Inzwischen versucht sich der geschasste Noch-SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel als Außenminister. Ob er dort die Fußstapfen von Frank-Walter Steinmeier ausfüllen kann, wird sich noch zeigen. Doch als Wirtschafts- und Energieminister ist er kläglich gescheitert. Oder vielleicht auch nicht? Es kommt – wie immer – auf den Blickwinkel an. Wenn man es aus der Sicht derjenigen betrachtet, die die Energiewende voranbringen wollen, war Garbiel eher ein unbequemer Zeitgenosse. Aus Sicht der alten Energiewirtschaft hat er sich hingegen wacker geschlagen bei der Sicherung der alten Pfründe und der Verlängerung der Begräbniszeremonie für die alten konventionellen Kraftwerke.
Das letzte Puzzlestück in dieser Energiewende-Verhinderungsstrategie hat Gabriel noch schnell eingefügt, bevor er ins Außenministerium umgezogen ist: sein Vorschlag, die vermiedenen Netzentgelte für EEG-Anlagen abzuschaffen. Ab 2018 vermeiden die neu gebauten Photovoltaik- und Windkraftanlagen gesetzlich verordnet keine Netzkosten mehr, gleichgültig, ob sie Verbraucher vor Ort versorgen oder der Strom über lange Trassen durch die Republik geschoben wird. Vom Jahr 2021 an tun das auch Biomasse-, Biogas- und Wasserkraftanlagen nicht mehr, gesetzlich verordnet.
Gabriel begründet die Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte damit, dass die EEG-Anlagen zunehmend nicht mehr für den Stromverbrauch vor Ort gebaut werden, sondern immer mehr in die Netze einspeisen und diese damit nicht mehr entlasten. Nun, das mag vielleicht nicht ganz falsch sein.
Verbrauch vor Ort verhindert
Doch bei genauer Betrachtung hat Gabriel genau dies die ganze Zeit mit seiner Verhinderungspolitik betrieben. Er hat dafür gesorgt, dass durch die Sonnensteuer der Eigenverbrauch künstlich verteuert wird. Er hat dafür gesorgt, dass die Mieter immer noch die volle EEG-Umlage auf Strom vom Dach des Hauses bezahlen müssen, in dem sie wohnen. Er hat keinerlei Anstrengungen unternommen, die direkte Belieferung mit Strom aus Solaranlagen zu ermöglichen, die neben Industriebetrieben stehen.
Statt dessen setzt er auf Ausschreibungen, bei denen das einzige Kriterium der gebotene Strompreis ist. Zwar erreicht er damit das Ziel, dass die Preise für den Solarstrom immer weiter sinken,wie die Ergebnisse der Ausschreibungen zeigen. Doch sorgt genau das dafür, dass die Anlagen weit weg vom Verbraucher gebaut werden und damit die Netze nicht entlasten können. Statt hier ein Kriterium einzuführen, dass Anlagen bevorzugt werden, die in der Nähe von Verbrauchern gebaut werden und damit die Netze nicht belasten, baut der Ex-Energieminister noch eine weitere Hürde für den Stromverbrauch vor Ort ein. Denn der Strom, der mit der Marktprämie vergütet wird, muss vollständig ins Netz eingespeist werden. Eigenverbrauch oder direkte Vermarktung vor Ort geht nicht.
Erneuerbare entlasten die Netze
Schon mit diesen Regelungen wird klar: Die Anlagen werden dort gebaut, wo das Land, auf dem sie stehen, billig und einfach zu erschließen ist. Es sind nicht die Analgen auf alten Müllhalden der Städte und Gemeinden, die hier zum Zuge kommen. Denn diese Gebiete bedürfen eines viel höheren Aufwands für die Erschließung, was den Preis für den Strom zwangsläufig in die Höhe treibt. Damit werden die Anlagen zwangsläufig in den lastschwachen Gebieten gebaut und entlasten dadurch die Netze nicht. Doch dies grundsätzlich dem Anstieg der dezentralen Erzeugung in die Schuhe zu schieben, wie es der Gesetzentwurf uns weismachen will, ist völlig unlauter und soll einzig und allein dazu dienen, die Erneuerbaren weiter in Verruf zu bringen. Denn grundsätzlich sind diese in der Lage, die Netze zu entlasten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und sie das auch dürfen.
