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Energiesystemwende

Die Bundestagswahl im Visier: Von der politischen Vision zum Fahrplan

Im nächsten Jahr ist die Bundestagswahl. Diese bietet die dringend benötigte Möglichkeit für eine Neuausrichtung der Energiewende. Denn der bisherige Ansatz, die erneuerbaren Energien in das konventionelle Energiesystem zu integrieren, stößt zunehmend an seine Grenzen. Vielmehr sind die Transformation des gesamten Energiesystems und eine Energiepolitik gefragt, die mutig in die Zukunft schaut. Das energiepolitische Projekt der nächsten Regierung muss die Ausgestaltung einer nachhaltigen Energiesystemwende sein, also der konsequente Einstieg ins Erneuerbare-Energie-System. Weg vom fossil und zentral dominierten System. Hin zum erneuerbaren, dezentralen System, das auch von der Teilhabe der Bevölkerung lebt.

Zeichen des Wandels: Sektorenkopplung

Ein wesentlicher Unterschied vom Erneuerbare- Energie-System zum konventionellen System ist die Sektorenkopplung. Sie spielte im fossilen Zeitalter kaum eine Rolle. Die Energieversorgung der Zukunft ist ohne diese hingegen nicht möglich. Bisher agierten die Sektoren Strom, Wärme und Transport weitestgehend unabhängig voneinander. Beispielsweise wurde die Infrastrukturplanung für die Teilsysteme nicht aufeinander abgestimmt, da es kaum verbindende Elemente und dadurch auch keine Notwendigkeit für eine gemeinsame Planung gab. Die Dekarbonisierung in allen Sektoren führt jetzt zur Sektorenkopplung. Bei der Umsetzung treten allerdings vermehrt strukturelle Hemmnisse auf, die eine neue Denkweise erforderlich machen.

Dabei steckt die Sektorenkopplung voller Chancen: Neben dem Vorteil, den Wärme- und Transportsektor zu dekarbonisieren, kann sie auch eine positive Wirkung auf den Stromsektor haben. Wenn sektorenkoppelnde Elemente wie Elektrolyseure, Wärmepumpen oder Elektrofahrzeuge flexibel gefahren werden, könnten sie zur Entlastung der Netze und zum Ausgleich von Verbrauch und Erzeugung durch Erneuerbare beitragen. Synthetische Gase bieten die Möglichkeit zur Langzeitspeicherung, um die saisonalen Abweichungen in Erzeugung und Verbrauch zu überbrücken.

Strukturelle Hemmnisse überwinden

Warum scheint Sektorenkopplung aber noch eine Vision der Zukunft zu sein und befindet sich nicht schon mitten in der Umsetzung? Es gibt verschiedene Herausforderungen und Hemmnisse, die einen schnelleren Wandel behindern. Zum einen sind viele der Technologien, die benötigt werden, noch sehr jung und gelten somit als teuer. Es bedarf teilweise der weiteren Forschung, vor allem aber des Mutes für eine politisch flankierte Markteinführung.

Aber auch der Einsatz bereits ausgereifter Technologien wie Wärmepumpen lohnt sich in Deutschland bisher nur bedingt. Grund dafür sind die zahlreichen Umlagen und Abgaben, die auf Strom entfallen. Dies kann dazu führen, dass selbst zu Zeiten negativer Strompreise, also eines Überangebotes, die Wärmebereitstellung durch andere Energieträger noch kostengünstiger ist. Eine sektorenübergreifende CO2-Bepreisung, Abgaben- und Umlagenstruktur sowie eine integrierte Planung der Teilsysteme tragen zum Abbau der Hemmnisse bei.

