Katharina Wolf
Hand aufs Herz - wer hätte vor drei Wochen geglaubt, dass die schwarz-rote Regierungskoalition noch in dieser Legislaturperiode ein neues, verschärftes Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen würde? In einem Wettbüro hätte man für diesen Tipp wohl ähnlich hohe Quoten erzielen können wie seinerzeit, als Leicester aus dem Nichts die englische Premier League gewann.
Doch dann erklärte am 29. April das Bundesverfassungsgerichts Teile des geltenden Gesetzes für verfassungswidrig und plötzlich geht alles ganz schnell: Schon heute, keine zwei Wochen später beschließt das Kabinett nicht nur die vom Gericht geforderten Einsparziele ab 2030 und zieht die Klimaneutralität um fünf Jahre auf 2045 vor, sondern verschärft auch das Ziel bis 2030 von derzeit 55 auf 65 Prozent Treibhausgasminderung gegenüber 1990. Erste Maßnahmen sollen mit einem Sofortprogramm schnellstmöglich umgesetzt werden, heißt es in einem Begleitbeschluss. Bis zu acht Milliarden Euro sollen zusätzlich bereitgestellt werden.
1 Milliarde weniger CO2 sind eine gute Nachricht
Ist also alles gut? Auf jeden Fall ist es eine positive Nachricht, dass das Thema Klimaschutz jetzt offenbar ernst genommen wird. Außerdem: Fünf Jahre früher die Klimaneutralität zu erreichen bedeutet nach Expertenberechnungen eine Milliarde Tonnen weniger CO2 in die Atmosphäre zu blasen.
Doch es ist auch Skepsis angebracht. So ehrgeizig, wie es auf den ersten Blick scheint, sind die neuen Klimaschutzziele nicht. Denn angesichts dessen, was die EU plant, hat Deutschland wohl nur jetzt verabschiedet, was später ohnehin fällig gewesen wäre - die Anpassung der nationalen Ziele an EU-Vorgaben.
Klimaschutz soll kein Wahlkampfthema sein
Warum muss es also so schnell gehen? CDU und SPD wollen das Thema Klimaschutz, das vor allem junge Menschen mobilisiert, so weit wie möglich aus dem Wahlkampf heraushalten. Gerade die Konservativen fürchten die grüne Konkurrenz, auch wenn man derzeit den Eindruck gewinnen kann, es wären in der CDU/CSU immer schon alle die größten Klimaschützer gewesen. Bleibt zu hoffen, dass der Regierung angesichts des Tempos nicht ähnlich viele handwerkliche Fehler unterlaufen wie bei der jüngsten EEG-Reform.
Trotzdem könnte Klimaschutz ein wichtiges Wahlkampf-Thema werden. Denn mit dem Gesetz und dem Anpassen von Zielen ist es nicht getan. Nun müssen konkrete Maßnahmen diskutiert und umgesetzt werden, um diese Ziele auch zu erreichen. Die Elektrifizierung von Wärme- und Verkehrssektor sowie die Produktion von Wasserstoff werden die Stromnachfrage in die Höhe treiben. Dieser Strom muss, wenn man es mit dem Klimaschutz ernst meint, aus erneuerbaren Energien kommen. Das bedeutet einen massiven Ausbau vom Windenergie und Photovoltaik. Laut einer aktuellen Studie von Agora Energiewende und Stiftung Klimaneutralität ist dafür im Jahr 2045 eine installierte Leistung von 385 GW Photovoltaik, 145 GW Windenergie an Land und 70 GW Windenergie auf See nötig.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien schwächelt
Doch der Ausbau schwächelt. Die Windenergie an Land kämpft mit zu langen Genehmigungsverfahren, knappen Flächen und Konflikten mit dem Artenschutz. Die Offshore-Industrie wird in diesem Jahr keinen einzigen Windpark in deutschen Gewässern errichten. Bei der Photovoltaik blockieren unter anderem die EEG-Umlage auf den Eigenverbrauch und die Ausschreibungspflicht für gewerbliche Dachanlagen den notwendigen schnellen Ausbau.
Ideen und Vorschläge, was jetzt zu tun ist, gibt es genug. Der Wahlkampf könnte also ein Wettbewerb um den besten Weg zur Klimaneutralität werden. Am Ende sind es die Wählerinnen und Wähler, die darüber entscheiden, wie der Generationengerechtigkeit im Klimaschutz Rechnung getragen werden soll. Klar ist eins: Die neue Bundesregierung wird - unabhängig von ihrer Zusammensetzung - ein große Aufgabe vor sich haben, wenn sie es ernst meint mit dem Klimaschutz.