Der Grundtenor im aktuellen Spiegel-Artikel: Die Bundesrepublik soll mit Windmasten regelrecht zugepflastert werden. „Deutschland dreht durch.“ Die Bundesländer haben jede Verhältnismäßigkeit verloren. Jetzt sollen die Bürger Sturm gegen den Wildwuchs laufen. Doch viel Wahres ist nicht dran am großen Windwahn. Vor allem drei Märchen verdienen eine genauere Betrachtung.
Märchen Nummer 1: Der Spiegel und die falschen Zahlen.
„Bis zu 60.000 neue Windkraftanlagen sollen in Deutschland errichtet werden“, schreibt der Spiegel. Weit gefehlt: Höchstens mit Rotoren aus den Neunziger Jahren wären derart viele Windmasten nötig. Zwar will die Bundesregierung bis 2050 eine Windleistung von 85.000 Megawatt am Netz haben, dafür würden aber rund 35.000 Anlagen genügen.
Weil zudem knapp ein Drittel der Leistung auf Großanlagen in Nord- und Ostsee verteilt wird, lichtet sich der benötigte Rotorenwald auf dem Festland auf etwa 25.000 Windräder. Zum Vergleich: Heute sind es 23.000. Die müssen bis 2050 zwar mindestens einmal ersetzt werden, viel mehr zusätzliche Rotoren sind aber nicht mehr nötig.
Märchen Nummer 2: Wildwuchs in den Ländern
Noch mehr als die Ziele der Bundesregierung ängstigen die Länderziele den Spiegel. Die Regierung wolle bis 2020 ja nur 35 Prozent Ökostrom. Die Länder aber hätten „in ihrem Übereifer“ schon so viele Flächen ausgewiesen, dass der Ökostromanteil in sieben Jahren auf 80 Prozent klettern kann. Märchen Nummer zwei. Diese angeblichen Ausbauziele beruhen zu großen Teilen auf Potenzialstudien und Energiekonzepten der Bundesländer. Deren Ziel ist es Möglichkeiten zu zeigen. Die Realisierung steht auf einem anderen Blatt. In Niedersachsen zum Beispiel spricht zwar das Energiekonzept von einem Ausbaupotenzial über weitere sieben Gigawatt. Im Raumordnungsprogramm, wo die echte Planung beginnt, bleibt davon jedoch kaum etwas Verbindliches übrig.
Und das neuerdings so windfreundliche Bayern? Hier sollte die Leistung von aktuell rund 900 Megawatt auf bald vier Gigawatt klettern. Doch Landeschef Seehofer rudert schon kräftig zurück: Bayern und Sachsen wollen die Abstände von Windturbinen zur Wohnbebauung mit Anträgen im Bundesrat drastisch erhöhen. Die zehnfache Anlagenhöhe soll als Kriterium gelten. „Das sind Abstände von 1,5 bis zwei Kilometer zum nächsten Haus. Damit würden fast gar keine Windturbinen mehr gebaut werden“, sagt Matthias Hochstätter, Sprecher des Bundesverband Windenergie, BWE.
„Richtig ist, dass Wildwuchs herrscht“, behauptet der Spiegel. Dabei gilt es eher umgekehrt aufzupassen, dass nicht zu wenig ausgebaut wird. Der Bundesverband Windenergie rechnet auch künftig mit knapp zwei Gigawatt Jahreszubau an Land.
Märchen Nummer 3: Eine fürchterliche Zukunft für Vögel?!
Werden diese Anlagen nicht trotzdem genügen, um ganze Vogelarten zu gefährden? Glaubt man dem Ornithologen Jörg Lippert im Spiegelartikel, „düsen“ Störche voll in die Rotoren hinein und dem Rotmilan droht eine „fürchterliche Zukunft“. Neue Studien der Vogelschützer sollen die angebliche Brutalität der Windräder belegen. Benannt werden diese Studien jedoch nicht.
Märchen Nummer drei: Ältere, dafür jedoch belastbare Daten sagen etwas anderes: Laut Gutachten Artenhilfskonzept Rotmilan, das im Auftrag mehrerer Bundesländer erstellt wurde, ist der Bestand des geschützten Rotmilans seit Ende der 90er Jahre stabil. Doch erst ab da wurden überhaupt Windparks im großen Umfang errichtet. Und der Weißstorch? Im turbinenreichen Niedersachsen hat der Naturschutzbund Nabu zuletzt 2008 nachgezählt. Da wurden 440 Brutpaare gesichtet – so viele wie seit 1981 nicht mehr.
Ein Dutzend Fehler, wo bleiben die wichtigen Fragen?
Insgesamt finden sich leicht ein Dutzend Übertreibungen, Fehleinschätzungen und Falschaussagen in dem fünfseitigen Werk des Spiegel. Einige interessante Fragen dagegen fehlen. Zum Beispiel welche Alternative haben wir zu den Erneuerbaren?
Täglich werden weltweit fast eine Milliarde Liter Öl aus der Erde gepumpt. Irgendwann ist der Öltropf versiegt und die Energiekosten werden explodieren. Wind und Sonne sichern die energetische Zukunft.
Zu 100 oder nur 80 Prozent könnte der fluktuierende Grünstrom zurzeit freilich nicht den Strom im Netz stellen – die starken Schwankungen würden es zusammenbrechen lassen. Doch bei der Lösung dieser Aufgabe machen Wissenschaft und Industrie mit Speichertechniken und intelligenten Netzen stetig Fortschritte. Und wie Rom nicht an einem Tag erbaut wurde, muss auch die Energiewende nicht nach nur zwanzig Jahren abgeschlossen sein.
(Denny Gille)