Die im vergangenen Jahr bei Lapp verkündete Strategie 2027 kann der mittelständische Kabelzulieferer wohl kaum anderswo besser vorführen, als im größten Werk des Stuttgarter Unternehmens im lothringischen Forbach. In den fünf Industriehallen mit 24.000 Quadratmetern Werksfläche lässt Lapp-Generaldirektor Stéphane Kaczmarek mit seinem Führungsteam in einem Zeitraum von drei Jahren 95 Prozent aller Maschinen ihren Platz wechseln. Ziel ist es dabei, die Rentabilität des Standorts im Fünfjahreszeitraum dramatisch zu steigern. 2027 werde Forbach auf 25 Prozent mehr Fläche – nach dem Zubau einer sechsten Halle mit 6.000 Quadratmetern – doppelt so viel produzieren und einen 6,5 Mal so hohen Ertrag erzielen. „Wir erwarten ein 6,5-faches Ebit“, so bestätigte es Kaczmarek am Mittwoch nach einer Präsentation der bisherigen Umrüstungsschritte.
9.200 Tonnen Kupfer verarbeiten die Nordfranzosen hier jährlich, 40 Tonnen pro Tag. Die integrierte Kupferdrahtherstellung lässt einige Millimeter starke Stränge durch ein maschinelles Auseinanderziehen in mehreren Schritten zu 0,15 Millimeter dünnen roten Metallhaaren werden. Diese verseilen wiederum andere Maschinen zu Leitungsadern, verflechten sie zu Kabelsträngen, um sie mit einer Kunststoffummantelung zu extrudieren. Hundertausende Kilometer Kabel verlassen das Werk wieder.
Die Neustrukturierung wird überall ansetzen, wie die Unternehmensleitung erklärt und an ersten Pilot-Anlagen-Ensembles bereits testet: So verkürzt eine Neuanordnung von Anlagen in einer wichtigen Produktionsstufe die täglichen Wegstrecken der Mitarbeiter von 6,6 auf 1,2 Kilometer pro Tag. Eine künftige Parallelanordnung zweier Extrusionsstränge vermeidet, dass das Auswechseln der Kunststoffzufuhr für den nächste Kabelauftrag inklusive Reinigung der Anlage nicht mehr drei Stunden Stillstand kostet, sondern nur noch zehn Minuten. Denn die jene Anlage bedienenden Kabelfertiger können nun den Kunststoffwechsel während der laufenden Extrusion an einer der beiden Fertigungsstränge vornehmen, während sie den anderen Fertigungsstrang vorbereiten. Ein in Entwicklung befindliches Recycling-Konzept soll künftig knapp 100 Prozent des Verschnittmaterials wieder in den Stoffkreislauf der Produktion zurückführen. Die künftig in eine extra Halle herausgenommene Kupferdrahtproduktion lässt die An- und Abfahrt des Materials effizienter ausfallen als bisher – Forbach kann dadurch zudem künftig große Mengen Kupferdraht auch für andere Lapp-Kabelwerke vorproduzieren. Die Umstellung der Stromversorgung im Werk auf Gleichstrom wird gemäß dem Konzept den elektrischen Bedarf um 20 Prozent reduzieren, weil Gleichstrom weniger Stromverluste verursacht als eine klassische Wechselstromversorgung. Weil Lapp zudem selbst Gleichstromkabel produziert, wird das Werk als Muster für andere Industrieunternehmen den Nutzen einer von Lapp ausgestatteten Gleichstromverkabelung vorführen.
Hinzu kommt eine Flexibilisierung der Herstellung. Weil Kunden wie Unternehmen für ihre Solaranlagen, Windstromdirektversorgung, Digitalisierung, Wasserstofferzeugung und ihren Elektroauto-Fuhrpark zunehmend häufiger von Lapp genau massgeschneiderte Gesamtverkabelungen verlangen, wechselt das Geschäft vom Massengeschäft mit mindestens 1.000-Meter-Kabeltrommeln hin zum Einzel-Projektgeschäft mit nur wenigen 100 Metern oder möglicherweise sogar kürzeren Kabelstrecken. Dabei wird das Konzept- und Beratungsgeschäft zum wichtigen Teil des Unternehmens, wie schon jetzt die Entwicklung der Aufträge erkennen lässt.
Zweck des umgekrempelten Werkes sei es auch, die gewaltigen Verteuerungen nicht nur von Rohstoffen wie Kupfer, sondern auch von Werkzeugen wie der Holztrommeln zum Aufspulen der Kabel auszugleichen, deuten die Führungskräfte des Werkes an.