Kommt der Speicherzubau rechtzeitig?
Clemens Triebel: Ich wünsche und hoffe, dass er rechtzeitig kommt. Dafür müssen wir aber erst mal eine Sensibilität dafür entwickeln, dass er überhaupt kommen soll. Bisher haben wir europaweit zehn Prozent Erneuerbare im Netz. Bei dieser Größenordnung sind die Probleme noch nicht so spürbar, dass die politischen Entscheider den Druck hätten, das Thema Speicher ernst zu nehmen. Das wird sich ändern, wenn 30 Prozent Erneuerbare im Netz sind.
Dabei steht die Frage im Raum, ob wir die jetzigen Must-Run-Kapazitäten, also die rotierenden Massen in den Netzen, durch Batterien ersetzen. Das wäre die volkswirtschaftlich sinnvolle Lösung, aber diese Diskussion steht noch aus. Zum Glück sind sich aber alle Fachleute einig, dass wir auf alle Fälle schnell reagierende Systeme im Netz brauchen, wenn der Anteil der Erneuerbaren steigt. Mit einem Gigawatt installierter Batterieleistung können wir in Deutschland zehn Gigawatt Must-Run-Kapazität ersetzen. Davon haben wir im Moment in Deutschland 20 bis 25 Gigawatt. Wir kommen aber bald an den Punkt, dass diese Kraftwerke mit einer bestimmten Leistung weiterlaufen müssen, obwohl wir die Energie nicht brauchen. Das ist der entscheidende Punkt, an dem Speicher in großem Stil eingesetzt werden können. Ein enormes Potenzial steckt auch in der Integration von Speichern in ein Smart Grid. Dazu müssten sich alle Hausspeicher, die derzeit nur den Eigenstromanteil erhöhen, gegenüber dem Netz intelligent verhalten.
Kann man überhaupt zu diesem Zeitpunkt sagen, ob der Speicherausbau sinnvoll ist?
Volker Quaschning: Man muss sich überlegen, welches System wir wollen. Die Bundesregierung setzt weiter auf die zentrale Stromerzeugung mit fossilen Brennstoffen. Wenn sie das durchzieht, brauchen wir garantiert keine Speicher, dann brauchen wir Leitungen. Wir sehen auch an den Plänen der Bundesregierung, dass sie die Speicher gar nicht auf dem Schirm hat. Schnell regelbare Kraftwerke werden derzeit ja sogar noch stillgelegt. Alles zielt auf die Leitungen ab und damit nicht auf die wichtigen Bausteine für die erneuerbaren Energien. Eigentlich muss man aber die Energiewende von hinten her denken. Wir müssen uns überlegen, welche Elemente wir benötigen, wenn wir 100 Prozent erneuerbare Energien erreichen wollen. Alles andere, was wir auf diesem Weg bauen und am Ende gar nicht brauchen, wie Teile des Leitungsausbaus, sind Fehlinvestitionen. Eigentlich bräuchten wir zehn Gigawatt pro Jahr an neuen Photovoltaikanlagen, um die Klimaschutzziele in Deutschland zu erreichen. Setzen wir das um, kommen wir aber in vier bis fünf Jahren an einen Punkt, an dem wir tagsüber Überschüsse produzieren. Dann werden die Speicher interessant. Aus unserer Sicht brauchen wir die Speicher wesentlich schneller als die Leitungen. Da tut sich vonseiten der Bundesregierung relativ wenig.
Ist der heutige Speicher nicht auch eine Übergangslösung?
Quaschning: Es kommt darauf an, in welchem Tempo man die Energiewende möchte. Wenn man den Klimaschutz wirklich ernst meint, dann muss 2040 die Energiewende abgeschlossen sein. Wir müssen deshalb jetzt darüber nachdenken, welche Technologien uns in den nächsten 20 Jahren zur Verfügung stehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass in diesen 20 Jahren jemand etwas Revolutionäres erfindet, ist relativ gering. Wir müssen also auf bestehenden Technologien aufbauen. Wir wissen auch, dass wir in Deutschland 70 bis 80 Prozent Photovoltaik und Windenergie haben werden. Wir können also von extremen Schwankungen im Stromsystem ausgehen. Um das auszugleichen, haben wir zwei Möglichkeiten. Wir können Reservekraftwerke zubauen. Dann müssen wir aber die ganzen Überschüsse wegwerfen oder verheizen. Die andere Option ist, Speicher zu bauen. Wahrscheinlich wird es eine Kombination aus beidem sein. Die Speicher spielen aber eine ganz entscheidende Rolle.
