Nicole Weinhold
Björn Broda, Bereichsleiter Corporate Strategy, Communications & Public Affairs bei der Juwi-Gruppe, erklärt, warum Ölkonzerne derzeit in Erneuerbare investieren. Zu nennen sei hier primär der öffentliche Druck, dem Shell und Co. ausgesetzt sind. "Es wird ja zurecht ein angemessener Beitrag der Ölkonzerne zum Erreichen der vereinbarten Klimaziele von Paris gefordert." Schließlich gehörten die Ölkonzerne zu den größten Emittenten von Treibhausgasen, wie Wissenschaftler des amerikanischen Climate Accountability Institute kürzlich veröffentlichten. "Nach deren Analyse verursachten allein die fünf Konzerne Exxon Mobil, Chevron, BP, Shell und Total seit 1965 über zehn Prozent der weltweiten CO2-Emissionen", so Broda. Zudem wendeten sich auch große Fonds und Investoren wie der norwegische Staatsfonds, Blackrock oder die Church of England zunehmend von der Ölbranche ab oder forderten ein nachhaltigeres Geschäftsmodell. "Auch wenn die Welt jenseits der Stromerzeugung vielleicht noch länger als erhofft auf Kohlenwasserstoffe angewiesen sein wird, wächst die Sorge vor stranded investments. Gemeint sind damit langfristige Investitionen, die sich nicht mehr rechnen werden, weil der Höhepunkt der Nachfrage überschritten wird und die Margen mit einem sinkenden Ölpreis stark unter Druck kommen."
Lange Klimawandel heruntergespielt
Die Ölkonzerne selbst haben laut Broder mitunter lange hohe Werbebudgets dafür ausgegeben, den Klimawandel herunterzuspielen und das etablierte Geschäftsmodell zu verteidigen. "Der britische Think Tank Influence Map schätzt, dass die eben genannten Big Five seit dem Pariser Abkommen im Jahr 2015 Milliardenbeträge in entsprechende Lobbyingmaßnahmen gesteckt haben", so Broda. Gleichwohl, genutzt habe es wenig: Nach dem Siegeszug der Erneuerbaren in der Stromerzeugung drohen auch im Verkehrssektor durch alternative Antriebe und in der Petrochemie durch Plastikverbote schleichende Verluste des Marktanteils. Nicht umsonst gehörten daher Ölaktien in den letzten Jahren zu den relativen Underperformern. Deshalb erkenne nun auch die Ölindustrie, dass sich die Kundenwünsche verändern und vor allem die Stromerzeugung aus Wind und Sonne wettbewerbsfähig geworden sei. "Sie wollen am stabileren Wachstum der Erneuerbaren partizipieren, die social license to operate nicht verlieren und gleichzeitig das Geschäftsmodell diversifizieren, da die Unsicherheit über die künftige technologische Entwicklung groß ist. Vielleicht ist auch das Erodieren der Geschäftsmodelle in der konventionellen Stromerzeugung ein mahnendes Beispiel", vermutet der Juwi-Mann.
Das Schicksal der Tabakindustrie vor Augen
Es fragt sich allerdings, ob das alle Ölmultis so sehen. Waren die Big Five energiepolitisch lange auf einer Linie, so sei mittlerweile eine deutliche Zweiteilung zu erkennen. "Auf der einen Seite stehen die großen integrierten Unternehmen europäischer Herkunft wie Total, Shell, BP oder auch die norwegische Equinor, die einen Schwenk vom Öl- und Gaskonzern zu einem breiter aufgestellten Energieunternehmen einleiten", so Broda. Dies sei beispielwiese entsprechend ambitioniert formuliert in dem Ziel von Shell, bis 2030 zum größten Stromanbieter der Welt aufzusteigen. Wenn auch in bescheidenerem Ausmaß begännen selbst die öffentlichkeitsscheuen großen Ölhändler wie Trafigura oder Vitol in Wind und Solaranlagen zu investieren.
Auf der anderen Seite finden sich laut dem Juwi-Mann die US-amerikanische Ölindustrie um Exxon Mobil oder Chevron, die bei deutlich höheren Reserven zumindest bisher stark am traditionellen Kerngeschäft festhält. Der Schieferöl-Boom stärk diese Wettbewerber kurzfristig, mache sie aber langfristig auch verwundbar. "Der Druck der US-Politik, zusätzliche Exportmärkte in Europa zu schaffen, ist mehr als deutlich. Anderenfalls droht ihnen das Schicksal der Tabakindustrie eines langen, gemanagten Abschwungs – wenn auch profitabel und auf hohem Niveau."