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Patente

Kampf um Know-how

Der Fall schlägt bis heute hohe Wellen. Indische Richter hatten Patente des deutschen Windanlagenbauers Enercon in Indien kurzerhand für unwirksam erklärt und das Unternehmen beim geistigen Eigentum dadurch faktisch enteignet. Zwölf Patente wurden sofort gelöscht, gegen 45 von 124 eingetragenen Schutzrechten laufen derzeit Löschungsklagen. Enercon spricht beim Standort Indien von eklatanter Rechtsunsicherheit, Desillusionierung und einer Fehlinvestition. Das Unternehmen zieht sich aus dem Markt zurück. Inzwischen nennt sich der Know-how-Dieb nicht mehr Enercon India, sondern Wind World India. Der Fall zeigt auf drastische Weise, wie schnell der Schutz geistigen Eigentums – in hochtechnologischen Branchen wie den erneuerbaren Energien ein zentraler Wettbewerbsfaktor – in Indien durch Behörden ausgehebelt werden konnte. Rechtsunsicherheit in Form von allmächtigen Beamten, intransparenten Genehmigungsprozessen, Vetternwirtschaft und Korruption werden den asiatischen Schwellenländern immer wieder pauschal vorgeworfen. Asien gilt in Sachen geistiges Eigentum (Intellectual Property, IP) als der „Wilde Osten“. Doch das ist nicht richtig.

China sucht nach Wirtschaftsstrategie

China ist nicht Indien. In der Volksrepublik haben sich die Möglichkeiten der Durchsetzung von gewerblichen Schutzrechten wie Patenten, Marken oder Copyrights in den letzten Jahren signifikant verbessert. Inzwischen werden 70 bis 80 Prozent der Gerichtsprozesse, in denen es um den Schutz geistigen Eigentums geht, von den Klägern gewonnen. Westliche Unternehmen machen in China die Erfahrung, dass der Verletzung von Schutzrechten und Geschäftsgeheimnissen (Trade Secrets) sehr wohl juristisch beizukommen ist und dass das geistige Eigentum dort inzwischen wirksam geschützt werden kann.

China hat erkannt, dass die energieintensive und umweltschädliche Produktion billiger Massenprodukte für den Export keine tragfähige Strategie für die Zukunft des Landes ist und setzt selbst auf Innovation und geistiges Eigentum. So sieht der aktuelle Fünfjahresplan, der die Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas sehr genau vorgibt, einen umfassenden Aufbau chinesischer IP vor.

Steueranreize für neue Patente

Die Basis sind zahlreiche staatliche Programme zur Förderung des Aufbaus geistigen Eigentums, beispielsweise steuerliche Anreize und Beihilfen für Patentanmeldungen chinesischer Unternehmen. Die National Patent Development Strategy (2011 bis 2020) gibt vor, dass die jährlichen chinesischen Patentanmeldungen im Jahr 2015 die Zahl von zwei Millionen erreichen und China bis zum Jahr 2020 eine innovative Nation mit Forschungs- und Entwicklungs-Investitionen in Höhe von 2,5 Prozent des Bruttosozialprodukts (BIP) sein soll.

Die Zahl der im Ausland angemeldeten chinesischen Patente soll sich verdoppeln. Beim Europäischen Patentamt (EPA) haben die Anmeldungen aus China in den vergangenen fünf Jahren bereits um 33 Prozent zugenommen. 2012 kamen knapp 19.000 Patentanmeldungen aus China, das ist immerhin schon Platz vier im Ländervergleich des EPA. Kein Zweifel: China wird zum Patent-Po­werhouse.

Neue, nicht fossile Energien gehören im zwölften Fünfjahresplan zu den sieben strategischen Industrieschwerpunkten, die durch die Regierung massiv gefördert und durch gewerbliche Schutzrechte abgesichert werden. Angesichts der großen Umweltbelastungen stehen regenerative Energien in der Volksrepublik im Zentrum der künftigen Energiegewinnung. China will hier vom Imitator zum Innovator werden. Die einheimischen Firmen werden ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung drastisch erhöhen und dabei durch massive Subventionen gestützt. Das Know-how, das dabei generiert wird, soll mit Schutzrechten abgesichert werden.