Triebel: Es wird keinen Homunkulus im Keller geben, wo wir etwas zusammenschütten und plötzlich haben wir eine Energiedichte, mit der wir mit dem Auto mit einer Füllung nach Palermo fahren können. Bei den Lithiumspeichern werden wir wie bei allen anderen technologischen Entwicklungen jährliche Effizienzsteigerungen von 1,5 bis zwei Prozent sehen. Die Kostensenkung wird mehr als zwei Prozent pro Jahr betragen. Ich gehe davon aus, dass die Batterien, die heute gebaut werden, wie jede Technologie irgendwann überholt sind. Natürlich hoffe ich auch, dass wir in 20 Jahren eine um 40 Prozent bessere Batterie haben, wenn wir bei zwei Prozent Effizienzsteigerung pro Jahr bleiben. Aber wir haben jetzt schon riesige Fortschritte gemacht. Ich bin da guter Dinge, dass wir technologisch eine steile Lernkurve fahren. Meine große Sorge ist, in welchem Maße die Batterien zum Einsatz kommen.
Es gibt verschiedene Speichertechnologien, die auf dem Markt miteinander konkurrieren. Brauchen wir alle diese Speichertechnologien?
Triebel: Ja. Die Diskussion, die wir schon vor 30 Jahre hatten, ob Windstrom besser ist als Sonnenstrom, weil er billiger ist, hat sich zum Glück aufgelöst. Jetzt fangen wir bei den Speichern wieder an. Ist Vanadium-Redoxflow besser als Natrium-Schwefel oder Lithium? Oder ist ein Wärmespeicher schlechter oder besser? Wir brauchen jede Art von Speicherung, die wir irgendwie generieren können. Jetzt schon darüber zu reden, welcher Speicher der beste sei, ist völlig absurd.
Oder besser: Welcher der günstigste ist.
Triebel: Das macht der Markt. Aber auf jeden Fall würde ich heute nicht anfangen, Winner-Picking zu machen. Alle Technologien haben ihre Vorteile und ihre Berechtigung. Natürlich ist Vanadium-Redoxflow heute noch teurer. Die Technologie kann schnell billiger werden. Natrium-Schwefel nimmt man, um möglichst viel Energie zu speichern. Lithium hat hingegen das Potenzial, geforderte Leistung zu bedienen. Die Zukunft ist ein Hybridkraftwerk zwischen Energie und Leistung. Deshalb brauchen wir alle Systeme.
Herr Quaschning, Sie denken darüber nach, überschüssigen Strom in Wärme zu speichern. Warum?
Quaschning: Speicher übernehmen verschiedene Aufgaben. Zunächst brauchen wir die Technologien, die Regelenergie zur Verfügung stellen, um die Must-Run-Units zu ersetzen. Das können thermische Speicher nicht. Wir werden aber auch große Überschüsse produzieren, die wir irgendwie wegbekommen müssen. Da kommt der Wärmespeicher ins Spiel. Denn wenn die Überschussenergie quasi kostenlos ist, wird man diese natürlich eher verheizen, als Kraftwerke abzuregeln. Schließlich gibt es noch Deckungslücken im Winter, wenn wenig Wind und wenig Sonne da ist. Dafür benötigen wir auch eine Lösung. Da hilft der Wärmespeicher auch nicht weiter. Hier kommen wieder Batterien oder Reservekraftwerke ins Spiel. Insofern würde ich unterstreichen: Wir brauchen im Prinzip alle Technologien. Ich werde immer angegriffen, weil ich ein Verfechter der Wärmespeicher bin. Ich denke da langfristig. Natürlich ist es heute besser, den Photovoltaikstrom meinem Nachbarn zu liefern, der keine Solaranlage auf dem Dach hat, statt ihn im Keller zu verheizen. Aber wenn einmal alle Häuser in einer Siedlung eine Photovoltaikanlage haben, sieht das schon ganz anders aus. Gerade im Sommer, wenn wir enorme Überschüsse produzieren, müssen wir uns langfristig auch Gedanken machen, wohin mit dem Strom. Wenn die Regierung zur Vernunft kommt und den Klimawandel ernst nimmt und vernünftige Ausbauraten für die Solar- und Windenergie anvisiert, brauchen wir sehr schnell die Wärmenutzung und sehr schnell die Speicher. Wenn es bei dem Zubaukorridor bleibt, den die Bundesregierung mit den 2,5 Gigawatt angedacht hat, dann können wir uns noch viele Jahre Zeit lassen.
