Tilman Weber
„Die ersten drei Monate des Jahres 2019 Jahr dürften das mit Abstand ausbauschwächste erste Quartal in diesem Jahrtausend sein“, schreibt die Berliner Fachagentur Windenergie an Land in drastischen Worten. Laut ihrer vierteljährlichen Auswertung der Inbetriebnahmedaten aus dem Marktstammdatenregister und dem bisherigen Anlagenregister waren vom 1. Januar bis 31. März bundesweit nur 41 Windenergieanlagen neu ans Netz gegangen – mit einer Erzeugungskapazität von zusammen 134 Megawatt (MW). Verglichen mit dem Durchschnitt der eher guten Anfangsquartale der vorangegangenen drei Jahre war der Windenergie-Leistungszubau damit auf ein Niveau von sogar nur noch 13 Prozent abgesackt.
Große weiße Flecken auf der Landkarte
Die Installationsteams waren in den drei Wintermonaten 2019 so wenig unterwegs, dass sie auf der Deutschlandkarte große weiße Flecken zurückließen. So fanden Windparkerrichtungen nur in 7 der 16 Bundesländer statt. Die Installationsteams blieben nicht nur Hamburg, Bremen und Berlin fern, den drei mit wenig Potenzialflächen ausgestatteten Stadtstaaten, nicht nur im ebenfalls sehr kleinen Saarland sowie dem seitens der Landesregierung bekennend windkraftfeindlichen Bundesland Sachsen. Auch im rot-rot-grün regierten Thüringen fand kein einziger Turbinen-Netzanschluss statt, obwohl die links-sozialdemokratisch-grüne Landesregierung ganz offensiv für eine schnelle thüringische Energiewende mit mehr Windenergieanteil als in der Vergangenheit eintritt – und der Ausbau seit 2016 immerhin pro Jahr immer mehr als 100 MW erreicht hatte. Auch das größte Flächenland Bayern blieb ohne Netzanschlüsse. Hier dürfte die bayerische Abstandsvorgabe für neue Windparks mit einem Bannkreis für neue Projekte um Siedlungen mit der zehnfachen Anlagenhöhe wirken. Sogar Hessen ging leer aus. Dort war seit 2014, seit Eintritt der Umweltschutzpartei Bündnis 90/Die Grünen in eine Koalition mit der windkraftskeptischen CDU, der jährliche Turbinenzubau immer größer als 200 MW.
Die meisten neuen Turbinen speisten am 1. April in Rheinland-Pfalz ein. Hier hatte sich der Windturbinenbestand von Januar bis März um 13 neue Anlagen beziehungsweise 41,2 MW verstärkt. Auch in Niedersachsen mit 9 Anlagen und 32,8 MW, in Mecklenburg-Vorpommern mit 6 Anlagen und 21,5 MW sowie in Brandenburg mit 5 Anlagen und 13,4 MW ging wenigstens noch mindestens eine Handvoll neuer Anlagen ans Netz. In Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen filtern nun nur jeweils zwei oder drei neue Anlagen erneuerbare Energie aus der Luft.
Der Autor der die Marktentwicklung analysierenden Auswertung, Jürgen Quentin, wertet den drastischen Einbruch des Windparkerrichtungsgeschäfts in Deutschland als einen „vorläufige(n) Tiefpunkt“. Er verweist auf die schon ab April vergangenen Jahres rückläufigen Quartalsresultate für die bundesweit aktiven Windparkerrichter – bei einer seither stetig zunehmenden Tendenz. So sackte der Zubau der Erzeugungskapazitäten in den 2018-er-Quartalen zwei, drei und vier und im 2019-er Quartal eins der Reihe nach um 33,5, um 69,8, um 74 und um 86,8 Prozent ab, bezogen auf die jeweiligen Durchschnittswerte der vorangegangenen drei Quartale.
