Die Treibhausemissionen in Deutschland sanken 2019 um mehr als 50 Millionen Tonnen. Damit liegen sie etwa 35 Prozent unter dem Niveau von 1990. Das Ziel Deutschlands, bis 2020 die Emissionen um 40 Prozent zu mindern, rücke so überraschend in greifbare Nähe, konstatiert die Jahresauswertung von Agora Energiewende.
Für den Rückgang verantwortlich sei ausschließlich der Stromsektor, stellte der Think Tank fest: Braun- und Steinkohle produzierten deutlich weniger Strom, erneuerbare Energien stellten einen neuen Rekord auf: Laut Agora deckten sie knapp 42,6 Prozent der Stromnachfrage und damit fast fünf Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Laut Stromreport lag der Anteil der Erneuerbare sogar bei 46 Prozent. Diese Zahl bezieht sich allerdings auf die Nettostromerzeugung 2019 (513 TWh), dabei wird der Eigenbedarf der Kraftwerke für die Stromproduktion abgezogen. Agora Energiewende rechnet bezogen auf den Bruttoinlandsstromverbrauch (569 TWh).
Emissionen aus Verkehr und Gebäuden stiegen 2019
Hauptursache des Emissionsrückgangs im Stromsystem sind laut Jahresauswertung die gestiegenen Preise für CO2-Zertifikate im EU-Emissionshandel. Sie hätten in Verbindung mit der gestiegenen Stromproduktion aus erneuerbaren Energien und einem gesunkenen Stromverbrauch dazu geführt, dass fossile Kraftwerke ihre Stromproduktion drosselten - sie war nicht schlicht mehr wettbewerbsfähig.
Die Stromerzeugung von Steinkohlekraftwerken sei deshalb um 31 Prozent eingebrochen, die von Braunkohlekraftwerken um 22 Prozent. Davon profitierten auch Gaskraftwerke, die weniger CO2-Zertifikate für ihre Stromerzeugung benötigen; sie erhöhten ihren Stromabsatz um 11 Prozent.
Anders als im Stromsystem nahmen die CO2-Emissionen von Gebäuden und dem Verkehrssystem sogar zu: Dort wurden laut Agora mehr Erdgas, Heizöl, Benzin und Diesel als im Vorjahr verbraucht. Im Verkehr habe vor allem der steigende Anteil schwerer Fahrzeuge mit großen Verbrennungsmotoren, wie SUVs, zu einem Anstieg der Emissionen geführt.
„2020er Jahre starten mit einer schweren Hypothek für die Energiewende“
Die Ursache für das Wachstum bei den Erneuerbaren Energien liegt hauptsächlich im Zubau von Photovoltaikanlagen sowie einem guten Windjahr. „Dennoch startet die Energiewende mit einer schweren Hypothek in die 2020er-Jahre“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Denn der Ausbau bei der Windenergie ist in den letzten zwei Jahren um über 80 Prozent eingebrochen und somit fast zum Erliegen gekommen.“ Zudem seien im Jahr 2019 die Ausschreibungen für neue Windkraftanlagen nicht voll ausgeschöpft wurden, so dass auch in den nächsten Jahren keine beeindruckenden Zubauzahlen bei der Windenergie zu erwarten seien. „Es ist an der Bundesregierung, jetzt rasch die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass die Windkraft wieder vorankommt. Sie ist das Arbeitspferd der Energiewende, ohne Windkraft werden wir weder den Kohleausstieg noch die Klimaschutzziele erreichen“, so Graichen.
Erneuter Anstieg der Emissionen zu befürchten
Die guten Zahlen für die Energiewende im Stromsektor werden durch das Fehlen weiterer Ambitionen in der Energie- und Klimapolitik insbesondere im Wärme- und Verkehrssektor allerdings deutlich getrübt. „Es besteht die Gefahr, dass – nach dem Rückgang der Emissionen in den vergangenen beiden Jahren – im Zeitraum 2020 bis 2022 – wieder ein Anstieg folgt“, warnt Graichen. „Wir müssen mehr erneuerbare Energien zubauen, um den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 auszugleichen und auch genügend Strom für Elektroautos und Wärmepumpen zu erzeugen.“
Dies entspreche auch den Erwartungen der Bevölkerung: So zeige die repräsentative Langzeituntersuchung „Politbarometer“ der Forschungsgruppe Wahlen, dass die Wählerinnen und Wähler das Thema „Klima/Energiewende“ seit Mai 2019 konstant als wichtigstes Problem ansehen - vor den Themen Migration/Integration (Platz 2) und Renten (Platz 3).
Gleichzeitig ermittelte die Jahresauswertung, dass die Förderkosten für erneuerbaren Energien schon bald sinken werden. Durch das Ende der EEG-Förderung könnten die betroffenen Anlagen zu günstigen Preisen Strom anbieten. Neue Wind- und Solaranlagen wiederum produzierten Strom inzwischen günstiger als alle anderen Kraftwerkstypen und führten bei steigenden Erneuerbaren-Energien-Anteilen immer mehr zu sinkenden Preisen an der Strombörse, erläutert Agora die Gründe. So war Deutschland im Jahr 2019 gemeinsam mit Luxemburg auch das Land in Europa mit den geringsten Stromgroßhandelspreisen. Interessant war auch, dass die Preisausschläge an der Börse nach oben und unten (inklusive negative Strompreise) dieses Jahr moderat ausfielen, Knappheiten am Strommarkt konnten nicht verzeichnet werden „Das ist ein Zeichen dafür, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland im vergangenen Jahr durchweg hoch war“, sagt Graichen.
2020: Weniger Kernenergie, wenig Windzubau, mehr Photovoltaik
Für 2020 prognostiziert Agora Energiewende, dass die Stromerzeugung aus Kernenergie weiter abnehmen wird, da das Kernkraftwerk Philippsburg 2 Ende Dezember 2019 stillgelegt wurde. Die Lage der Windenergie an Land wird sich indes kaum verbessern, der Zubau dürfte sich wie schon 2019 im Bereich von einem Gigawatt bewegen, während bei der Solarenergie ein Zubau von vier Gigawatt und damit ein ähnliches Niveau wie 2019 erwartet wird. Die Windenergie auf See werde sich 2020 aufgrund der Inbetriebnahme neuer Windparks im zweiten Halbjahr 2019 und ersten Halbjahr 2020 voraussichtlich weiter steigern.
Die Entwicklung bei Braunkohle, Steinkohle und Erdgas und damit der CO2-Emissionen 2020 ist nach Ansicht von Agora offen und hängt von der Entwicklung der Kohle-, Gas- und CO2-Preise sowie der Windverhältnisse ab – zum jetzigen Zeitpunkt seien keine verlässlichen Aussagen möglich. Sehr wahrscheinlich sei jedoch, dass die Aussicht auf mögliche Entschädigungen im Rahmen des Kohleausstiegs dazu führen wird, dass 2020 kein Kohlekraftwerk stillgelegt werden wird.