Faulheit kann man dem Bundeswirtschaftsministerium nicht vorwerfen. Im Gegenteil. Der Zeitplan ist geradezu sensationell. Kurz nach Verabschiedung der EEG-Novelle hat das Team Gabriel wie versprochen ein erstes Zeichen gesetzt, dass es das leidige Thema Strommarktdesign direkt angehen will. Zahlreiche Fragen zur künftigen Energieversorgung müssen darin angegangen werden. Vor allem geht es darum, für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren auf die Zielmarke von mindestens 80 Prozent im Jahr 2050 ein Konzept zu entwickeln, das trotz volatiler Quellen Versorgungssicherheit zu bezahlbaren Preisen bietet. 2015 soll ein Weißbuch zum Strommarktdesign konkrete Lösungsvorschläge liefern. Noch in diesem Herbst wird in Vorbereitung auf das Weißbuch ein Grünbuch als Basis für das Weißbuch vorgestellt. Letzteres soll dann den Gesetzgebungsprozess vorbereiten.
Ein erster Schritt ist nun das rund 160 Seiten starke Gutachten "Optimierung des Strommarktdesigns" von Connect Energy Economics. Das Gutachten ist ein erster Teil mehrerer Studien, die das Wirtschaftministerium im vergangenen Jahr beauftragt hatte. Ziel: Verschiedene Varianten für den Strommarkt wissenschaftlich untersuchen. Dafür wurden das aktuelle Marktdesign, ein Reservemodell und drei Kapazitätsmodelle analysiert.
Experten für Kapazitätsmärkte
Was ist beim ersten Gutachten herausgekommen? Oder zuerst: Wer ist Connect Energy Economics? Marco Nicolosi und Barbara Burstedde, die Connect-Führung, sind promovierte Energiewirtschaftler, die in den vergangenen Jahren zahlreiche Publikationen zu Kapazitätsmärkten, Marktdesign etc geschrieben haben. Nicolosi war am konservativen EWI, aber auch bei Ecofys. "Wir glauben, dass sich effektives Policy Design und effizientes Marktdesign in einem verlässlichen Ordnungsrahmen integrieren lassen. Politische Vorgaben sollten (...) einen Ausgleich zwischen Umweltgerechtigkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit anstreben", so die Philosophie der Wissenschaftler.
Zurück zur "Optimierung des Strommarktdesigns". 160 Seiten, keine leichte Kost. Einen großen Bereich füllen dabei die Untersuchungen zu den Kapazitätsmärkten. In diese steckten die Betreiber konventioneller Kraftwerke bisher große Hoffnung. Zur Erinnerung: Beim Kapazitätsmarkt findet der Handel nicht mit verbrauchter Strommenge, sondern mit bereitgestellter Strommenge statt. Dadurch werden auch nicht genützte Kapazitäten vergütet. Kapazitäten, die bereitgestellt werden, um zum Beispiel bei Flaute fehlende Windstromleistung auszugleichen. Da das Bereitstellen und nicht nutzen natürlich Kosten verursacht, ist es das Ziel, die Kapazitäten möglichst niedrig halten zu können bei absoluter Versorgungssicherheit. Das kann gelingen durch einen flexiblen Markt. Die Autoren der Studie erwarten, dass die entsprechenden Preissignale durch Angebot und Nachfrage Anreiz für Flexibilitätsoptionen schaffen, für Erzeugungskapazitäten, Speicher, Lastmanagement und vieles mehr. So könnten Kapazitätsmärkte kleiner ausfallen als manch einer in der Vergangenheit angenommen hat. Ein Ergebnis, dass die fossile Stromwirtschaft alamieren sollte. Allerdings spielen viele weitere Aspekte hier hinein.
Lieber Reserven als Marktbeeinflussung
Gleichwohl, im Fazit schreiben die Autoren, Kapazitätsmärkte beeinträchtigten die Flexibilisierung des gesamten Stromsystems und führten zur Benachteiligung von flexiblen Marktteilnehmern. "Gleichzeitig beeinflussen Kapazitätsmärkte die Preisbildung am Spotmarkt. Durch die reduzierten Preisspitzen wird den Flexibilitätsoptionen ihre wirtschaftliche Grundlage weitestgehend entzogen." Eine abschließende Bewertung der Kapazitätsmärkte sei zwar nicht möglich, aber: "Bevor der Bedarf für und die Eignung der Mechanismen nicht festgestellt ist, sollten jedoch zunächst Optimierungspotenziale im bestehenden System ausgeschöpft und ggf. zusätzlich minimalinvasive, reversible Mechanismen wie eine Reservelösung, die auf der bestehenden Netzreserve aufsetzt, zur Absicherung des Flexibilisierungsprozesses genutzt werden. " Mit Reservelösung meinen die Autoren das Vorhalten gesicherter Leistung außerhalb des Strommarkts als Absicherung der flexiblen Leistung. Diese Reserve würde den Markt nicht beeinflussen. Rückwirkungen werden vermieden, indem die Reserve entweder direkt vom Übertragungsnetzbetreiber als Systemreserve eingesetzt wird oder zu sehr hohen Preisen angeboten wird. Bleibt allerdings die Frage, ob die Preise für die Reserve auch hoch genug sind, um Anreiz zum Vorhalten von Reserven zu schaffen. Kraftwerksbetreiber dürften da skeptisch sein. (Nicole Weinhold)