Katharina Wolf
Der Stilllegungspfad für die Braunkohlekraftwerke steht, doch die Einigung hat ihren Preis. „Der vereinbarte Pfad überrascht insbesondere dahingehend, da die bisherigen Markterwartungen von einem deutlich frühzeitigeren und stetigeren Stilllegungspfad ausgingen“, heißt von Seiten der Unternehmensberatung Enervis Energy Advisors. Die Folge: Millionen Tonnen zusätzliches CO2 werden emittiert und gefährden damit die Klimaschutzziele.
Milliardenzahlungen an Betreiber und Regionen
Laut Ausstiegspfad sollen als erstes westdeutsche Braunkohlekraftwerke vom Netz gehen. Bis Ende 2022 sind dies acht Meiler des Konzern RWE. Es folgen elf Braunkohlekraftwerke bis 2030: sechs von ihnen in der Lausitz, fünf weitere im Rheinland. 2034/35 folgen dann vier Meiler im mitteldeutschen Revier, bis dann zum 31.12. 2038 für drei rheinische und vier Lausitzer Braunkohlekraftwerk endgültig Schicht im Schacht sein soll. Es sei denn, in einem Überprüfungsprozess Ende 2029 wird entschieden, dass der Ausstieg auf 2035 vorgezogen werden kann.
Für das vorzeitige Abschalten erhalten die Kraftwerksbetreiber nach Angaben der Bundesregierung in den kommenden 15 Jahren Entschädigungen in Höhe von 4,35 Milliarden Euro, in die betroffenen Regionen sollen insgesamt 40 Milliarden Euro fließen.
Insgesamt werden 160 Millionen Tonnen zusätzliches CO2 emittiert
Durch den verzögerten Stillegungspfand werden deutlich höhere CO2-Emissionen verursacht und die Klimaschutzziele gefährdet, kritisieren Experten. Enervis hat die Entwicklung mit einem eigenen europäischen Strommarktmodell simuliert und kommt zu ernüchternden Ergebnissen.
„Im Zeitraum 2022 bis 2038 werden etwa 160 Millionen Tonnen CO2 mehr emittiert als in einem bisher von der Branche unterstellten Braunkohleausstiegspfad. Zwischen 2022 und 2029 liegen die Mehremissionen bei etwa 45 Millionen Tonnen CO2 und von 2031 bis 2038 bei ungefähr 115 Millionen Tonnen CO2“, so Mirko Schlossarczyk, Strommarktexperte der Enervis. Der in der Kohlekommission mühsam errungene Kompromiss scheint damit Makulatur.
Kompensation durch früheren Ausstieg aus der Steinkohle?
Weitestgehend im Unklaren bleib, wie nun ein konsistenter Ausstiegsfahrplan für die Steinkohleanlagen aussehen wird. Hier soll eine parallel laufende Ausschreibung die Höhe der Entschädigungen festlegen. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Bundesregierung versuchen wird, diese Mehremissionen über eine frühzeitigere Stilllegung von Steinkohlekraftwerken zumindest teilweise zu kompensieren“, prognostiziert Schlossarczyk.
Bereits mit dem nun vereinbarten Ausstiegsfahrplan aus der Braunkohle sei offensichtlich, dass das letzte Steinkohlekraftwerk bereits Anfang der 2030er Jahre - deutlich früher als bisher gedacht - vom Netz gehen muss, um die im Klimaschutzgesetz skizzierten Ziele zu erreichen. „Das neue Steinkohlekraftwerk Datteln 4 könnte unter diesen Umständen auf eine Betriebsdauer von lediglich etwa 15 Jahre kommen“, so Schlossarczyk.
Kohlekommisions-Mitglieder gehen auf Distanz - mit harten Worten
Unterdessen haben sich vier Mitglieder der Kohlekommission kritisch zu dem erzielten Ausstiegsplan geäußert. Was Kommission und Bundesregierung vereinbart hatten, habe die Bundesregierung in ihrer Abmachung mit den Ländern nicht umgesetzt. Das Ergebnis sei „ein gänzlich anderes“, sagte die ehemalige Co-Vorsitzende der Kommission, Barbara Praetorius laut Süddeutscher Zeitung. Sie äußerte sich zusammen mit drei weiteren Mitgliedern der Kommission, die vor etwa einem Jahr ein Konzept für den Kohleausstieg vorgelegt hatte, in deutlichen Worten.
Die Bundesregierung habe eine 1:1-Umsetzung des Kompromisses angekündigt, so Praetorius. Es gebe aber wichtige Abweichungen: Die Abschaltung der Kohlekraftwerke sei zu spät und nicht stetig geplant. Kai Niebert vom Deutschen Naturschutzring erklärte laut SZ, der Abschaltplan sei „klimapolitischer Unsinn und energiepolitischer Irrsinn“. Dass das Kraftwerk Datteln 4 jetzt doch ans Netz gehen soll, sei „ein völlig falsches Signal“. Außerdem sei „besonders inakzeptabel, dass die Zerstörung der Dörfer einfach weitergeht und der Hambacher Wald nur teilweise verschont wird“.