Gescheiterte Bürgerwindparkregel schlägt voll durch
Allen möglichen und tatsächlichen Gründen des Negativtrends voran stellt Quentin die Genehmigungspraxis der ersten drei deutschen Ausschreibungsrunden für Windparkprojekte an Land. Im damaligen ersten Jahr des hierzulande neu eingeführten Auktionssystems, 2017, führte eine Auktionsförderregel zugunsten sogenannter Bürgerwindparks zu einem sich rasch überhitzenden Markt. Dabei nutzten Bürgerwindpark-Bieter eine besonders lange Realisierungsfrist und eine Ausnahme von der Baugenehmigungspflicht für solche Bürgerwindparks aus. An vielen Orten, so lautet das Urteil der zahlreichen Kritiker der Bürgerwindparkregel, hätten traditionelle Windparkprojektierer nur ihre Portfolios ohnehin schon begonnener Windparkprojektierungen geöffnet und Projekte-Anwohner als Bürgervertreter in die jeweiligen Windparkgesellschaften aufgenommen. Diese zu Bürgerwindpark-Gesellschaften designten Gebotseinheiten hätten in den Auktionen spekulative Niedrigstpreise für Ihre Einspeisung angeboten. Sie planten dafür ihre Windparks mit erst ab 2019 oder gar 2020 als Serienfertigungen zur Verfügung stehenden Windturbinentypen, die aufgrund ihrer verbesserten Effizienz günstiger Strom produzieren können. Weil es diese Anlagen 2017 aber noch nicht gab, waren die Annahmen der Bürgerwindparkbieter häufig wohl spekulativ. Die lange Realisierungsfrist hat nun offenbar dazu geführt, so wie damals gewarnt, dass die bezuschlagten Gewinner der Auktion so lange wie möglich mit der Genehmigung der Projekte und mit ihrem Bau abwarten – um zudem eine günstige Entwicklung der freien Strommarktpreise abzuwarten.
Weil über 90 Prozent der Auktionszuschläge 2017 an solche nicht genehmigten Bürgerprojekte gingen, ist nun gemäß Quentins Analyse der befürchtete Fadenriss im Windparkzubau eingetreten: Erst 167 MW der 2.668 MW so bezuschlagten Bürgerwindparkkapazitäten sind inzwischen baugenehmigt. Von den 730 Anlagen die 2017 insgesamt einen Zuschlag erhalten hatten, sind erst 35 Anlagen am Netz.
Mehr Genehmigungen und ab Sommer erste Trendwende
Weil das Ausschreibungsregime nach einer Marktreform durch den Bundestag seit 2018 aber nur noch baugenehmigte Projekte zu den Tendern zulässt, erwartet Quentin eine zumindest kleine Trendwende wieder zu einer positiven Ausbauentwicklung. Eine mathematische Analyse aller von der Windkraftbranche schon in Betrieb genommenen 118 Anlagen mit Auktionszuschlägen ergebe, dass die in Ausschreibungen siegreichen Windturbinen bereits baugenehmigter Windparkprojekte durchschnittlich schon 11,8 Monaten nach dem Zuschlag einspeisten. Deshalb sei eine Belebung des Installationsgeschäftes in der zweiten Jahreshälfte 2019 zu erwarten, notiert Quentin. Allerdings macht der Windenergie-Marktexperte der Fachagentur keinen Hehl daraus, dass er keinen starken Aufschwung absehen kann: Vielerorts haben nach Bekanntgabe von Baugenehmigungen eingereichte juristische Klagen die Windparkplanungen wieder angehalten. So seien im Dezember 2018 nach ersten Recherchen der FA mindestens 750 MW von solchen Klagen betroffen gewesen.
Die durchschnittliche Zahl der jeweils in den ersten Quartalen neu genehmigten Windenergieanlagen stieg immerhin nun zum zweiten Mal in Folge wieder an. So erhielten die Windparkprojektierer 2017 im ersten Jahresviertel noch im Schnitt monatlich für 30 Anlagen neue Genehmigungen. 2018 erhöhte sich dieser Wert für den Zeitraum Januar bis März auf 32 Anlagen. Und nun erfolgten Genehmigungen pro Monat für 37 neue Anlagen. Zum Vergleich: Vor Beginn der Ausschreibungen meldeten die Projektierer im ersten Jahresquartal stets deutlich mehr als 100 neu genehmigte Anlagen, 2014 sogar 161.