Für die Anlagenbetreiber ändert sich dadurch erst einmal nichts. Denn sie bekommen die Entgelte für vermiedene Netzkosten ohnehin nicht, da dies in der EEG-Vergütung ohnehin schon mit enthalten ist. Doch was bedeutet der Wegfall der vermiedenen Netzentgelte für den Stromkunden? Das wird bei einem Blick in die Berechnung der EEG-Umlage durch die Übertragungsnetzbetreiber deutlich. Schließlich preisen sie 5,66 Euro ein, die jede eingespeiste Kilowattstunde Solarstrom an Netzentgelten einspart. Bei der Onshore-Windkraft liegt der Wert bei immerhin noch 3,85 Euro pro Kilowattstunde. Für die Biomasse werden satte 7,82 Euro pro Kilowattstunde angesetzt. Insgesamt beläuft sich die Summe der vermiedenen Netzentgelte auf 875.529.560 Euro. Um diese Kosten verringern sich die prognostizierten Kosten für die Netzbetreiber, auf deren Basis die EEG-Umlage berechnet wird. Wenn die bisher eingepreisten vermiedenen Netzentgelte wegfallen, muss zwangsläufig die EEG-Umlage steigen, wenn auch nur marginal.
Schleswig-Holstein und Thüringen wollen einheitlichen Netzentgelte
Für die Netzbetreiber ist das ein Geschenk. Denn diese bekommen grundsätzlich erst einmal mehr Geld in die Hand. Damit könnten sie die Netzentgelte senken. Doch ob das tatsächlich geschieht, bleibt noch abzuwarten. Tun sie das, wird die steigende EEG-Umlage durch die sinkenden Netzentgelte wieder wett gemacht. Das gilt auch für Regionen, in denen die Netzentgelte derzeit extrem hoch sind, weil dort die EEG-Anlagen aufgrund der niedrigen Bodenpreise gebaut werden. Tun sie es nicht, steigen einfach nur die Strompreise für die Verbraucher. Was bleibt, ist ein Imageschaden für die Energiewende.
Ein zweiter Kritikpunkt ist, dass auch das neue Gesetz die ungleiche Verteilung der Netzentgelte in Deutschland nicht beseitigt. Weiterhin werden die Verbraucher mehr für das Netz berappen müssen, die in Regionen leben, in denen viele Anlage gebaut werden, wo der Verbrauch aber niedrig ist. Hier rächt sich die Idee von der rechnerischen Autarkie der Ortschaften. Statt dessen werden die Verbraucher, die von der forcierten Energiewende in strukturschwachen Regionen profitieren, auch weiterhin niedrigere Netzentgelte bezahlen müssen, weil sie für die Finanzierung des Abtransports des Stroms aus anderen Regionen nicht zur Kasse gebeten werden. Diese Ungerechtigkeit will Schleswig-Holstein und Thüringen mit einer Bundesratsinitiative beseitigen, indem einheitliche Netzentgelte für alle Regionen in Deutschland eingeführt werden. Hier wäre natürlich zu überlegen, noch einen Schritt weiterzugehen und die Netzentgelte auf der Basis der Lieferstrecke zu berechnen.
Das Netzentgeltmodernisierungsgesetz ist aber in seiner jetzt vorliegenden Fassung nicht mehr als ein weiteres Stückwerk in einer völlig undurchdachten Energiepolitik, die seit Jahren in Berlin gemacht wird. Statt die Vorteile der dezentralen Erzeugung endlich zu nutzen, wird mit diesem Gesetz die Energiewende weiter in Verruf gebracht. (Sven Ullrich)