Der Energiesektor befindet sich in einer entscheidenden Transformationsphase. Die ehrgeizigen Klimaziele und die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien führen zu einem rasanten Wachstum in Bereichen wie Solar- und Windenergie. Doch dieser Boom wird durch einen erheblichen Mangel an Fachkräften gebremst. Nach Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft fehlen derzeit mehr als 200.000 qualifizierte Arbeitskräfte allein im Bereich der erneuerbaren Energien. Diese Herausforderung zwingt Unternehmen, nach neuen Wegen zu suchen, um den Fachkräftemangel zu bewältigen. Ein entscheidender Hebel sind dabei digitale Technologien, die die Effizienz steigern und Unternehmen zukunftsfähig machen.
Die Energiebranche im Wandel: Neue Anforderungen an die Belegschaft
Mit der zunehmenden Fokussierung auf nachhaltige Energien ändern sich auch die Anforderungen an Fachkräfte. Während in der Vergangenheit handwerkliche Fähigkeiten im Vordergrund standen, rücken heute technologische Kompetenzen immer stärker in den Fokus. Der Betrieb und die Wartung komplexer Anlagen wie Offshore-Windparks oder großflächiger Solarfelder erfordert ein tiefes Verständnis für digitale Systeme, Datenanalyse und Automatisierungstechnologien. Unternehmen müssen neue Fachkräfte rekrutieren, aber auch ihre bestehenden Mitarbeiter weiterbilden, um neue Technologien optimal nutzen zu können.
Technologie als Brücke zum Wissen: Upskilling und Reskilling
Eine der effektivsten Strategien, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist die Investition in die Weiterbildung der bestehenden Belegschaft. Digitale Lernplattformen, die auf künstlicher Intelligenz basieren, ermöglichen es Unternehmen beispielsweise, maßgeschneiderte Schulungsprogramme anzubieten. Diese können auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter abgestimmt werden, sodass sie gezielt neue Fähigkeiten erlernen, die in der sich wandelnden Arbeitswelt unverzichtbar sind. Solche Upskilling- und Reskilling-Maßnahmen bieten nicht nur kurzfristige Lösungen, sondern legen den Grundstein für die Zukunft.
Ein Beispiel hierfür ist die Nutzung virtueller Trainingsumgebungen, in denen Techniker die Installation und Wartung von Windturbinen oder Solarmodulen üben können, ohne physisch vor Ort sein zu müssen. Diese virtuellen Schulungen reduzieren die Schulungskosten und verbessern außerdem die Sicherheit, da Mitarbeiter in einem risikofreien Umfeld lernen können.
Automatisierung und Künstliche Intelligenz: Effizienzsteigerung durch Technologie
Automatisierung und der Einsatz von KI sind weitere Schlüsselkomponenten, um den Mangel an Fachkräften zu kompensieren. Durch den Einsatz von intelligenten Systemen können Routineaufgaben in der Wartung und Überwachung von Anlagen automatisiert werden. Zum Beispiel können KI-gestützte Systeme Wartungsbedarfe vorhersagen, indem sie Sensoren und Daten aus der Anlage in Echtzeit analysieren. Die vorausschauende Wartung reduziert Ausfallzeiten und entlastet die Techniker, da sie sich so auf anspruchsvollere Aufgaben konzentrieren können.
Im Bereich der erneuerbaren Energien zeigt sich, dass Drohnen und Roboter zunehmend für Inspektionsarbeiten eingesetzt werden. Die Technologien übernehmen Aufgaben, die bisher von Menschen ausgeführt wurden, wie z. B. die Überprüfung von Windkraftanlagen auf strukturelle Schäden. Diese Innovationen verbessern die Effizienz und tragen dazu bei, die Gesundheit und Sicherheit der Belegschaft zu schützen.
Digitale Plattformen als Knotenpunkt für Zusammenarbeit
Ein weiteres vielversprechendes Mittel, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sind digitale Kollaborationsplattformen. Sie ermöglichen es Teams, auch über große Distanzen hinweg effizient zusammenzuarbeiten. In der Energiebranche, wo Fachkräfte oft in entlegenen Gebieten wie Offshore-Windparks arbeiten, können digitale Plattformen für Fernwartung und Echtzeit-Kommunikation einen erheblichen Mehrwert bieten. Sie ermöglichen es nicht nur, den Einsatz von Fachkräften optimal zu koordinieren, sondern auch, Expertenwissen schnell und ortsunabhängig verfügbar zu machen. Damit können auch technische Probleme schneller und mit weniger Personal vor Ort gelöst werden.
Ein gelungenes Beispiel für eine solche Plattform ist das Konzept des „Remote Field Service“. Dabei werden mobile Geräte, wie Tablets oder Smart Glasses, genutzt, um Technikern vor Ort direkte Anweisungen von Experten zu übermitteln. Dies spart Zeit und Ressourcen und ermöglicht es auch weniger erfahrenen Fachkräften, komplexe Probleme zu lösen.
Die Zukunft gestalten: Der Mensch im Mittelpunkt digitaler Innovationen
Trotz des rasanten technologischen Fortschritts bleibt eines klar: Menschen sind und bleiben das Herzstück der Energiewende. Digitale Technologien können zwar Prozesse optimieren und den Fachkräftemangel teilweise abfedern, doch ohne die richtigen Mitarbeiter, die diese Technologien verstehen und nutzen können, bleiben sie wirkungslos. Daher ist es entscheidend, dass Unternehmen nicht nur in Technologie, sondern vor allem auch in ihre Belegschaft investieren. Durch gezielte Weiterbildung, attraktive Arbeitsbedingungen und eine Kultur des kontinuierlichen Lernens können sie sicherstellen, dass der Energiesektor auch in Zukunft erfolgreich bleibt. (nw)
Autor: Simon Meßmer, Lead Service & Strategic Designer bei der Innovationsberatung Futurice