Bei chinesischen Anmeldezahlen von Erfindungspatenten und Gebrauchsmustern im Bereich Solarenergie lässt sich ein starker Anstieg von 5.459 Anmeldungen im Jahr 2008 auf 15.297 im Jahr 2011 erkennen. Der Grund für diesen Anstieg um fast 200 Prozent ist der zwölfte Fünfjahresplan mit der Vorgabe der Regierung nach „Absicherung der einheimischen Innovation“ durch Schutzrechte. Genauso verhält es sich in der Windkraftbranche, wo in den vergangenen Jahren ein ähnlich rascher Anstieg zu verzeichnen war, wenn auch auf insgesamt niedrigerem Niveau. Der chinesische Markt wird durch Schutzrechte abgeschottet.

Was bedeutet das für die deutschen Unternehmen der erneuerbaren Energien? Diese Absicherung der einheimischen Innovationen soll nicht nur das selbst entwickelte Know-how chinesischer Unternehmen und Erfinder schützen. Problematisch wird es, wenn chinesische Unternehmen massenhaft Schutzrechte auf Technologien anmelden, die aus westlichen, öffentlich verfügbaren Patentdatenbanken ausgelesen werden und deren Erfindungshöhe, wenn überhaupt, nur minimal angepasst wird.

Mit dieser Great Wall of Patents können chinesische Hersteller deutsche Unternehmen vom chinesischen Markt fernhalten oder sie sogar ganz aus dem Markt drängen. Das Gleiche gilt für Exportmärkte in Drittländern. Angesichts der Tatsache, dass sich das Wachstum beispielsweise in der Solarbranche auch weiterhin stark nach Asien und besonders nach China verschieben wird, ist das eine kritische Situation für deutsche Hersteller. Für sie ist es sehr schwierig, in chinesischen Patentdatenbanken zu recherchieren, da sämtliche Unterlagen nur in der Landessprache verfügbar sind. Zudem bietet das chinesische Gebrauchsmuster den Unternehmen die Möglichkeit zur Erlangung eines Schutzrechts, das bei der Anmeldung nicht substanziell auf Erfindungshöhe oder Neuheit geprüft wird. Chinesen können also in großer Zahl Schutzrechte anmelden, die nur durch Löschungsanträge beseitigt werden können.

Bislang ist es noch so, dass chinesische Unternehmen vor allem in China patentieren. Nur 2,25 Prozent der Patente chinesischer Unternehmen der Solarbranche wurden 2011 außerhalb des Landes angemeldet. Doch im Zuge der politisch forcierten Internationalisierungsstrategie chinesischer Unternehmen wird die bislang noch lokale chinesische IP-Offensive in naher Zukunft immer globalere Züge annehmen und westliche Firmen werden sich in ihren Heimatmärkten mit Schutzrechten chinesischer Unternehmen konfrontiert sehen.

Know-how-Abfluss verhindern

Für deutsche Hersteller kommt es jetzt darauf an, den chinesischen Wettbewerb genau zu analysieren, Angriffe abzuwehren und die eigenen Marktanteile zu verteidigen. Es geht um das Monitoring und die Analyse chinesischer Patente, das Vorgehen gegen in böser Absicht angemeldete chinesische Schutzrechte und ein sinnvolles Patentportfolio, das die eigenen Kernkompetenzen und Schlüsseltechnologien schützt.

Wer meldet was an, wohin geht der Trend, was könnte uns gefährlich werden? Werden bösgläubige Schutzrechte entdeckt, können diese mithilfe gut vernetzter lokaler Patentanwälte für nichtig erklärt werden. Nichtigkeitsverfahren sind in China bei guter Vorbereitung meist schnell und fair.

Betriebsgeheimnis auch in China geschützt

Neben der Recherche in öffentlich zugänglichen Datenbanken bedienen sich manche chinesische Unternehmen immer öfter auch illegaler Methoden, um an westliches Know-how zu kommen. Westliche Unternehmen der regenerativen Energien werden immer wieder Opfer von Industriespionage durch chinesische Wettbewerber. Dieser wachsenden Bedrohung müssen sich Hersteller im Bereich der erneuerbaren Energien mit einem soliden Schutzkonzept entgegenstellen.

Neben technischen Maßnahmen zur Sicherung von Know-how und Betriebsgeheimnissen sollten vor allem die besondere Schulung von Wissensträgern und die Betreuung der Mitarbeiter im Vordergrund stehen. Know-how fließt in den meisten Fällen über unzufriedene Mitarbeiter ab. Alle organisatorischen, personellen und technischen Schutzmaßnahmen müssen jedoch gerichtsfest dokumentiert und im Streitfall nachweisbar sein.

