Das liegt freilich kaum an den vom neuen Superminister für Energie und Wirtschaft dort verteidigten „Eckpunkten“ einer Reform am Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Im Gegenteil: Zwischen diesen von Gabriel gesetzten Koordinaten bliebe eigentlich genügend Raum für Photovoltaik (PV) und Windenergie. Daran ändern selbst die vorgesehene verpflichtende Direktvermarktung und eine abgemilderte Förderung von Windparks an windreichen Standorten nichts. Jährlich 2,5 Gigawatt (GW) mehr Leistung sowohl für Sonnenkraft als auch Windkraft an Land plus 800 Megawatt Offshore würden den Impuls aus dem guten Ausbaujahr 2013 beibehalten. Zugegeben, die PV müsste noch einmal etwas Federn lassen, hätte dann aber auf einem immer noch beachtlichen Niveau viele Jahre lang die Gewissheit auf einen stabilen Zubau. Nicht einmal der von Windstromunternehmern eifrig kritisierte atmende Deckel begründet die jetzige Unsicherheit bei Investoren und Industrie. Denn die stufenweise beschleunigte Degression der Vergütung von Windparks ist besser geplant als vor zwei Jahren bei PV. Sobald weitere Ausbaulimits überschritten worden sind, erfolgt sie moderat – und mit einem Jahr Verzögerung. Selbst zwei bis dreijährig projektierte Windparks können dann mit realistischerweise bis zu zwei Vergütungsabsenkungen von jeweils maximal 0,4 Prozent verglichen mit der Anfangsplanung gerade noch zurechtkommen.
Beunruhigend ist hingegen die fehlende politische Rückendeckung: Da darf der bayerische Koalitionspartner CSU fast ungestört Wahlkampf gegen die Energiewende machen, die doch angeblich mit den Eckpunkten eigentlich stabilisiert werden soll. So kommen in dem zuletzt zu den führenden Windkraft-Ausbauländern zählenden Freistaat schon jetzt Projektierungen jäh zum Stillstand, weil Seehofer bundesweit einmalig große Abstandsweiten zwischen Siedlungen und Windparks verlangt. Das schlimmste hieran ist auch hier womöglich nicht die Erlaubnis für dieses Ausscheren in den Eckpunkten. Das Zugeständnis mag aufgrund der Koalitonsarithmetik notwendign gewesen sein. Besonders schädlich wirkt die Neuregelung im Baugesetzbuch aber deshalb, weil sie durch Anweisungen des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer schon vor dem Inkrafttreten von den Genehmigungsbehörden angewandt wird. Und weil die Koalition zugleich offen lässt, ob sie Windenergie an Binnenlandstandorten überhaupt weiter fördern will. Die Eckpunkte sehen nur vor, dass Windparks bei einem Referenzertrag von 77,5 Prozent der Erträge eines gewöhnlich guten Standorts die maximale Förderung erhalten sollen und bei besseren Windverhältnissen weniger Unterstützung brauchen. Auf die Frage, ob die in Süddeutschland bisher noch lukrativen Windparks mit nur 60 bis 70 Prozent noch dieselbe Höchstvergütung bekommen sollen, herrscht Schweigen.
Wie lange und worüber schweigt der Energieminister?
Es ist vor dem Hintergrund der Seehoferschen Rolle Rückwärts alarmierend, genauso wie die Tolerierung der bayerischen Attacken gegen den Ausbau von Südlink. Diese geplante Hochgeschwindigkeits-Stromtrasse ist für die Energiewende zentral, um den Ausgleich fluktuierenden Wind- und Solarstroms zwischen Nord- und Süddeutschland zu gewährleisten. Die bayerische CSU will das Vorhaben der Netzausbauer boykottieren, um angeblich Bürgerprostesten nachzugeben. Merkels Gegenruf erfolgte gewohnt mehrere Tage später und mit gleichgültiger Nonchalance: Es werde solche Gleichspannungsleitungen geben, hatte die Bundeskanzlerin dann betont, ohne zu sagen, ob sie unter den drei jetzt geplanten Trassen auch das von Bayern in Frage gestellte Südlink meint. „Aber es muss auch eine zeitnahe Überprüfung geben", hatte die Kanzlerin statt dessen offen gehalten. Diese Schwammigkeit ist paradox: Eine Zielsetzung des Koalitionsvertrages sieht ja gerade den besser abgestimmten Ausbau der Erneuerbaren im Einklang mit dem Netzausbau vor. Dem soll der Ausbaukorridor mit den atmenden Deckeln genau dienen.
Die Befürchtung der Kritiker ist es ohnehin, dass der Netzausbau unter Schwarz-Rot schnell mal gebremst werden könne – und der Ausbaukorridor der Erneuerbaren flugs mitreduziert werde. Nicht Merkel, aber auch nicht Gabriel räumen hier Unsicherheiten aus. Es darf im Gegenteil weiter gefragt werden: Hat Seehofer hier nur die ihm zugeteilte Rolle des Quertreibers übernommen, um die Energiewende zu bremsen?
Zu prüfen bliebe für Gabriel ja vielleicht auch, warum die neu bekannt gegebene Ausbauroute von Süd Link als Zickzacklinie sich so breit macht, als wollten die Netzbetreiber möglichst viele Anrainerinitiativen gegen sich aufbringen. Wenig beruhigend wirkt da ein neuerliches gestriges Treffen der Chefs der Netz- und Energiekonzerne mit der Kanzlerin – und dass die Energiebosse zu alldem ebenfalls auffallend schweigen.
Da kommt die Mahnung des sozialdemokratischen Superministers wie das I-Tüpfelchen auf das Wort Panik obendrauf, deren Aufkommen er doch mit seiner Rede beim Branchentreffen am Dienstag vermeintlich unterbinden wollte: Brüssel verlange eine beschleunigte Marktintegration der Erneuerbaren sowie mittelfristig den Übergang zu öffentlichen Ausschreibungen für neue Windparks anstelle einer gesicherten Vergütung, mahnt der SPD-Chef. Deshalb seien seine Pläne notwendig. Doch das Ausbleiben jeglicher Gegenwehr gegen die angebliche Gefahr aus der Europäischen Union mutet verdächtig an in just dem Land, das wie kein zweites erfolgreich EU-Vorgaben verhindert: die Verteuerung des Emissionshandels, stärkere Umweltvorgaben für Automobile, den Stopp der Gentechnik oder verbindliche Ziele für den Erneuerbaren-Ausbau nach 2020 hatte Berlin bis zuletzt mit Leichtigkeit pariert.
Gabriel hat die Energiewende vom Bundesumweltministerium auf sein Ressort übertragen lassen, um als Wirtschaftsminister die Macht für eine rasche Umsetzung zu erhalten. Doch nun macht er den Anschein, als wolle er auf diese Baustelle nur schnell den Deckel setzen. Und für alle möglichen Gewerke m Rohbau noch ein Hintertürchen setzen. Eine Wegweisung, wo es für Investoren lang geht, sieht anders aus.
(Tilman Weber)