Vor wenigen Wochen berichteten wir schon darüber, dass die Verbraucher jedes Jahr elf Milliarden Euro für den Stromverbrauch der energieintensiven Industrie berappen müssen. Angeblich, um deren Stellung im internationalen Wettbewerb nicht zu beschädigen. Dass dies auch nur die Halbe Wahrheit ist, ist eine andere Geschichte. Vielmehr profitiert auch die nicht energieintensive Industrie massiv von der Energiewende, auch wenn das die Wirtschaft in Gestalt des Bundesverbandes der Industrie (BDI) anders sieht.
Während die Wirtschaftsverbände nur darauf schauen, wie hoch denn die Stromkosten für die Unternehmen in Deutschland sind und dies mit den Stromkosten in den anderen europäischen Ländern vergleichen, beleuchten die Analysten vom Ökoinstitut und vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung die Situation etwas eingehender. Das Ergebnis: Statt dass sich die Industrie über steigende Stromkosten beschweren kann, die tatsächlich zu einem großen Teil der EEG-Umlage geschuldet ist, das kann niemand bestreiten, sollte sie auf den Energiekostenindex für die deutsche Industrie (EKI) schauen. Denn dieser setzt die Veränderung der Kosten für die Beschaffung von Energie für die Industrie ins Verhältnis zur Entwicklung der industriellen Produktion. Die industrielle Produktion wird wiederum als Bruttoproduktionswert gemessen. Sehr vereinfacht gesagt, geht es hier um die Kosten für die aufgewendete Energie, um eine bestimmte Menge an Produkten herzustellen, die auch tatsächlich zu Marktpreisen abgesetzt werden. Dazu kommen noch die Herstellungskosten der selbst erstellten Anlagen und die Bestandsveränderungen an Halb- und Fertigerzeugnissen.
Strom hat den größten Anteil
Nicht mit dem Strompreis allein, sondern nur mit dem EKI kann man die tatsächliche Belastung der Industrie und der Unternehmen durch die Energiekosten zeigen. Dieser EKI ist innerhalb der vergangenen sieben Jahre um 30,8 Prozent gesunken. Damit wird klar, warum der Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft, der zu Beginn der Energiewende von Industrieseite heraufbeschworen wurde, komplett ausgeblieben ist. Im Gegenteil, die deutsche Wirtschaft wächst selbst in der andauernden Finanzkrise erklecklich und kann sich eigentlich nicht beklagen. Inzwischen keimen schon die ersten Konflikte innerhalb Europas. Hier geht es darum, ob Deutschland zu viel exportiert und dabei vergisst zu investieren.
In den EKI fallen natürlich alle Energiekosten mit hinein. Es sind also nicht nur die Stromkosten, die hier einfließen, sondern auch die Kosten für Kohle, Gas und Mineralöl und vor allem die Kosten für die Wärme. Da vor allem bei den fossilen Energieträgern nur geringfügige Abgaben anfallen und diese dadurch künstlich verbilligt werden, liegt hier die Vermutung nahe, dass der Index aufgrund billigen Erdgases und Erdöls oder subventionierter Kohle – meist zur Bereitstellung von Prozesswärme in der Industrie genutzt – so niedrig ist. Doch zum einen werden die fossilen Energieträger schon lange bevorteilt. Zum anderen entfallen mit 52 Prozent mehr als die Hälfte aller Energiekosten auf die Strombeschaffung. Ein Drittel der Energiekosten wendet die deutsche Industrie auf, um Gas und Mineralölprodukte zu beschaffen – sei es für den Transport der Waren oder für die Bereitstellung von Prozesswärme. Die restlichen Energieträger spielen hier eine eher untergeordnete Rolle. Damit wird aber klar, dass die Stromkosten den stärksten Einfluss auf den EKI.
Eine halbe Milliarde weniger als 2010
Zudem zeigen die Verläufe der vergangenen Jahre, dass sich die Kosten für Elektrizität, Öl und Gas und die anderen Energieträger relativ parallel entwickelt haben. Das heißt konkret, dass die Stromkosten bezogen auf die auf dem nationalen und auf den internationalen Märkten abgesetzten Produkte zwar leicht volatil sind, aber im mittelfristigen Trend drastisch sinken. So hat die deutsche Industrie im Jahr 2010 noch mehr als eine halbe Milliarde Euro mehr für die Energiekosten berappen müssen als im ersten Quartal des Jahres 2017. Im Vergleich zum Jahr 2013 liegen die Energiekosten für die Industrie inzwischen sogar um 790 Millionen Euro niedriger. Inzwischen besteht selbst in den energieintensiven Unternehmen der Anteil des Bruttoproduktionswerts zu nur noch gut 3,5 Prozent aus den Energiestückkosten. In den weniger energieintensiven Unternehmen liegt der Anteil der Energiestückkosten am Bruttoproduktionswert bei etwa zwei Prozent. Unternehmen, die ihre Produkte mit nur einem geringen Energieaufwand herstellen, müssen sogar weniger als ein Prozent des Bruttoproduktionswerts in die Energiebeschaffung stecken.
Wachstum trotz angeblich hoher Energiekosten
Allerdings erlaubt der EKI nur bedingt Aussagen darüber, ob der Energiekostenanteil aufgrund sinkender Energiepreise oder aufgrund steigender Produktion abnimmt. Klar ist aber, dass die Energiewende keinen negativen Einfluss auf das Wohl und Wehe der deutschen Wirtschaft hat. Trotz der Tatsache, dass die Stromkosten für die Industrie im europäischen Vergleich am höchsten sind, wächst die deutsche Wirtschaft gleichzeitig am schnellsten in ganz Europa.
Sicherlich kann man sich angesichts dieser Befunde darüber unterhalten, ob die Energiewende auf andere Weise finanziert wird. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Die stärkere Beteiligung der energieintensiven Unternehmen sind angesichts der Tatsache, dass die Energiekosten weniger als vier Prozent des Bruttoproduktionswerts ausmachen, sicherlich selbst im internationalen Wettbewerb zu verkraften. Eine steuerfinanzierte Energiewende ist genauso denkbar, denn angesichts der üppigen Subventionen für alle Energieträger besteht im Energiesektor ohnehin keinerlei Wettbewerb. Es wäre aber auch denkbar, die Versorger darauf zu verpflichten, einen immer größeren Anteil an regenerativen Strom in ihren Mix aufzunehmen. Es gibt viele Möglichkeiten. Deshalb sollte die Bundesregierung der kommenden Legislaturperiode endlich ernsthaft auf eine dieser Lösungen eingehen. (Sven Ullrich)