Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert den endgültig vorgelegten delegierten Rechtsakt zur Taxonomie der EU-Kommission als klimapolitische Bankrotterklärung. Er stuft Atomkraft und fossiles Gas als angeblich nachhaltig ein. Anstatt also wirklich nachhaltige Investitionen zu stärken, untergräbt die Kommission ambitioniertere bestehende Standards. Zudem werden damit die Weichen gestellt, dass Gas- und Atomkraftwerke durch den hunderte Milliarden Euro schweren EU-Wiederaufbaufonds finanziert werden können, dessen Mittelverwendung sich an der Taxonomie orientiert. „Atomkraft ist genau das Gegenteil von nachhaltig“, sagt auch Thomas E. Banning, Vorstandsvorsitzender der Naturstrom AG. „Sie ist mit den unkalkulierbaren Risiken für Millionen Menschen verbunden, sie bürdet künftigen Generationen die Ewigkeitslasten der Atommüll-Endlagerung auf und sie ist um ein Mehrfaches teurer als die Stromproduktion in modernen Photovoltaik- und Windenergieanlagen.“ Auch aus systemischer Sicht könne die Atomkraft keine Brücke in eine klimafreundliche Zukunft sein. „Ein Energiesystem, in dem erneuerbare Energien den Ton angeben, benötigt ein hohes Maß an Flexibilität auf der Erzeugungs- wie der Verbrauchsseite. Investitionen in neue Atomkraftwerke in Europa stehen dieser benötigen Flexibilisierung diametral entgegen. Sie halten das überkommene System zentraler Großkraftwerke, die sich nur geringfügig an die Nachfrage und die Angebote der Erneuerbaren anpassen können, künstlich am Leben und bremsen die nötige Transformation aus“, so Banning.
Insgesamt kam vor der Entscheidung von zahlreichen Seiten an den Plänen der EU. Und auch nachdem sie daran festhalten will, hagelt es Kritik. Auch die Bundesregierung stellt sich gegen das Greenwashing von Atomkraft und Gas. Wir fragten Volker Quaschning, Professor für erneuerbare Energien an der HTW Berlin, nach seiner Einschätzung. Lesen Sie auch die Rezension zu Volker und Cornelia Quaschnings neuem Buch Energierevolution Jetzt!
Professor Quaschning, bei der Kernenergie haben die Experten gehofft, dass eine Renaissance nicht kommen wird, weil die Kosten viel zu hoch sind. Und trotzdem gibt es in Europa diese Allianz derer, die Atomkraft ausbauen wollen. Wie kann das sein?
Volker Quaschning: Es wird suggeriert, dass Atomkraft massiv ausgebaut wird. Das wird sie aber gar nicht. Es gibt nur drei Neubauten in ganz Europa: Finnland, die sind gerade fertig geworden. In Frankreich und in Großbritannien. Ansonsten gibt es nur Absichtserklärungen. Polen hätte gern ein Atomkraftwerk. Aber das hätten die schon seit 1980 gern. Das klappt aber nicht, weil sie für die sündhaft teure Kernenergie gar keine Finanzierung hinbekommen. Warum macht die EU diesen ganzen Terz mit der EU-Taxonomie? Weil die Atomkraftwerke unwirtschaftlich sind und nur mit massiven Subventionen gebaut werden können. Das ist aber heute gar nicht erlaubt. Und deswegen müssen sie das über den grünen Umweg auf die Reihe bringen. Gründe, um Kernenergie zu bauen sind andere als günstigen Strom zu haben.
Frankreich hat sehr viel Kernenergie, aber sie wollen dort die Kernenergie gar nicht ausbauen. Deren Kernkraftwerkspark ist mittlerweile marode. Die Anlagen sind teilweise 30 oder 40 Jahre alt. Das heißt, denen wird die Stromversorgung in den nächsten 15 Jahren zusammenbrechen. Die müssen jetzt also irgendwas unternehmen. Entweder sie machen die alten Meiler für viel Geld und hohe Subventionen nochmal flott. Oder, tja, keine Idee... Frankreich steht bei der Energiewende dort, wo wir vor 20 Jahren standen. Und Frankreich hat 70 Prozent Kernenergie aus Kraftwerken, die zu großen Teilen in den nächsten 15 Jahren vom Netz gehen. Wir reden also nicht über einen Ausbau für den Klimaschutz, sondern den Versuch, den Status Quo irgendwie aufrechtzuerhalten. Damit emittiert Frankreich dann aber immer noch viel CO2 und muss sich überlegen, wie es klimaneutral wird. Anders als jetzt in Deutschland gibt es dafür gar keinen Plan. Da war sogar Peter Altmaier noch der Gott der Energiewende im Vergleich zu dem, was in Frankreich läuft.
Wenn man an die Modernisierung alter Meiler geht, ist das auch ein enormer Kostenaufwand.
Volker Quaschning: Genau das ist es, was die französische Regierung umtreibt. Sie haben viel weniger erneuerbare Energien als wir. Der Weg zur Klimaneutralität ist noch viel weiter. Der Green Deal kommt und alle denken: Frankreich hat so viel geschafft, sie haben 70 Prozent Kernenergie - aber nur beim Strom. Der Anteil der Kernenergie am gesamten Endenergiebedarf liegt auch in Frankreich gerade einmal bei 25 Prozent. Für den Rest müssen sie auch eine Lösung finden. Und wenn sie dann noch ihren Kernenergiepark ersetzen müssen, ist der Weg zur Energiewende noch ambitionierter, als das, was wir in Deutschland brauchen. Und das trauen sie sich nicht. Deshalb sagen sie lieber: Lasst uns die alten Meiler ertüchtigen, damit wir das Problem los sind. Also da geht es definitiv nicht um einen großen Ausbau für den Klimaschutz. Außerdem ist Frankreich eine Atommacht. Es gibt also noch andere Interessen, an der Kernenergie festzuhalten.
Eigentlich sollte man nur die Kosten ansehen – da muss man nicht einmal die Frage der Atommüllendlagerung ins Feld führen.
Volker Quaschning: Genau. Die eine Anlage, die in Frankreich gerade gebaut wird, Flamanville: Da hat ein einziger Reaktor mit 1,4 Gigawatt 19 Milliarden Euro gekostet. Für die gleiche Summe kann man 30 Gigawatt Photovoltaik bauen. Bei der Atomindustrie passt da gar nichts zusammen: Weder die Bauzeiten, noch die Kosten. Und für die Atommüllfrage ist seit Jahrzehnten ebenfalls immer noch ungelöst. Es mir unbegreiflich, warum zahlreiche Menschen diesen leeren Versprechen immer noch auf den Leim gehen.
Hier geht‘s zum Podcast von Cornelia und Volker Quaschning.
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