Seit einer Entscheidung des OVG Münster vom Januar 2000 herrschte in der Windenergiebranche die vermeintliche Gewissheit, dass man gegen „Windklau“ letztlich nichts unternehmen könne. Ein Windenergieanlagenbetreiber müsse sich im Zweifel immer der Möglichkeit bewusst sein, dass ihm weitere Anlagen – zulässigerweise – „vor die Nase gestellt werden können“ und dadurch der Wind verändert und die Erträge verringert werden dürfen. Eine rechtliche Handhabe dagegen schien im Regelfall ausgeschlossen.
Im Grundsatz ist gegen eine solche Einschätzung, die die Freiheit des Bauens im Außenbereich und die uneingeschränkte allseitige Nutzbarkeit von Ressourcen betont, nichts einzuwenden. Wohl auch deshalb hat man sich aufseiten der von diesem Phänomen betroffenen Betreiber zähneknirschend arrangiert.
Abschattung ist rechtlich relevant
Nunmehr dürfte aber wieder neuer Schwung in diese Diskussion kommen. Das Bundesverwaltungsgericht hat im März dieses Jahres deutlich gemacht, dass eine Verringerung der Erträge von Bestandsanlagen infolge von Windabschattung durch nachträglich hinzuzubauende Anlagen durchaus rechtlich relevant sein kann. Sie kann nämlich gegen das sog. „Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme“ im Außenbereich verstoßen.
Aus rechtlicher Sicht dürfte diese Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts gar nicht mal so neu sein. Denn tatsächlich hat auch das OVG Münster seinerzeit die Möglichkeit eines solchen Verstoßes nicht völlig ausgeschlossen. Diese Interpretation dürfte eher auf einem verselbstständigten fehlerhaften Verständnis der damaligen Entscheidung beruhen.
Tatsächlich ist die mögliche Rechtswidrigkeit schädigender Einflussnahme auf die Verfügbarkeit von Allgemeinressourcen eine seit Jahrhunderten bekannte Rechtsfigur, wie beispielsweise der preußische „Müller-Arnold-Fall“ zeigt. Dort wurde dem Betreiber einer Wassermühle durch einen Edelmann, der am Oberlauf des Flusses einen Karpfenteich anlegte, wortwörtlich das Wasser abgegraben. Die gegen den Müller ergangenen Urteile der angerufenen Gerichte hob der hiervon erzürnte König Friedrich II. von Preußen unter Durchbrechung der richterlichen Unabhängigkeit auf.
Aussage des Bundesverwaltungsgerichts
Vor diesem Hintergrund war die bundesverwaltungsgerichtliche Aussage in der Entscheidung vom März dieses Jahres eigentlich auch aus historischer Perspektive nicht völlig überraschend, sondern steht gewissermaßen in langer Tradition. Aber ihr kommt das unbestreitbare Verdienst zu, den Blick neu auf die Frage gelenkt zu haben: Wie viel Abschattung ist zulässig? Oder vom Ergebnis her: Wie viel Ertragsausfall ist zumutbar? Zwar gibt das Bundesverwaltungsgericht hierzu keine pauschalen Werte an die Hand, aber eine Orientierung:
• Die bloße Erwartung „erheblicher Einbußen“ dürfte nach Meinung des Gerichts wohl nicht reichen.
• Die Überschreitung der wirtschaftlichen Entwertung der Bestandsanlage dürfte hingegen sicher genügen.
• Eine Ertragseinbuße von deutlich unter 10 Prozent dürfte in aller Regel diese Grenze jedoch nicht überschreiten.
Zwischen diesen Eckpunkten sind zahlreiche Fallgestaltungen denkbar, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass die drei genannten Punkte auch nach dem Diktum des Bundesverwaltungsgerichts allenfalls als grobe Orientierungswerte angesehen werden können.
Dynamische Rechtslage
Es bleibt somit spannend, wo die Rechtsprechung im Einzelfall die Grenze zur Unzumutbarkeit ziehen wird. In anderen Rechtsbereichen wird diese Grenze deutlich niedriger angesetzt. Die Bundesnetzagentur erachtet etwa bei der Ausnahme von der bedarfsgesteuerten Nachtkennzeichnung schon eine Erlösminderung durch zusätzliche Investitionskosten von mehr als drei Prozent des verbleibenden Erlöses als wirtschaftlich unzumutbar.
Vor dem Hintergrund dieser dynamischen Rechtslage sollte daher jeder Betroffene noch einmal kritisch hinterfragen, wie viel Windklau und Ertragsausfall er sich unwidersprochen gefallen lassen muss!
Autor: Peter Sittig-Behm, Rechtsanwalt, Prometheus Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
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