Nicole Weinhold
Klimawissenschaftler Niklas Höhne ist Professor an der Universität Wageningen und leitet das New Climate Institute, das gerade eine Kurzstudie veröffentlicht hat, in der es heißt, die Klimaziele, die sich Deutschland vor 10 Jahren gesetzt hat, seien veraltet. "Insbesondere das Ziel, Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55% unter das Niveau von 1990 zu reduzieren, wurde auf einer Grundlage bestimmt, die heute nicht mehr zutrifft." Eigentlich müsse Deutschland schon 2030 CO2-neutral werden. Da das aber politisch kaum durchsetzbar sei, sollten wir weit vor 2050, etwa 2040 CO2-neutral werden und das entsprechende Ziel formulieren. Außerdem sollte Deutschland andere Länder unterstützen bei der CO2-Reduktion. Niklas Höhne gehört zu den Studienautoren. Im Interview erklärt er, wie wichtig entschlossene Klimapolitik jetzt ist.
Klimawissenschaftler und normale Menschen merken, da passiert gerade etwas - und drastischer vielleicht, als auch von Klimaexperten vor fünf, sechs Jahren angenommen. Wie erleben Sie die Entwicklung der vergangenen fünf Jahre – und in der aktuellen Diskussion?
Niklas Höhne: Es ist so, dass die Klimawissenschaft schon immer Änderungen vorhergesagt hat – auch schon vor 20 Jahren und auch vor zehn Jahren. Und im Prinzip sehen wir jetzt die Änderungen, die damals vorhergesagt worden sind. Nicht mehr und nicht weniger. Aber wir sehen sie. Und das macht eben den großen Unterschied. Vorher war Klimawandel immer noch etwas, das sehr abstrakt war und weiter weg und jetzt können wir ihn hier in Deutschland direkt fühlen. Also mit Hitzewellen, mit der Trockenheit, mit den Waldbränden, mit Einbußen der Landwirtschaft in den Ernten – mit Auswirkungen, die wir alle selber spüren. Deswegen wird das Thema für alle dringlicher – und wir sind jetzt bei einem Grad Temperaturerhöhung weltweit. Das heißt, bei 1,5 Grad wird das noch deutlich mehr und bei zwei Grad nochmal doppelt so viel wie wir jetzt schon haben, bei drei Grad eben dreimal so viel wie bisher. Das sind dann Zustände, die aus meiner Sicht nicht mehr wirklich beherrschbar sind.
Man spricht ja von den sogenannten Kipppunkten. Das Ganze wird dann also auch für die Klimawissenschaftler irgendwann unberechenbar, oder?
Niklas Höhne: Genau, das ist ein wichtiger Punkt der Risiken des Klimawandels. Das kann man sehr schön sehen, wenn man sich anguckt, wie sich über die Zeit die Einschätzung des IPCC zu Kippunkten verändert hat und wann wir uns darüber Sorgen machen müssen. Im ersten Bericht 2001 hieß es noch, dass wir uns bei fünf oder sechs Grad globaler Temperaturerhöhung um solche Kipppunkte Gedanken machen müssen. Und wenn man sich die nächsten IPCC-Berichte anguckt, – alle sechs Jahre werden sie veröffentlicht – sieht man, dass dieser Gefahrenpunkt immer weiter nach unten rutscht. 2014 war es schon bei drei Grad. Und im IPCC Bericht von 2018 steht sogar, dass wir uns selbst bei zwei Grad Temperaturerhöhung ernsthaft Gedanken machen müssen um solche Kipppunkte. Also, dass es dann Änderungen gibt, die wir nicht mehr rückgängig machen können. Und das ist in der Tat besorgniserregend. Je mehr wir über das Klimasystem wissen, umso klarer wird es, dass es früher gefährlich wird mit solchen Kipppunkten. Und das sollte uns wie gesagt zu denken geben und uns dazu bringen, das Klima doch eher bei niedrigeren globalen Temperaturen zu stoppen als bei höheren.
Wie hat die Bundesregierung eigentlich auf Ihre Kurzstudie reagiert?
Niklas Höhne: Ich glaube, der gesamten Welt und auch der Bundesregierung ist klar, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen den globalen Zielen, die sich die Weltgemeinschaft gesetzt hat – also zwei oder 1,5 Grad – und den einzelnen Beiträgen der Länder. Das war 2010 mit dem Kopenhagen-Abkommen klar, dass das nicht ausreicht, was die Länder vorgelegt haben. Das war schon in Paris klar, dass es nicht ausreicht und jetzt – fünf Jahre nach Paris – ist es nochmal klarer: Die Lücke ist jetzt viermal so groß wie noch vor 10 Jahren. Es ist allen bekannt. Das Problem ist nur, dass nicht alle bereit sind, einen Schritt zu gehen und ihre Klimaambitionen zu erhöhen. So sieht es eben auch bei der Bundesregierung aus. Für mich als Wissenschaftler, der das schon lange beobachtet, ist es natürlich frustrierend zu sehen, dass die Worte, die diese Wissenschaft wählt – quasi jetzt die letzten zehn Jahre, seitdem das Thema viel auf dem Tisch liegt – nicht ausreichend sind und nicht gehört werden. Wir können als Wissenschaftler aufzeigen, dass es ein Problem ist, aber die Bundesregierung muss reagieren.
Sind andere Staaten engagierter als Deutschland?
Niklas Höhne: Ja, Länder wie Marokko und Indien – das sind Länder, die Klimaschutz betreiben, obwohl sie eigentlich wenig Verantwortung für den Klimawandel und geringe ökonomische Wirtschaftsleistung haben. Für Länder mit so großen Entwicklungsproblemen ist der Beitrag zum Klimaschutz als hoch zu bewerten. Wichtig ist jetzt aber, dass alle Länder aufgerufen sind, insgesamt ihre Klimaschutzbemühungen zu erhöhen und bis zum Jahr 2020 ein neues Ziel vorzulegen. Wir wissen, dass das alles zusammengerechnet, was Länder vorgeschlagen haben – inklusive Deutschland - bei Weitem noch nicht ausreicht. Aber wer hat tatsächlich seit Paris nachgelegt? Bis jetzt haben nur sehr wenige Länder gehandelt. Chile ist ein Land, das sein Ziel erhöht hat. Ein anderes Land ist Norwegen und dann haben wir noch Länder wie Andorra, Moldawien, Suriname, Ruanda, Marshallinseln – aber dann ist die Liste auch schon zu Ende.
Das sind sieben Länder - und keine besonders großen. Was jetzt fehlt in diesem Prozess ist, dass wirklich große Länder einen Schritt machen. Nur, wenn die großen Industriestaaten sich bewegen, sind die meisten Entwicklungsländer bereit, auch einen Schritt nach vorne zu gehen. Da liegt jetzt der Fokus auf der EU, in der es auch die Diskussion gibt, das Ziel zu erhöhen. Die Bundesregierung hat sich dort auch schon für ein erhöhtes Ziel ausgesprochen. Insofern müsste sich jetzt erst die EU einigen und wenn das passiert ist, müsste eigentlich auch Deutschland sein nationales Ziel überarbeiten.