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Energiesystemwende

Energiesystemwende ganz sicher: Ohne Atomenergie

Eberhard Holstein

Der Aufbruch in ein klimaschonendes Energiezeitalter ist verbunden mit der Frage, welche Energiequellen wir uns zukünftig leisten können. Erneuerbare Energien sind gesetzt. Immer wieder wird aber auch die Atomtechnologie als Beitrag zur Dekarbonisierung ins Spiel gebracht. Aber: Schon allein aus der Kostenperspektive ist dies grober Unfug. Eine Energiequelle, die mit 50ct/kWh zu Buche schlägt, kann sich kein Energiesystem ernsthaft leisten.

Tabufreie Klimapolitik

2022 soll das letzte Deutsche Atomkraftwerk vom Netz gehen. Ein Datum, das die Freunde der Atomkraft immer wieder herausfordert, eine Verlängerung oder einen Wiedereinstieg ins Spiel zu bringen. So erklärt jüngst Anna Veronika Wendland im Magazin Cicero unter dem Titel "Katharsis durch Kernkraft": "Die Energiewende wird zu sozialen, ökologischen und wirtschaflichen Umwälzungen führen, die sich keiner wünschen kann. Es bleibt uns nur ein Ausweg: keine Angst mehr vor Atomkraft." Deutschland habe sich nach ihrer Auffassung mit dem Ausstieg aus Atom und Kohle zu viel vorgenommen - als Übsprunghandlung sieht sie den Atomausstieg nach Fukushima.

Teure Atomkraft

Sie findet Atomkraft nicht zu teuer. Doch ihre Argumente machen keinen Sinn: Kernenergie ist die teuerste aller Erzeugungsarten und wenn man die versteckten Kosten dem Kunden aufbürden würde: Unbezahlbar. Ohne Versicherung ist der Betrieb unverantwortlich. Im Falle eines GAUs in Zentraleuropa rechnet beispielsweise das Institut Prognos für die ersten drei Monate mit Kosten von mindestens zwei Billionen Euro. Und die Risikoprämie bemisst sich nicht daran, wie häufig ein Schaden eintrifft, sondern nach der Cash-Bevorratung von Billionen Euro, ohne dass diese wertschöpfend angelegt sein dürfen. Es ergeben sich allein hieraus Netto-Erzeugungskosten von über 50ct/kWh. Die Kosten für die ungelöste Endlagerung sind da noch nicht einmal eingerechnet.

Erneuerbare Energien sind dagegen unschlagbar günstig. Die vermeintlich hohen Kosten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes resultieren daraus, dass hier alle Anlaufkosten zur Produktion und der Herstellung eines funktionierenden Marktes von der Stromseite getragen werden, und hierbei die Kosten von einem Euro pro Kilowattstunde (kWh) auf unter neun Cent/kWh auf weniger als ein Zehntel gedrückt wurden. Auf dieser Vollkostenbasis sind erneuerbare Energien heute die günstigste Erzeugungsart, die auch eine Zukunft für Gebäudewärme und Mobilität bietet. Atomenergie wird mit diesem Kostenniveau niemals mehr mithalten können – und ist daher auch keine Option.

Flexible Erneuerbare

Auch das wiederkehrende Argument einer grundlastfähigen Atomenergie, die als Ausgleich für die Sonnen- und Windflauten gebraucht würde, ist nicht stichhaltig. Sinn beklagt, dass Wind- und Sonnenstrom „sehr unstet“ und „außerstande“ seien, Strom nach Bedarf zu produzieren. Ja, das Fluktuieren der erneuerbaren Energien ist natürlich hinderlich. Aber wie bei der letzten Sonnenfinsternis bewiesen, ist der Ausgleich auch zu kleinem Geld beherrschbar. Wir arbeiten noch an einem System mit über 80 Prozent Erneuerbaren. Aber auch hier sind Lösungen in Sicht. Die technische Nutzung von Flexibilitäten in der Lastbewirtschaftung und Gasturbinen, die irgendwann mit grünem Gas befeuert werden, ist einer der möglichen Wege dahin.

Akzeptanz einer erneuerbaren Kulturlandschaft

Schließlich wirft Sinn der Windenergie noch vor, die Landschaft zu verschandeln und tut geradezu so, als wäre die Akzeptanz der Atomtechnologie problemfrei. Aber es geht um mehr: Die Veränderung der Landschaft, die hier beklagt wird, ist ein kleinerer Schritt, als von der Landschaft des Mittelalters zur heutigen Kulturlandschaft, die von Städten und einer Landwirtschaft geprägt sind, die etwa das Hundertfache an Ertrag pro Quadratmeter aus dem Boden holt. Ich bin überzeugt: In 50 Jahren wird sich keiner mehr über die saubere Energieernte im Landschaftsbild aufregen, sondern sich über die Errungenschaften unserer Heimat freuen.

Energiesystemwende heißt weiterhin: Atomausstieg

Die wiederkehrenden Versuche, den Atomausstieg rückgängig zu machen oder den Kohleausstieg aufzuhalten, sind erwartbare, reflexhafte Zuckungen aus der Denkwelt des konventionellen Energiesystems. Hans-Werner Sinn lebt dies vor. Aber die Argumente der Befürworter der Atomenergie gehen ins Leere und sind längst vielfach widerlegt. Atomausstieg und Kohleausstieg sind und bleiben unabdingbare Elemente der Energiesystemwende, die den Weg in zu 100 Prozent erneuerbaren Energien beschreibt.

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Dieser Beitrag ist Teil einer Kolumne der Reiner Lemoine Stiftung zur EnergieSystemWende. Darin kommen regelmäßig Autorinnen und Autoren zu Wort, die für die Reiner Lemoine Stiftung (RLS) sowie das Reiner Lemoine Institut (RLI) aktiv sind oder gemeinsam mit RLS und RLI an Projekten zur Transition des Energiesystems arbeiten.

Eberhard Holstein war seit den 1970er Jahren in leitender Funktion im Energiemarkt tätig und ist Mitglied im Kuratorium der Reiner Lemoine Stiftung.

Bisher erschienen sind:

- Fabian Zuber: Energiewende in der Sackgasse

- Dr. Kathrin Goldammer: Kein Widerspruch: Erneuerbare und energiewirtschaftliche Ziele

- Clemens Triebel: Speichertechnologien entfesseln

- Paul Grunow: (Keine) Innovationsfähigkeit der Konzerne

Weitere Informationen finden Sie hier.