Mascha Richter
Energiesysteme befinden sich in einem kontinuierlichen Wandel. Grund hierfür sind etwa technologische Veränderungen, neu auftretende Problematiken oder sich verändernde gesellschaftliche Prioritäten. Um die Herausforderungen der Energiewende besser begreifen zu können, lohnt es sich anzusehen, wie die Struktur unseres heutigen Energiesystems entstanden ist.
5 Maßnahmen für einen erfolgreichen Wandel des Energiesystems
1. Neues Denken wagen: Um den Aufbruch in ein neues Erneuerbares Energiesystem zu meistern, ist ein Umdenken notwendig. Bisher geltende Prämissen und Denkstrukturen müssen grundlegend hinterfragt werden.
2. Internalisierung von Kosten: Kosten für Schäden an Umwelt und/oder Gesundheit die durch die Nutzung fossiler Energieträger entstehen müssen nach dem Verursacherprinzip umgelegt werden. Dadurch können Erneuerbare Energien in allen Sektoren wirtschaftlich werden. Hierfür muss eine wirksame CO2-Bepreisung eingeführt werden.
3. Neuen regulativen Rahmen gestalten: Der Energiemarkt ist in hohem Maße abhängig von den regulativen Rahmenbedingungen. Daher braucht es eine mutige Neugestaltung der Regularien. Hierfür müssen nicht nur die technischen Lösungen gefördert und ein angemessenes Marktdesign geschaffen werden, sondern auch die Gesellschaft mit einbezogen werden.
4. Technische Möglichkeiten neu verknüpfen: Der Umbau des Energiesystems erfordert eine durch Dezentralität und Partizipation geprägte Systemstruktur, die dem konventionellen zentralen Marktansatz entgegensteht, jedoch die Systemresilienz erhöhen und eine Teilhabe der Gesellschaft ermöglichen kann. Die Digitalisierung birgt Chancen zur Koordination der zunehmend komplexen Interaktionen und Zusammenhänge. Eine Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität kann gemeinsam mit der Flexibilisierung zu einem stabileren Gesamtsystem führen.
5. Blick nach vorne werfen: Ansätze, die im Konventionellen Energiesystem sinnvoll waren, stoßen im Erneuerbaren Energiesystem an ihre Grenzen. Energiewende erfolgreich gestalten, heißt also auch in den Vordergrund zu stellen, wo wir hinwollen, mehr als wo wir herkommen. Hierfür gilt es neue Narrative zu entwickeln.
Basis für Energiegesetz aus dem Jahr 1935
Die Basis für die deutsche Energiemarktstruktur legte das Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft (EnWG) aus dem Jahr 1935, dessen Ziel es war, eine zuverlässige und günstige Energieversorgung sicherzustellen. Das System bestand hauptsächlich aus zentralen Braun- und Steinkohlekraftwerken im Besitz der großen Energieversorgungsunternehmen.
Der Versuch, Kernkraft zur Energieversorgung einzuführen, stieß in den 1960ern zunächst auf Widerstand und Skepsis aus der Kohleindustrie. Erst durch die Zusicherung finanzieller Unterstützung und der Übernahme von Baurisiken seitens der Politik sowie eine Begrenzung der finanziellen Haftung der Unternehmen bei Unfällen, wurde die fossile Energieversorgung durch Kernkraftwerke ergänzt.
Von 1950 bis 1980 vervierfachte sich der Primärenergieverbrauch in Deutschland, was einen massiven Ausbau der Erzeugungs- und Netzkapazitäten zur Folge hatte – eine Transformation, bei der zunächst jedoch die grundlegenden Regeln des Systems, wie der unidirektionale Stromfluss und der hohe Anteil fossiler Energieträger, beibehalten wurden.
80er Jahre: Bewusstsein für Umwelt erwacht
Anfang der 80er Jahre wuchs dann in der Gesellschaft ein Bewusstsein für Umwelt, Natur und Energie, das spätestens mit Gründung der Partei „Die Grünen“ auch politischen Einfluss gewann. Verstärkt wurde dies durch den Reaktorunfall in Tschernobyl 1986, weiter institutionalisiert mit der Gründung des Ministeriums für Umwelt im selben Jahr.
Standen anfangs noch Staub- und SO2-Emissionen (saurer Regen) im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion verschob sich die Aufmerksamkeit in Richtung der ansteigenden CO2-Konzentrationen und weiterer treibhaus-relevanter Gase in der Atmosphäre.
Die wachsende Diskussion über Nachhaltigkeit der nuklearen und fossilen Energieträger mündete 1990 in ein erstes Gesetz zur Einspeisung erneuerbarer Energien. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Energieversorgung begann sich damit zum Ende des 20. Jahrhunderts zu erhöhen.
Dezentralisierung, Digitalisierung, Sektorenkopplung, Klimawandel und bidirektionale Stromflüsse
Das Energiesystem befindet sich also nicht erst seit kurzem in einer Transformation, auch das EnWG vor 84 Jahren war bereits Teil einer solchen. Was unterscheidet also die Energiewende von den bisherigen Transformationen? Sie ist vielseitiger, komplexer und tiefgreifender. Themen wie Dezentralisierung, Digitalisierung, Sektorenkopplung, Klimawandel und bidirektionale Stromflüsse wirken zeitgleich und führen zu einer Systemwende.
Während das Energiesystem der Vergangenheit von den technischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Einflussfaktoren der zentralen, konventionellen Erzeugung geprägt war, gehen mit der erneuerbaren Energiewelt neue Anforderungen einher. Das erneuerbare Energiesystem der Zukunft erfordert daher neue Denkweisen und regulatorische Rahmenbedingungen. Die reine Integration neuer Technologien und Geschäftsmodelle in das alte System stößt an ihre Grenzen. Das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik spricht von einer „Phasengrenze“ und dass „so, wie bei einem Phasenübergang der weitere Temperaturanstieg ins Stocken gerät, bei der Energiewende die weitere Ersetzung fossiler Energiequellen ins Stocken geraten“ ist. Dieser Vergleich trifft einen Punkt besonders gut.
Die aktuelle Transformation ist fundamentaler und benötigt mehr Einsatz als die vergangenen Transformationen. Aber das bedeutet nicht, dass die Wende nicht zu bewältigen ist und sich nicht in eine Historie des Wandels einreihen wird.
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Die Autorin Mascha Richter ist seit 2018 Leiterin des Forschungsbereichs Transformation von Energiesystemen am Reiner Lemoine Institut.
Dieser Beitrag ist in der Onlineausgabe des Fachmagazins „ERNEUERBARE ENERGIEN“ erschienen und ist Teil einer Kolumne der Reiner Lemoine Stiftung zur EnergieSystemWende. Darin kommen regelmäßig Autorinnen und Autoren zu Wort, die für die Reiner Lemoine Stiftung (RLS) sowie das Reiner Lemoine Institut (RLI) aktiv sind oder gemeinsam mit RLS und RLI an Projekten zur Transition des Energiesystems arbeiten.