu zeigen, etwas für die eigenen Wähler getan zu haben.

Eine kluge Analyse muss auch das Andererseits erkennen, das hinter dem Streit steckt: Entscheidender als die bayerische Situation ist, dass sich die Koalitionspartner im Trassenstreit nicht klammheimlich aus dem durch einige Maßnahmen schon abgebremsten Projekt Energiewende noch mehr verabschieden. So blieb fast unbeachtet, dass auch Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier kürzlich seine Zweifel an der Sinnhaftigkeit der so genannten Windstromautobahnen durch Deutschland äußerte. Er nahm das zwar kleinlaut zurück. Doch warum vertrauen die Kommentatoren auch der Medien der Regierung Merkel hier so stark, dass sie Bouffiers Äußerungen nicht auch als Testballon der deutschen Konservativen in Betracht ziehen. Nach dem Motto: Einer aus der CDU darf auch mal was gegen das bisherige Infrastrukturkonzept der Energiewende sagen – vielleicht findet es ja irgendwie doch breiteren Widerhall. Dies ließe ja ein weiteres Ausbremsen der Energiewende als politisch durchsetzbar erscheinen.

... mehr Argumente, ...

Vor allem aber übersehen die Unterstützer von Wind-, Solar- und Bioenergie, dass Seehofer listig viele Argumente einsetzt, die unlängst noch ihre eigenen waren: Die von den Übertragungsnetzbetreibern im Bundesnetzplan geforderten drei Grünstromautobahnen wären bei einem gleichzeitigen Ausbau von hochflexiblen Gaskraftwerken, Pumpspeicherkraftwerken, Batterien, Power-to-Gas-Energieumwandlern oder intelligenter Netze nicht notwendig. Und möglicherweise verteuerten die  Netzbetreiber mit ihren Planungen die Energiewende sogar mutwillig, um sie weiter in Misskredit zu bringen. Die Akzeptanz des Trassenausbaus müsste durch die Verlegung teurerer aber weniger störender Erdkabel erhöht werden. Und der Verdacht, dass die großen Trassen insbesondere auch geplant würden, um den Strom aus den Kohlekraftwerken aufzunehmen, für die in Deutschland eigentlich kein Bedarf mehr sei.

Genau diese Argumente führt Seehofer – ob ernstgemeint oder nicht – nämlich ins Feld. Und Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat bereits angeboten, hier dem Bayern symbolisch entgegen zu kommen. Zwar will er nicht den Bau weiterer Gaskraftwerke in Seehofers heimeligem himmelblau-weißen Reich mit deutschem Steuergeld unterstützen. Aber dem aufgrund abstürzender Strombörsen-Preise unrentabel gewordenen hochmodernen neuen Gas- und Dampfkraftwerk Irsching in Nordbayern würde er weitere Subventionen gewähren. Die Netzbetreiber haben zudem schon in Reaktion auf Seehofer klar gemacht, dass einer der beiden geplanten Trassen, der Ost-Süd-Link, nicht in der Nähe eines Kohlekraftwerks starten soll. Der Trassenanfang werde nach Norden in die windparkreiche Region Magdeburg verlegt. Seehofer hatte zuvor moniert, mit dieser Trasse vielleicht nur Kohlestrom nach Bayern zu importieren, was sich der Bevölkerung nicht als sinnvoll vermitteln ließe.

... mehr Potenzial

Dass die Kritiker des Bayern das Potenzial der Debatte noch nicht erkennen, belegt leider auch der Grünen-Politiker und bekannte Unterstützer des EEG, Hans-Josef Fell. Fast irrlichternd hatte der Anfang Februar bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem schwäbischen Atomkraftgegner Raimund Kamm moniert, Gaskraftwerke seien schließlich die teuerste Form der Stromerzeugung. Dabei hatten doch die Erneuerbaren-Vertreter in den vergangenen drei Jahren Energiewendedebatte immer gewarnt, der Ausbau der Grünstromerzeugung dürfe nicht auf die Kostendebatte reduziert werden. Zudem wehren sich die Grünen im Bund derzeit gegen den Vorwurf der Großkoalitionäre, aus Kohle- und Atomenergie gleichzeitig aussteigen zu wollen. Fell will offensichtlich aus allen dreien ausscheiden.

Nein. Wenn Seehofer schon bis Sommer Zeit eingeräumt werden soll, sollte auch die Berliner Politik die Zeit nutzen. Es gibt nicht nur den einen, vielleicht ganz geradlinigen Weg zur Energiewende, der zuletzt eben mit einem auch nicht billigen und gar nicht unbedingt besonders realistischen großen Netzausbau verbunden war. Will die Koalition diesen Plan nun um des Koalitionsfriedens Willen nicht einfach gegen die CSU durchsetzen, kann sie ja auch die berechtigten Elemente in Seehofers Argumentation berücksichtigen: Statt nur Leitungsausbau auch ein bisschen Gaskraftwerke. Und das verbunden mit ein wenig mehr Vorteilen für die an diesen beteiligten Stadtwerke, die ja zugleich auch die Träger der Energiewende sein sollen.

Der hier mögliche Einwand, dies bedeute ein ganzes Energiewendekonzept wieder aufzuschnüren, greift indes fehl: Ein mühsam erstrittener Kompromiss war nur das EEG von 2014. Den Ausbau der Stromnetze, die Nutzung von Gaskraftwerken oder nicht sowie von Speichern, den Ausstieg aus der Kohle haben die Großkoalitionäre scheint´s bisher eigentlich noch gar nicht ernsthaft diskutiert.

(Tilman Weber)