Was halten Sie davon: 20 Jahre Ornithologen-Forschung belegten, „Vögel kollidieren nicht in großer Zahl mit Windenergieanlagen. Eine langfristige Beeinträchtigung ihres Verhaltens ist nicht zu beobachten.“ Die wahre Gefahr drohe vom Klimawandel.
Stefan Jaehne: Wer hat das denn gesagt?
Der Bundesverband Windenergie.
Jaehne: Gut ja, der BWE. Es ist natürlich immer schwer zu sagen, was die größten Gefahrenquellen für heimische Vogelarten sind. Wir denken aber im Hinblick auf den Betrieb von Windenergieanlagen, dass Kollisionsgefahr und Meideverhalten ernsthafte Probleme für den Vogelschutz darstellen. Welche Ausmaße diese im Vergleich zu anderen Faktoren haben, muss man klären. Dabei wird man nicht das Aussterben einzelner Vogelarten in Betracht ziehen müssen, aber sicherlich Einzelverluste, die auch populationsrelevant sein können. Das Gleiche gilt für Straßenverkehrsopfer oder auch Kollisionsopfer an Freileitungen. Beim Klimawandel ist es komplizierter. Langfristig werden wir durch den Klimawandel Arten verlieren, aber auch hinzubekommen.
Karl-Heinz Loske: In erster Linie sind es großflächig wirkende Faktoren wie die intensive Landwirtschaft, die nachweislich zu populationsrelevanten Beeinträchtigungen bei sehr vielen Vogelarten führen. Die Windenergie kann für einige Vogelarten wie zum Beispiel Rotmilan, Schreiadler und Wiesenweihe etwas dazu tun. Man muss Vogelschutz artspezifisch angucken. Unstrittig ist: Die große Masse der Vogelarten hat keine oder kaum Probleme mit Windkraft, dazu gehören zum Beispiel die Singvögel.
Jaehne: Sie haben Recht, Herr Loske.
Loske: Man muss das Wissen um die Einflüsse auf den Vogelschutz zusammenbringen, nicht gegeneinander ausspielen.
Ohne das Klimaschutz-Argument hat es die Windkraft doch schwer, denn ohne Windkraftanlagen sterben weniger Vögel.
Jaehne: Auch bei Naturschützern ist völlig unstrittig, dass Windenergie zum Klimaschutz beiträgt. Außerdem haben wir eine demokratisch legitimierte Energiepolitik, an der sich alle Bundesländer beteiligen. Dabei wird auch der Artenschutz zu beachten sein, was im Einzelfall zu Konflikten führen kann, die im konkreten Fall beurteilt und gelöst werden müssen. Die Summe dieser Lösungen wird sowohl den Zielen des Klima- als auch des Artenschutzes gerecht werden müssen.
Sind Sie Thüringens Windenergiezielen verpflichtet?
Jaehne: Nur indirekt, da die Vogelschutzwarte als Fachbehörde nur gutachtlich (ohne Entscheidungsbefugnis) in den Verwaltungsvollzug eingebunden ist. Wir haben für Thüringen ein Landschaftsentwicklungsprogramm, auf das die Raumplanung aufsattelt. Wir versuchen bereits auf dieser Ebene die Belange des Artenschutzes darzustellen, um denkbare Konflikte bereits im Vorfeld zu minimieren. Dabei beraten wir auch Vorhabensträger die überlegen, wo sie sich engagieren wollen.
Loske: Das sollte auch so sein. Sie können mit etwas Pech sehr viel Geld für Artenschutzverfahren auf der Ebene des Flächennutzungsplans ausgegeben haben – und plötzlich sitzt da noch ein Vogel. Deshalb bin ich kein Freund davon, Vogelschutzkriterien auf regionalplanerischer Ebene festzusetzen. Wenn es einerseits heißt, jede Kommune sollte einen Windpark betreiben dürfen, und dann Vorgaben wie zum Beispiel Schwerpunkträume für Vogelzug kommen, wird es eng.
