Nicole Weinhold
Auf der Weltklimakonferenz in Kattowitz wurde in der Verlängerung eine Einigung erzielt. Damit hatten viele nicht mehr gerechnet. Entsprechend erleichtert zeigten sich einige Teilnehmer erleichtert. Das Bundesumweltministerium etwa, das mit nichts in den Händen nach Polen gereist war. Vom BMU heißt es entsprechend zufrieden, nach drei Jahren Verhandlungen habe sich die Staatengemeinschaft auf gemeinsame Regeln zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens verständigt. Zum ersten Mal werde es ab 2024 gemeinsame verbindliche Mindeststandards zur Berichterstattung der Staaten über ihre Treibhausgas-Emissionen oder andere Klimaschutzmaßnahmen geben. Bislang galten vergleichbare Standards nur für die dem Kyoto-Protokoll unterworfenen Industrieländer, die für weniger als 15 Prozent der Emissionen verantwortlich sind.
Gegenseitiges Vertrauen
„In Paris haben wir 2015 beschlossen, dass wir alle gemeinsam das Klima schützen wollen", erklärt Bundesumweltministerin Svenja Schulze. "Jetzt haben wir beschlossen, wie wir das tun werden. Wir haben erreicht, dass sich zum ersten Mal nicht nur die halbe, sondern die ganze Welt beim Klimaschutz in die Karten schauen lässt." Das Pariser Abkommen beruhe auf dem gegenseitigen Vertrauen, dass alle Staaten ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Darum sei es entscheidend, dass jeder sehen kann, was der andere tut.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ein Ziel zu haben, ist ebenfalls gut, ein Zwischenziel wäre noch besser. Und nicht zuletzt muss es konkrete Maßnahmen zur Erreichung der Ziele geben. Dass der Kattowitz-Deal tatsächlich das Gelbe vom Ei ist, glauben die Wenigsten.
Fossile Brennstoffe bis 2030 halbieren
"Meine größte Sorge ist, dass der UN-Klimagipfel in Kattowitz es nicht vermocht hat, die Klimapolitik so zu gestalten, dass sie die von der Wissenschaft klar aufgezeigten Klimarisken jetzt tatsächlich wirkungsvoll begrenzt - vor allem haben sie versäumt, klar zu machen, dass die globalen Emissionen aus fossilen Brennstoffen bis 2030 halbiert werden müssen, wenn man dem 1,5-Grad-Report des Weltklimarats folgen will", urteilt Johan Rockström, der zusammen mit Ottmar Edenhofer als designierter Direktor das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung leitet.
EU hat keine Vorreiterrolle inne
Rebecca Harms, klimapolitische Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament, kritisiert die Lücke zwischen den Erwartungen von Wissenschaft und Bürgern auf der einen und mangelnder Bereitschaft der Regierungen auf der anderen Seite: „Die Ergebnisse von Kattowitz sind eine große Enttäuschung, die EU-Regierungen sind wieder nicht vorangegangen." Wissenschaftler und sogar die Finanzwelt forderten mehr Klimaschutz, aber die große Mehrheit der Regierungen setze weiter auf fossile Energie von gestern und verspiele eine große Innovationschance für die europäische Industrie.
"Die EU-Regierungen tragen eine große Verantwortung für die schwachen Ergebnisse der Klimaverhandlungen. Nach dem Abschied der USA vom internationalen Klimaschutz hätte sich die Europäische Union an die Spitze des internationalen Klimaschutzes stellen müssen." Diese Chance hätten die EU-Regierungen verstreichen lassen.
Klimaprozess stößt an seine Grenzen
Der klimapolitische ‚Geist von Paris‘ habe sich nicht lang gehalten, urteilt Hermann Ott, Präsidiumsmitglied des Deutschen Naturschutzrings. "Das Pariser Klimaabkommen kam noch mit schönen Worten aus – die Klima-Verhandlungen in Kattowitz sollten diesen Ankündigungen nun ein solides Gerüst unterziehen." Doch in Polen habe sich gezeigt, dass dieser Klimaprozess vermutlich die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreicht hat. Wenn eine kleine Gruppe von Staaten – notorisch die USA, Russland und Saudi Arabien – die Verhandlungen aus fossilem Eigeninteresse lahmlegen könne, dann müsse nach Wegen gesucht werden, um diese Blockaden zu umgehen. "Die Vorreiterstaaten müssen sich zusammentun und eigene Wege gehen. Wer von seiner Sache überzeugt ist, darf sich nicht von den ewigen Bremsern zurückhalten lassen." Also müssten sich ambitionierte Staaten im Norden und Süden der Erde mit gefährdeten Inselstaaten und anderen sehr verwundbaren Ländern zu einem ethischen Pakt auf rechtlicher Grundlage zusammenschließen. Fraglich seis, ob Deutschland in seinem gegenwärtigen Zustand überhaupt Teil einer solchen Vorreiter-Allianz sein könnte, so Ott.
Schlupflöcher schließen
Misereon-Chef Pirmin Spiegel findet, die Zeit bis 2020 müsse nun von den Vertragsstaaten genutzt werden, um das tatsächlich notwendige Klimaschutzniveau noch zu erreichen. "Der Klimagipfel hat mit dem fast vollendeten Regelbuch viele Türen geöffnet, um die klaffende Handlungslücke in der Klimapolitik rechtzeitig zu schließen. Er lässt aber die am meisten vom Klimawandel Betroffenen in weiten Teilen allein zurück," kritisiert Spiegel. Es müsse nun verhindert werden, dass Schlupflöcher entstehen, durch die Verpflichtungen der Staaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen über Tauschgeschäfte ausgehebelt werden können.