Die 70 und letzte installierte Windenergieanlage in dem Windfeld nordöstlich vor der Insel Rügen markiert gleich eine ganze Handvoll von Premieren oder eben auch finaler Ereignisse. So betritt Projektierer und Investor Iberdrola mit Wikinger zum ersten Mal den deutschen Offshore-Windenergiemarkt. Das erste Offshore-Projekt der Spanier hierzulande wollen diese als „Vorzeigeprojekt“ verstanden wissen, wie Iberdrola in der Pressemitteilung zum beendeten Bau von Wikinger hervorhebt. Mit dem Windpark seien „wichtige Impulse für Iberdrolas Zulieferer“ entstanden, teilte das Unternehmen mit, ohne dies näher zu begründen. Nach dem ähnlich großen Windpark West of Dudden Sands in Großbritannien wird Wikinger der zweite Offshore-Windpark-Anschluss Iberdrolas werden.
Premiere bedeutet der größte Windpark auch für die dort errichteten Turbinen der Marke Adwen AD-135. Die Turbinen mit fünf Megawatt (MW) Leistung haben einen Rotor mit 135 Meter Durchmesser – uns sie bilden im Windfeld Wikinger zum ersten Mal einen Windpark. Die bisher von Adwen-Vorgänger-Unternehmen Areva errichteten Anlagen mit derselben Technologie und ähnlichem Design hatten eine technische wie physische Dimension von fünf MW und 116 Meter Rotordurchmesser.
Der bislang größte deutsche Ostsee-Windpark – ja auch eine Premiere – verspricht zugleich eine Stromerzeugung, die laut Iberdrola 20 Prozent des Bedarfs des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern abdecken soll. Sicher ist, dass Mecklenburg mit ihm die installierte Windenergie-Leistung von 3,5 Gigawatt überschreiten wird.
Zugleich entstand vor Rügen nun der vorerst letzte Windpark mit der Adwen-Turbinentechnik beziehungsweise mit der Technik von Multibrid. Bei dieser Technik – ursprünglich unter dem Dach der deutschen Firma Multibrid in Bremerhaven in diesem Typ Windenergieanlagen verwirklicht – besteht aus einem extrem komprimierten Getriebe, das sich nur aus einer Getriebestufe zusammensetzt statt wie sonst bei Windrädern aus zwei, drei oder gar vier Drehzahl-Übersetzungsstufen. Außerdem handelt es sich beim Hauptlager des Rotors um ein Gleit- statt einem konventionellen Rollenlager. Doch die erst von der französischen Areva als Windenergiesparte übernommene Firma Multibrid hatte sich 2015 in dem Joint Venture Adwen mit der Offshore-Abteilung des spanischen Turbinenbauers Gamesa vereint. 2016 schließlich fusionierte Gamesa mit Siemens. Und im Zuge zeitgleicher finanzieller Nöte des Areva-Konzerns überließ Areva dann Adwen letztlich dem neu gegründeten Windenergiekonzern Siemens Gamesa. Vorigen Monat – im September – erklärte Siemens schließlich, die mit der Fusion von Adwen übernommenen französischen Offshore-Windenergieprojekte nicht mit der neu entwickelten Acht-MW-Adwen-Turbine zu bestücken. Stattdessen wolle Siemens Gamesa den Turbinentyp mit dem Rekord-Rotordurchmesser von 180 Meter aus dem Sortiment nehmen. Bisher steht die Anlage nur als Prototyp in Bremerhaven. An ihrer Stelle will Siemens Gamesa die bisherige Siemens-Offshore-Großanlage errichten, die anfangs für nur sechs MW inzwischen aber für eine Stromerzeugung mit acht MW ausgelegt ist. Weitere Windparkprojekte mit den Fünf-MW-Adwen-Anlagen sind hingegen nicht mehr geplant. Areva-/Adwen-Turbinen mit 116 Meter Rotordurchmesser stehen heute in drei Nordseewindparks. Die Großanlage AD-8-180 soll indes noch zu Forschungszwecken und für eine mögliche spätere Weiterentwicklung durch Wissenschaftler weiter betrieben werden.
Wann Wikinger nun tatsächlich ans Netz gehen soll, gibt Iberdrola nicht bekannt. Tatsächlich verlegt Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz derzeit noch das Hauptkabel zum Anschluss des Windparks ans Land. Derweil hat Iberdrola auch mit seinem dritten Offshore-Projekt begonnen, dem britischen Vorhaben East Anglia One. Der Windpark vor der Ostküste Großbritanniens soll mit 714 MW im Jahr 2020 als dann möglicherweise größter Meereswindpark ans Netz gehen. Als unmittelbar anschließendes viertes Offshore-Windprojekt der Spanier könnte dann ironischerweise der französische Windpark Bay of Saint-Brieuc folgen: Bei dem Projekt an der Atlantikküste handelt es sich um eines der ehemaligen Adwen-Windparkvorhaben, das nun aber von Siemens Gamesa mit Siemens-Windenergietechnik beliefert werden wird.
Wikinger wiederum wird mit einer Investitionssumme von 1,4 Milliarden Euro so viel pro MW gekostet haben wie das installierte MW in den meisten deutschen Nordseewindparks auch: Gut vier Millionen Euro.
(Tilman Weber)