Nicole Weinhold
"Das ist ein Schlag in die Magengrube der Energiewende. Das passt nicht zur Diskussion über den Klimawandel", ringt Matthias Zelinger nach Worten. Der Geschäftsführer VDMA Power Systems spricht über die Halbjahreszahlen der deutschen Onshore-Windbranche. Tatsächlich bleiben diese weit hinter dem bisherigen Niveau zurück. "Das ist eine Reduktion um 82 Prozent gegenüber 2018 - was auch schon ein schwaches Jahr war", merkt Knut Rehfeldt an, Geschäftsführer der Deutschen Windguard, die die Zahlen ausgewertet hat.
Niedrigste Installationszahlen seit Einführung des EEG
VDMA und Deutsche Windguard präsentierten die Halbjahreszahlen gerade gemeinsam mit dem Bundesverband Windenergie (BWE) in Berlin. 287 Megawatt (MW) oder 86 Anlagen wurden in den ersten sechs Monaten 2019 zugebaut, der niedrigste Wert seit Einführung des EEG.
Unter den Blinden ist der Einäugige der König, so konnte Niedersachsen den stärksten Zubau verbuchen - mit 49 MW. Zahlreiche Bundesländer waren jedoch komplett abgeschlagen. Etwa Schleswig-Holstein, die Wiege der Windkraft, seit Jahren durch ein Moratorium ausgebremst: 5 MW Zubau, Baden-Württemberg - mit grüner Landesregierung: 3 MW Zubau. Bayern mit der 10H-Regelung, die quasi jetzt auch für NRW eingeführt wurde: Null Zubau.
Kein einziges Windrad neu in Bayern
Auch bei den kumulierten Zahlen steht Niedersachsen an der Spitze - mit inzwischen über 11 Gigawatt (GW) und 6.300 Anlagen von bundesweit 53 GW. Es folgen Brandenburg und Schleswig-Holstein mit jemit 7 GW. Rehfeldt berichtet, dass im ersten Halbjahr 2019 zwei Ausschreibungsrunden mit 700 und 650 MW ausgeschrieben wurden. "Beide haben eine starke Unterzeichnung gesehen, von 1.350 MW wurden nur 746 MW bezuschlagt", so der Windguard-Mann. Der Gebotspreis habe sich im Verlauf der Ausschreibungsrunden gewandelt: 2017 sind wegen der inzwischen abgeschafften Bürgerenergieregelung ein Absinken der Preis zu verzeichnen gewesen. "Mittlerweile hat sich das wieder stabilisiert", so Rehfeldt. Jetzt lag der Preis pro Kilowattstunde bei den Ausschreibungen bei 6,1 und 6,3 Cent.
Wie geht es weiter mit Ausschreibungen? In diesem Jahr wird es noch vier Windausschreibungen mit eine technologieoffene mit PV geben. Nicht bezuschlagte Volumina von 2019 werden auf 2022 übertragen.
Wird Deutschland auch die Klimaziele 2030 verfehlen?
Matthias Zelinger vom VDMA erklärt, was die schlechten Ausbauzahlen für die Hersteller bedeuten: "Wenn wir auf diesem Level bleiben würden, wäre das eine Marginalisierung des deutschen Marktes." Die Talsohle müsse durchschritten werden, sonst erreiche Deutschland nicht das 2030-Ziel und auch nicht die internationalen Verpflichtungen. "Es wird zum Standortvorteil Deutschlands, wenn man ausreichend Erneuerbare für die Industrie zur Verfügung stellen kann", betont er. Das heiße nicht, man solle das beliebig subventionieren. Sondern es müsse geklärt werden: "Wie können wir rechtssichere Genehmigungen kriegen?"
Frankreich und Schweden vor Deutschland
Zelinger verweist auf Nachbarstaaten, selbst Polen wolle 2.500 MW ausschreiben. Bei den europäischen Zahlen hatte Deutschland bei Wind Onshore immer geführt. Nun stehen wir weit hinter Frankreich und Schweden mit über 500 und 450 MW. Deutschland liegt mit unter 300 auf der Höhe von Italien, die Ukraine folgt dichtauf. "Weltweit erwarten wir 57 GW 2019 und 2020 über 60 GW, weil China wieder anspringt", so Zelinger.
Technologischer Leitmarkt
Deutschland habe dann noch so 2,5 Prozent vom Weltmarkt. Das müsse man betonen, so Zelinger, weil manch einer behauptet, wir würden weltweit vorweg rennen. Er betont, in Deutschland würden technologisch fortschrittliche Anlagen entwickelt. Aber ein technologischer Leitmarkt sei nicht mit 2,5 Prozent haltbar. Die Klimapläne der 27 Mitgliedstaaten der EU, die Ende des Jahres fällig werden, seien ein Katalog für Investitionen. "Wer Investitionen in seinem Land will, muss jetzt ein Zeichen setzen", so Zelinger. Mit anderen Worten: Wenn Deutschland sich nicht entschlossen zur Energiewende bekennt und den Ausbau so forciert, dass die EU-Klimaziele 2030 erreicht werden, dann verlieren wir auch Investoren.
4.700 MW jährlicher Zubau nötig
BWE-Präsident Hermann Albers betont: "Wir beklagen uns nicht wegen des wirtschaftlichen Rahmens, sondern es geht um Soft Skills. Die Kosten bewegen sich zwischen fünf und sechs Cent. Es spricht nichts gegen Wind und die Energiewende." Für 65 Prozent Erneuerbarenanteil bis 2030 seien 4.700 MW jährlicher Zubau nötig.
Flächenkulisse von zwei Prozent
Laut Albers wachse die Leistung pro Anlage in Richtung über vier MW, in den nächsten Jahren vielleicht sogar bis sechs oder sieben MW Onshore. Derzeit ist die durchschnittliche Anlagenleistung nicht einmal zwei MW. Das heißt: Es werden künftig weniger Anlagen für mehr Leistung gebraucht. 200 GW an Windleistung seien langfristig erforderlich, prognostiziert der BWE. "Eine Flächenkulisse von zwei Prozent ist dafür notwendig. Die Zahl der Anlagen wird sich nicht wesentlich verändern mit etwa 30.000, heute haben wir das schon mit 29.248 fast erreicht." In den vergangenen zwei Jahren habe Deutschland unterhalb des Zubaukorridors gelegen.
Kommunikation, die nach vorn gerichtet ist
Wichtig sei eine Kommunikation, die nach vorn gerichtet ist. Ein falsches Signal aus Berlin sei es, wenn die Regierung öffentlich fragt: Wie viel Wind brauchen wir überhaupt? Das wollen wir nochmal hochrechnen lassen. Das verunsichere die Landesminister, die dann fragen: Haben wir überhaupt die Rückendeckung aus Berlin? "Ein klarer Rahmen schafft Akzeptanz", so Albers. Die AG Akzeptanz habe am Ende gar nicht mehr getagt, weil die CDU auf einer Abstandsdebatte verharrt. "Draußen wird das flexibler gehandhabt." Wie Markus Söder, Chef der Bayern-Union, sich auch einen Kohleausstieg bis 2030 vorstellen könne. Die Branche hofft, dass Kanzlerin Merkel ihrem Wunsch für einen Windindustriegipfel folgt, um schwierige Themen anzugehen. Albers: "20.000 Arbeitsplätze in der Windkraft sind schon verloren, 100.000 Arbeitsplätze in den Erneuerbare."