Jaehne: Dennoch macht es Sinn, artenschutzrechtliche Hinweise bereits auf Ebene der Raumplanung zu formulieren. Dies kann beispielsweise durch das Abgrenzen von Schwerpunkträumen geschehen. Hier müssen die Planungsträger abwägen und Kompromisse finden, auf die sicherlich auch kommunalpolitische Interessen einen Einfluss haben werden.
Loske: Die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten hat ja versucht, allgemeingültige Abstände zu definieren, beispielsweise 1.000 Meter Abstand für den Rotmilan und jetzt in einem neuen Papier sogar 1.500 Meter. Doch es hat sich in der Vergangenheit herausgestellt, dass solche Kriterien rechtlich keine harten Tabukriterien sein können. Das Oberverwaltungsgericht Münster zum Beispiel hat in seinem Büren-Urteil schon Abstandsregeln kassiert, weil Gemeinden den Artenschutz in großem Stil als Ausschlusskriterium verwandt haben. Man sollte Abstandsempfehlungen in Regional- und Flächennutzungsplan-Planung einfließen lassen – aber nur wenn spätere Einzelfallbetrachtungen noch möglich sind.
Jaehne: Richtig, eine Abstandsempfehlung ersetzt nicht die Einzelfallprüfung. Ursprünglich hatten die Vogelschutzwarten 2006 begonnen, für ausgewählte Vogelarten Abstandsempfehlungen zu erarbeiten. Das Ergebnis wurde unter dem Namen Helgoländer Papier bekannt. Dieses Papier war zunächst nicht veröffentlicht worden, hatte aber dennoch schnell Eingang in die Verwaltungsgerichtbarkeit gefunden. In den ersten Oberverwaltungsgerichts-Urteilen wurden die Abstandsangaben als Taburäume interpretiert. Inzwischen haben wir aber eine gefestigte Rechtsprechung, die eine Einzelfallprüfung vorsieht. Dabei beschreiben die Abstandsempfehlungen den Regelfall, der als Beurteilungsmaßstab herangezogen wird. Letztendlich ist es aber Ihre Sache als Gutachter, Herr Loske, die Situation am geplanten Windparkstandort zu prüfen und plausibel darzustellen, warum gegebenenfalls von den Abständen abgewichen werden sollte.
Weiterhin wird auch diskutiert, auf Ebene der Raumplanung mit Abstandsempfehlungen zu arbeiten. Letztlich braucht man auch dort Kriterien für den Abwägungsprozess. Allerdings hat man auf dieser Ebene keine konkreten Vorhabensdaten. Außerdem fehlt eine gefestigte Rechtsprechung. Insbesondere die Frage, ob artenschutzrechtliche Ausnahmetatbestände auf dieser Ebene bereits greifen können, ist ungeklärt. Bisher haben die Länder sehr unterschiedlich Regelungen gefunden, um Abstandsempfehlungen als harte oder weiche Tabukriterien in die Raumplanung einzubeziehen. Es gibt also verschiedene Lösungsansätze, die nicht zuletzt von der landespolitischen Zielsetzung abhängen.
Loske: Mir ist nur wichtig, dass Gerichte geklärt haben, dass harte Tabus nicht mit dem Helgolandpapier gleichzusetzen sind. Hier sind dann Kompromisse gefordert. Ein Beispiel: Bei einem Windparkprojekt mit einem Rotmilan-Schlafplatz in der Nähe haben wir vorgeschlagen, dass die Betriebsführung die Windräder von Anfang August bis 15. Oktober –und somit überwiegend in windschwachen Monaten – ab dem Spätnachmittag für wenige Stunden abstellt. Beim Rotmilan hilft diese Regelung sehr, denn die Vögel schlafen ja nachts und kommen erst nachmittags in der Nähe des Schlafplatzes zusammen. Sie werden meist erst ein bis zwei Stunden vor dem Einfall in das Gehölz überhaupt aktiv. Ich würde mir von Naturschutzverbünden wünschen, dass solche und ähnliche Regelungen mitgetragen werden. (Moderation: Tilman Weber und Nicole Weinhold)