Speicher agieren derzeit noch am Rande der Wirtschaftlichkeit. Das wird sich zwar in Zukunft ändern, wenn die Preise tatsächlich sinken, aber bis es so weit ist, brauchen wir neue Geschäftsmodelle. Wie könnten die aussehen?
Quaschning: Wir hätten da schon ein Geschäftsmodell: den Eigenverbrauch. In erster Linie wird der Strom selbst verbraucht, um den Netzbezug einzusparen. Die Einspeisevergütung ist inzwischen von untergeordneter Bedeutung. In drei bis vier Jahren wird es weniger für die Einspeisung ins Netz geben, als ich beim Verheizen von Solarstrom an Brennstoffkosten einsparen kann, wenn ich eine Ölheizung habe. Dann wird man einfach sagen, ich verheize den Strom lieber, als mir teures Öl oder Gas zu kaufen. Schließlich kommt der Speicher noch dazu. Wenn ich 27 Cent pro Kilowattstunde beim Netzbezug durch die Stromspeicherung einspare, aber auf der anderen Seite nur 13 Cent pro Kilowattstunde Einspeisevergütung bekommen würde, ergibt das ein Geschäftsmodell. Und das wird mit steigenden Strompreisen und sinkenden Einspeisevergütungen immer attraktiver.
Triebel: Wir haben eine ganze Menge Lücken, die wir mit Speichern schließen können. Mit dem europaweit ersten kommerziellen Batteriepark in Schwerin machen wir reine Primärfrequenzregelung. Dabei müssen wir innerhalb von 30 Sekunden für 15 Minuten eine gewisse Leistung bereitstellen. Die wird wöchentlich ausgeschrieben. Allerdings brauchen wir nicht 30 Sekunden, sondern maximal 300 Millisekunden. Mit thermischen Kraftwerken ging das bisher nicht. Deshalb wurde es auch nicht ausgeschrieben. Jetzt aber geht es. Insofern wäre es sinnvoll und fair, wenn es einen anderen Tarif für eine obendrein wesentlich präzisere Reaktion innerhalb der Sekunde geben würde. Das ist eine spannende Diskussion. Aber trotz der Marktverzerrungen geht es auch so: Schon mit dem bestehenden Primärregelrahmen hat die Wemag ein Geschäftsmodell.
Die Regelenergievorgaben, die bis jetzt bestehen, sind ja nicht unbedingt auf die Speicher zugeschnitten.
Triebel: Neben der impliziten und expliziten Bevorzugung von fossilen Kraftwerken ist die Nichtvorhersagbarkeit der Preise das größte Problem der Primärregelung. Aber Speicher können ja durchaus mehr. Ich glaube, dass in den nächsten 20 Jahren zusätzlich zu der bestehenden Primärregelung eine ganze Menge zusätzliche Geschäftsmodelle dazukommen. Die Wemag hat jetzt schon ein zweites Modell: die Schwarzstartfähigkeit. Das sind die Diesel-Kapazitäten, die im Moment dafür bereitstehen, um das Netz der Stadt Schwerin bei einen Power-Cut wieder hochzufahren. Das geht jetzt mit der Batterie. Die freiwerdenden Kapazitäten haben einen monetären Gegenwert. Und es ist noch mehr absehbar: In London, wo wir im Rahmen des europaweit größten kommerziellen Speichertests einen Sechs-Megawatt-Speicher bauen, demonstrieren wir gerade, wie sich mehrere Geschäftsmodelle kombinieren lassen. Dort gibt es auf der einen Seite das Peak-Shaving. Dadurch sparen sie Ausgaben für Kabel, Trafos und so weiter, die für den Leitungsausbau nötig wären, weil im Winter die angeschlossenen Haushalte ihre elektrischen Heizungen anwerfen. Im Sommer dagegen wird nicht geheizt und der Speicher übernimmt die Primärfrequenzregelung. Die Briten wollen auch noch ein Arbitragegeschäft dazunehmen. Sie orientieren sich dabei an den aktuellen Strompreisen, um auch damit Geld zu verdienen. Solch eine Mischung mehrerer Geschäftsmodelle wird dafür sorgen, dass die Speicher sich noch schneller amortisieren.