Wer das geschützte Know-how, also Betriebs- und Branchengeheimnisse eines anderen stiehlt, macht sich in der Volksrepublik auch dann strafbar, wenn er dabei keine Patente oder industrielle Urheberrechte verletzt. Das Betriebsgeheimnis ist auch in China rechtlich geschützt, Industriespionage wird konsequent verfolgt und hart bestraft. Die Erfolgsaussichten für Prozesse sind bei sorgfältiger Vorbereitung und professioneller Durchführung gut. Die rechtliche Basis sind das Strafgesetz, das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, das Vertragsgesetz, das Arbeitsgesetz und die verwaltungsrechtlichen Bestimmungen für das Verbot von Verletzungshandlungen bei Geschäftsgeheimnissen.

Bei Industriespionage haben ausländische Unternehmen die Möglichkeit, den Angreifer verwaltungsrechtlich und strafrechtlich zu verfolgen sowie zivilrechtlich Schadensersatz zu verlangen. Es empfiehlt sich grundsätzlich der straf- und zivilrechtliche Weg, weil beim Verwaltungsverfahren das Risiko besteht, dass Geschäftsgeheimnisse bei Behörden dem Patriotismus und lokalen Protektionismus geopfert werden. Eine Voraussetzung für die erfolgreiche Bekämpfung der Industriespionage ist, dass das Know-how des Originalherstellers nachweisbar geschützt ist, einen Handelswert besitzt und öffentlich nicht zugänglich und bekannt ist.

Der Fall AMSC gegen Sinovel

Bei einer Klage muss das bestohlene Unternehmen nicht nur beweisen, dass das geschützte Know-how vom Beklagten illegal beschafft wurde. Es muss auch darauf vorbereitet sein, dass sich die Chinesen auf Reverse Engineering, den exakten Nachbau eines Produkts auf Basis der Vorlage des zerlegten Originals, berufen. In China ist es nicht strafbar, Know-how durch Reverse Engineering zu beschaffen. Diese Methode gilt in der Volksrepublik als eigene Forschung und Entwicklung. Der Nachbauer muss jedoch beweisen, dass und wie er das Reverse Engineering durchgeführt hat.

Auslöser für den mittlerweile nun schon Jahre andauernden Rechtsstreit zwischen der US-amerikanischen AMSC und dem chinesischen Unternehmen Sinovel war ein Fall von Industriespionage. Ein mittlerweile geständiger und verurteilter Ex-Mitarbeiter der österreichischen AMSC-Tochterfirma Windtec hatte dem chinesischen Geschäftspartner Sinovel sensible Daten verkauft. Der ehemalige Angestellte, der auch nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses noch Zugang zu seinem E-Mail-Account hatte, konnte sensible Quellcodes problemlos an seinen neuen Arbeitgeber Sinovel weiterleiten. Mithilfe dieser Codes konnte die Firma kritische Komponenten selbst herstellen und sämtliche Anlagen alleine betreiben. Die Partnerschaft mit AMSC wurde obsolet. Besonders bitter für die Amerikaner war, dass die Chinesen bis dahin für 80 Prozent des Umsatzes sorgten. Die Streitigkeiten über Schadensersatz dauern immer noch an, da Sinovel nach wie vor alle Vorwürfe vehement zurückweist. Für AMSC geht es um etwa 1,2 Milliarden US-Dollar.

Der Fall zeigt, wie wichtig eine tragfähige IP-Strategie ist – im China-Geschäft und auch im Heimatmarkt. Mit einem Know-how-Schutzkonzept, das sowohl technische als auch organisatorische Maßnahmen umfasst, hätte der Abfluss von Geschäftsgeheimnissen verhindert werden können. Auch Unternehmen, die nicht in China präsent sind, sollten sich nicht allzu sicher wähnen. Durch immer stärker vernetzte Kommunikation steigt auch das Potenzial für deren Missbrauch. Wer präventiv gerichtsfeste Vorkehrungen trifft, kann der chinesischen IP-Offensive gelassener entgegensehen.

Alexander Gangnus
Senior IP Consultant
Munich Office
CHINABRAND CONSULTING