Katharina Wolf
100 Milliarden Euro - diese Summe soll die Bundesregierung innerhalb der nächsten zwei Jahre in die Hand nehmen, um eine langandauernde Wirtschaftskrise nach dem Corona-Lockdown zu verhindern. Jedenfalls, wenn es nach den Vorschlägen der Denkfabriken Agora Energiewende und Agora Verkehrswende geht.
In mehr als einem Dutzend Bereichen sollen Investitionen angestoßen werden, finaziert durch neue Kredite. Damit soll die Wirtschaft nicht nur die Krise überwinden, sondern auch so umgebaut werden, dass sie bis 2050 klimafreundlich werden kann.
„Jetzt ist politischer Weitblick gefragt“, sagte Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende, bei der Vorstellung des Impulspapiers „Doppelter Booster“. Ein Wachstumsprogramm, das die Corona-Krise überwinde, müsse das Ziel der Klimaneutralität 2050 und damit das Ziel der europäischen Green Deal im Blick haben. Letztlich würden Entscheidungen und Investitionen in den Klimaschutz zur kurzfristigen Überwindung der Krise vorgezogen.
Stärkung der Kaufkraft durch Senken der EEG-Umlage
Die Kaufkraft der Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen soll um 22 Milliarden Euro gestärkt werden. Mittel der Wahl: eine deutliche Absenkung der Strompreise. Die EEG-Umlage solle deshalb ab dem 1. Juli um 5 Cent pro Kilowattstunden gesenkt werden. Durch den Mehrwertsteuereffekt ergebe sich für private Haushalte eine Entlastung von 6 Cent pro Kilowattstunde. Ebenso profitierten Gewerbe und Industrie. Die Refinanzierung sei ab 2022 durch den CO2-Preis möglich, bis dahin müsse das Geld aus dem Bundeshaushalt zum Ausgleich auf das EEG-Konto gezahlt werden.
Die Senkung des Strompreises sei sozial ausgewogen und entlaste - anders als Steuersenkungen - vor allem Bürger mit kleinen Einkommen, betonte Patrick Graichen.
25 Milliarden für energietische Sanierung und Fernwärme
Mit insgesamt 25 Milliarden Euro würde die Bauwirtschaft am meisten profitieren. Zehn Milliarden Euro sollen in den Aufbau einer Industrie für die serielle energetische Sanierung von Häusern fließen. Dafür solle die Bundesregierung die Sanierung von 100.000 Wohneinheiten auf den KfW-Standard 55 ausschreiben. Die Förderung pro Sanierung könne dabei bis zu 100.000 Euro pro Wohnung betragen.
Jeweils fünf Milliarden Euro sind für den Ausbau klimafreundlicher Fernwärmenetze und für die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude sowie für ein Programm zum Austausch von einer Million Erdöl- und Erdgasheizungen gegen elektrische Wärmepumpen vorgesehen.
15 Milliarden für Strukturwandel in der Mobilität
„Mit klugen Konjunkturimpulsen können wir auch den Strukturwandel in der Automobilindustrie und die Verkehrswende voranbringen“, betonte Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende. „Ziel muss vor allem sein, die Elektrifizierung des Straßenverkehrs und die Modernisierung des öffentlichen Verkehrs zu beschleunigen. Gleichzeitig gilt es, Fehlanreize zu vermeiden, die den Umstieg auf alternative Antriebe und klimafreundliche Verkehrsträger weiter verschleppen.“
15 Milliarden Euro sieht der „doppelte Booster“ dafür vor. So soll der Umweltbonus für Elektroautos und Plug-in-Hybride um bis zu 2.000 Euro angehoben und auf elektrische Nutzfahrzeuge bis 7,5 Tonnen Gesamtgewicht ausgeweitet werden. Parallel dazu wird die Ladeinfrastruktur für Elektroautos verbessert und ein Förderprogramm für Elektromobilität im ländlichen Raum eingerichtet. Zusätzliche Milliardenbeträge sollen für den Aufbau von Batteriezellfertigungen in Deutschland und für einen Innovationsfonds für Start-up-Unternehmen bereitgestellt werden.