Quaschning: Wenn wir die Energiewende mit Wind, Sonne und Speichern erfolgreich demonstrieren könnten, würden uns ja alle weltweit die Bude einrennen.
Ist Deutschland da überhaupt führend bei Speichern?
Quaschning: Unseren Vorsprung geben wir jetzt sukzessive auf. Und wenn die Ziele der Energiewende jetzt so aufgeweicht werden, sind wir in drei oder vier Jahren hintendran. Wir sehen das ja auch an Ausbauzielen in Ländern wie China. Dort erwarten wir dieses Jahr zwölf Gigawatt an neuen Photovoltaikanlagen, in Deutschland nur gut zwei. Und irgendwann werden wir – wie beim Mobiltelefon oder Fernseher – auch die Produkte für die Energiewende importieren. Für den Klimaschutz ist das nicht wichtig. Aber es geht doch auch um den Standort Deutschland. Ich meine, Braunkohlebagger werden wir im Jahr 2020 nicht exportieren. (Gelächter)
Wohl kaum.
Quaschning: Während die Photovoltaik an den EEG-Umlagekosten beteiligt wird, ist die Braunkohle davon befreit. Es geht um etwa 7.000 Arbeitsplätze in der Lausitz. Deshalb hat Brandenburg beschlossen, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag Braunkohle abzubauen. Das bringt dann 7.000 Wählerstimmen, die der SPD die Regierung sichern. Die SPD war schon immer eine Kohlepartei. Ich hatte mich schon gewundert, warum alle nach der Bundestagswahl gesagt haben, wenn jetzt die SPD kommt, wird alles besser. Wenn es RWE schlecht geht, geht es der Stadt Köln schlecht. Und die machen dann Druck auf die SPD. Da spielt es gar keine Rolle, was für die Energiewende in den nächsten 20 Jahren sinnvoll ist.
China hat diese Blockade nicht. Wenn wir Wind, Solarenergie und Speicher aufbauen, dann verdrängen wir schon aufgebaute Kapazitäten an Kohlekraftwerken. China hat ein Wirtschaftswachstum zwischen sieben und zehn Prozent. Damit steigt auch der Energiebedarf in dieser Größenordnung. Wenn die etwas Neues aufbauen, müssen die keine Verteilungskämpfe durchstehen. Geben wir RWE und Co doch eine Abwrackprämie von zwei bis drei Milliarden Euro und nehmen die alten, ineffizienten und klimaschädlichen Kohlemeiler vom Netz. Wir würden dann stärkere Schwankungen im Energiepreis sehen, weil die entsprechenden Überkapazitäten wegfallen. Wenn dann viel erneuerbarer Strom im Netz ist, wird der Strompreispreis niedrig sein, und wenn wenig da ist, wird der Preis ansteigen. Speicher und Reservekraftwerke können in den Markt, weil sie sich rechnen. So würde ein Innovationsschub ausgelöst.
Triebel: Der politische Innovationsdruck hängt damit zusammen, welche Ziele man sich setzt. Der Kohleweg ist keine Herausforderung. Die Chance steckt darin, dass wir unsere Atomkraftwerke abschalten, um die Erneuerbaren in Deutschland voranzutreiben. Die Herausforderung besteht genau in der Frage, wie ich meine Netze manage und wie viele Netzkapazitäten ich brauche gegenüber dem jetzigen System.
Das Expertengespräch von Sven Ullrich und Nicole Weinhold erschien ursprünglich im gedruckten Solar Investor's Guide als Beilage in ERNEUERBARE ENERGIEN 6/2014. Lust auf ein kostenloses Probeabo?