Katharina Wolf
Gehört der europäische Strommarkt bald der Vergangenheit an? Auch auf regionaler oder lokaler Ebene ist die Selbstversorgung ausschließlich mit erneuerbarem Strom in fast ganz Europa möglich. So lautet das Fazit einer Studie des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam. Allerdings mit einer Einschränkung: In den Ballungsgebieten von Städten werde dies mit einem hohen Landverbrauch einhergehen.
Die Autoren der Studie „Home-made or imported: On the possibility for renewable electricity autarky on all scales in Europe“ haben ihre Ergebnisse an einer interaktiven Europakarte für jede europäische Region und Kommune online überprüfbar gemacht. Egal ob Berlin, Paris oder Senftenberg: Jeder kann einfach in eine Region oder ein Dorf hineingezoomen und die Karte zeigt fast europaweit, welches Potenzial für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien besteht und ob die Region sich damit selbst versorgen kann.
75 Prozent der europäischen Kommunen könnten sich selbst versorgen
„Unsere Ergebnisse zeigen, wie schwierig es ist, vor allem in dicht besiedelten Metropolen wie etwa Berlin den eigenen Strombedarf durch erneuerbare Energiequellen zu decken“, sagt Autor Tim Tröndle über das Ergebnis der Studie. „Aber wenn sich Metropolen mit den umliegenden Regionen zusammenschließen, wäre es machbar, denn technisch sind wir längst soweit.“
In ländlichen Regionen oder Stadtregionen mit viel ländlichem Umland sei Selbstversorgung basierend auf Strom nur aus erneuerbaren Quellen möglich. In 75 Prozent der Kommunen sei auf der lokalen Ebene das Potenzial ausreichend, um die jährliche Nachfrage zu decken.
Die Autoren vom IASS und der ETH ermittelten in ihrer Untersuchung einerseits das technische Potenzial der Dach- und Freiflächen-Photovoltaik sowie der On- und Offshore-Windkraftanlagen durch eine Analyse der Verfügbarkeit und Zulässigkeit von Flächen. Dafür berücksichtigten sie unter anderem die aktuelle Nutzung durch Siedlungen oder Agrarflächen. Auch Höhenlagen und lokale klimatische Bedingungen flossen mit ein. Sie bestimmten so die Menge an Elektrizität, die unter Berücksichtigung technischer Aspekte erzeugt werden kann. Als Referenzgröße für den angenommenen Bedarf nutzten die Wissenschaftler die Stromverbrauchszahlen des Jahres 2017.
Europa hat ein Potenzial von 15.000 TWh/a
Übereinstimmend mit früheren Analysen konnten die Autoren belegen, dass das technisch-soziale Potenzial von erneuerbarem Strom größer ist als die Nachfrage auf kontinentaler und nationaler Ebene. Um eine Stromautarkie ebenso auf subnationaler Ebene zu erreichen, müssten einige Regionen allerdings sehr große Teile oder ihr gesamtes nicht bebautes Land für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien nutzen.
Mit allen technisch-sozialen Einschränkungen ermittelten die Wissenschaftler ein Gesamtpotenzial von 15.000 TWh/a auf kontinentaler Ebene, was den heutigen Strombedarf mehr als viermal übersteige. Selbst bei strengen sozialen Zwängen, bei denen das technische Potenzial um über 90 Prozent reduziert wird, sei das Potenzial Europas für Strom aus erneuerbaren Energien immer noch hoch genug, um Stromautarkie auf kontinentaler Ebene zu erreichen, so die Studie.
Städte brauchen ihr Umland, um autarke Regionen zu bilden
Auf regionaler und kommunaler Ebene sehen die Autoren die niedrigsten relativen Potenziale innerhalb von Stadtgrenzen: Beispielsweise zeige Oslo das geringste Potenzial auf, da weniger als ein Viertel der Nachfrage nach Strom durch lokale erneuerbare Energien gedeckt werden könne. Ebenso haben andere städtische Gebiete ein unzureichendes technisch-soziales Potenzial, darunter die Regionen Île-de-France (Paris), Dublin und Berlin. Um hier trotzdem Autarkie zu erreichen, könnten diese Städte mit dem Umland kooperieren und so dann doch autarke Metropolregionen formen. Die Autoren zeigen allerdings, wie das Streben nach lokaler Autarkie zu Konzentrierung der Stromproduktion hin zu bereits dicht besiedelten Gebieten führt: Das wäre möglich, aber ob es auch wünschenswert ist, müsse jede Region für sich entscheiden.
„Am Ende ist es ein Abwägen zwischen Selbstversorgung und intensiverer lokaler Flächennutzung auf der einen Seite und der Akzeptanz von Importen einhergehend mit stärkerer Kooperation mit anderen Gemeinden, Regionen und Ländern in Europa auf der anderen Seite“, sagt Tröndle. Aber grundsätzlich sei ein stromautarkes, komplett Erneuerbares Europa möglich, vor allem wenn zwischen den Regionen und Ländern ein Handel auf den Weg gebracht wird.