Im öffentlichen Verkehr sollen Bund und Länder den Ausbau von Premiumbussystemen mit 500 Millionen Euro in bis zu zehn Städten fördern. In zehn Innovationsräumen soll die Verknüpfung des klassischen öffentlichen Personennahverkehrs mit modernen Mobilitätsdienstleitungen vorangetrieben werden. Hierfür ist bis zu eine Milliarde Euro vorgesehen. Außerdem ist es Agora zufolge dringend erforderlich, zusätzliche Personalkapazitäten für die Planung und Genehmigung von Verkehrsinfrastrukturen einzurichten, damit öffentliche Investitionen in diesem Bereich möglichst rasch Früchte tragen.
Anschubfinanzierung für die Industrie: 15 Milliarden Euro
Ebenfalls 15 Milliarden Euro sollen in den klimafreundlichen Umbau der Chemie-, Stahl- und Grundstoffindustrie fließen. Hier sind Ausgaben in Höhe von jeweils fünf Milliarden Euro für die Anschubfinanzierung von Anlagen zur Wasserstoffherstellung sowie von klimafreundlichen Produktionsanlagen im Bereich der Stahl-, Zement- und Chemieindustrie vorgesehen.Weitere fünf Milliarden Euro sollen in Verbesserungen der Energieeffizienz von Produktionsprozessen fließen. Zudem schlägt das Papier die Einführung eines Regulierungsrahmens für Industriestrom auf Basis von erneuerbaren Energien vor, der durch weitgehende Befreiung von Abgaben und Umlagen besonders günstig sein kann.
20 Milliarden Euro für Europa
Schließlich sollen 20 Milliarden Euro in europäische Projekte fließen. So sollen der Aufbau einer europäischen Wasserstoffindustrie, der Bau eines Drehkreuzes für Windkraft aus Offshore-Anlagen in der Nord- und Ostsee und die Errichtung von Solarprojekten in Spanien und Italien ebenso wie der Wiederaufbau einer europäischen Photovoltaikindustrie mit zusammen zehn Milliarden Euro gefördert werden. Weitere zehn Milliarden Euro sind für Projekte vorgesehen, die im gemeinsamen europäischen Interesse liegen – darunter ein europaweites Netzwerk von Schnellladesäulen für Elektroautos, eine grüne europäische Stahlindustrie und die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude in großem Umfang.
Erneuerbare Energien: Kein Geld nötig, sondern Hemmnisse abbauen
Für den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland sieht das Papier hingegen keine nennenswerten finanziellen Impulse vor. Denn die Finanzierung hierfür werden über das Erneuerbare-Energien-Gesetz bereits weitgehend abgedeckt. Stattdessen gehe es vielmehr darum, Hemmnisse rasch abzubauen, die die Energiewirtschaft aktuell lähmen: So sollten dringend der Ausbaudeckel für Solaranlagen gestrichen werden und die Hürden für den Ausbau der Windenergie an Land beseitigt werden – stattdessen brauche es neue Flächenausweisungen und eine Beschleunigung der Genehmigungsprozesse. Zusätzlich sei es essenziell, den Ausbau der Solarenergie, sowie der Windenergie an Land und auf See zu beschleunigen, um das Klimaschutzziel Deutschlands zu erreichen.
Steuerfinanzierte Investitionen sind hingegen bei den Stromnetzen nötig – hier können Netzverstärkungen und intelligente Netzelemente früher erfolgen als bislang vorgesehen und teilweise direkt vom Bund finanziert werden. Hierfür sind in dem Vorschlag drei Milliarden Euro vorgesehen.
Die Vorschläge sollen in den kommenden Wochen diskutiert werden, kündigte Patrick Graichen an. Eine erste Gelegenheit dafür bietet sich in einem Webinar am 14. Mai.
In den Diskussionen mit der Politik muss sich dann zeigen, ob eine Bundesregierung, die es in den vergangenen Monaten nicht einmal geschafft hat, den Solardeckel abzuschaffen, ein so ambitioniertes Klimaschutz-Wachstumsprogramm auf den Weg bringen kann.
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