Insgesamt blockieren alte Denkweisen in Verwaltung und Politik aber bisher eine Entfesselung der sektorenübergreifenden Energiemärkte. Am Beispiel der Sektorenkopplung wird klar, mit welcher Mammutaufgabe die Energiepolitik konfrontiert ist. Für den Erfolg der Sektorenkopplung und der Transformation des Energiesystems als Ganzes ist es daher umso wichtiger, dass die verschiedenen Energiebranchen und ihre Akteure zusammenarbeiten und gemeinsam neue Lösungen gestalten. Bildlich gesprochen müssen Tankstellenbetreibende, Heizungsbauer*innen und Stromlieferanten sich gemeinsam an einen Tisch setzen und in einer ganzheitlichen Betrachtung hinterfragen, welche Regularien und Denkweisen zukunftstauglich sind. Die Politik steht in der Verantwortung, die Akteure dazu einzuladen. Vor allem aber muss sie ein klares Ziel vorgeben, das gemeinsam erreicht werden soll.

Politik muss neue Visionen vorgeben

Die Energiesystemwende erfordert ein radikales Umdenken und Umstrukturieren des Energiesektors und die Einbeziehung aller Dimensionen, Sektoren und neuer Technologien. Nur dies kann ausreichend Sicherheit für Investitionen bieten und so der Energiewende einen neuen Schub geben. Wie können also die nächsten Schritte in Richtung eines integrierten Gesamtsystems gestaltet werden?

Erstens: Die Energiepolitik einer neuen Regierung muss sich nach der Wahl den neuen Aufgaben widmen. Von der Energiewende hin zur Energiesystemwende – also den Aufbau des Erneuerbare-Energie-Systems. Sie muss eine klare Vision für den Einstieg in das neue Energiesystem vorlegen und ausgehend von dem Ziel einen Fahrplan für das weitere Vorgehen beschreiben.

Zweitens: Die Politik muss gleichzeitig Dialogmöglichkeiten ins Leben rufen, um die Eckpfeiler der Reformagenda und der Zielvisionen in einen breiten Konsens zu überführen und dazugehörige Detailfragen zu klären. Denn Lösungen gibt es nur gemeinsam. Isoliertes Nischendenken hilft nicht weiter. Akteure aus allen Sektoren müssen zusammen an einen Tisch gebracht werden. Nur die Expert*innen aus den entsprechenden Bereichen kennen die technischen und planerischen Herausforderungen in ihren Teilsystemen und an den Schnittstellen. Vertreten sein müssen neben den Expert*innen aus den verschiedenen Sektoren auch die gesellschaftlichen Akteure und Vertreter*innen aus Wirtschaft und der Politik. Durch das Zusammenspiel der unterschiedlichen Perspektiven können die alten Strukturen aufgebrochen und neue, innovative Wege eingeschlagen werden.

Damit dieser Dialog gelingt, ist es wichtig aus vorangegangenen Prozessen zu lernen. So sollte die sogenannte Kohlekommission genau analysiert werden und die Erfahrungen für künftige Dialoge genutzt werden. Auch die Bürger*innenversammlung in Frankreich kann als Beispiel für innovative Prozesse dienen. Der Ansatz der Kooperation lässt sich auf die Sektorenkopplung anwenden, aber auch auf die gesamte Energiesystemwende übertragen. Eine Ausweitung der Bestrebungen auf alle Dimensionen und Sektoren muss dabei nicht zu einem unüberschaubaren riesigen Gesamtkonstrukt werden, sondern kann beispielsweise durch die Einbeziehung der Bevölkerung auch zu einem dezentralen Ansatz sich ergänzender Dialogformate führen.

Klar ist: Diesen Dialog ausgehend von einer klaren und überzeugend vorgetragenen Zielvision zu organisieren, ist die Aufgabe der Politik. Wenn sie sich dieser Aufgabe annimmt, besteht die Chance, dass die Bundestagswahl im kommenden Jahr zu einem wirklichen Aufbruch in die nächste Phase der Energiesystemwende wird.

Autorinnen: Anya Heider und Alexandra Krumm, Promovendinnen am RLS-Graduiertenkolleg. Weitere Texte der RLS hier in unserer Kolumne zur Energiesystemwende.

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Der Artikel stammt aus unserem Print-Magazin 6/2020. Hier erhalten Sie ein kostenloses Probeheft unserer nächsten Ausgabe.