Es war von unten, vorne, hinten und allen Seiten, auch von innen zu besichtigen. Aber das eigentlich Einzigartige an diesem Schiff erschließt sich erst beim Blick von oben. Dann nämlich sieht man die rund 38.000 Solarzellen, die für seine Fortbewegung verantwortlich sind: Bei der „Türanor Planet Solar“ handelt es sich um einen mit der Energie der Sonne angetriebenen Katamaran – das nach Angaben seiner Initiatoren weltgrößte Solarboot. „Atemberaubend“, „imposant“, „so sieht die Zukunft aus“, lauteten nur einige Kommentare aus dem Kreis derer, die kürzlich in Kiel die Taufe und den Stapellauf der „Türanor Planet Solar“ miterlebten.
„Wir wollen mit diesem Projekt den erneuerbaren Energien einen Impuls geben. Wir wollen zeigen, dass die Erneuerbaren nützlich sind, und dass sie Großes leisten können“, erklärte der Schiffseigner und Auftraggeber Immo Ströher. Das Projekt, von dem er sprach, ist nicht das 12,5 Millionen teure Schiff allein. „Weltumrundung nur mit der Kraft der Sonne“ lautet das Ziel, dem sich unter dem Titel „Planet Solar“ neben dem Unternehmer Ströher (Immosolar GmbH) weitere Idealisten verschrieben haben. Da ist der Schweizer Raphaël Domjan, von Beruf unter anderem Pilot, der sich selbst auch als Abenteurer bezeichnet und die Idee ausgebrütet hat. Und da ist Gérard d‘Aboville, der im Jahr 1980 mit der ersten Überquerung des Atlantiks in einem Ruderboot Geschichte schrieb und seitdem mit weiteren abenteuerlichen Seereisen, als Autor und Fischereiexperte auf sich aufmerksam machte. Neben Domjan wird er auf der Brücke stehen, wenn der Katamaran im kommenden Jahr zu seiner Weltreise aufbricht.
Der Ministerpräsident ist beeindruckt
Das Zweirumpfboot ist eine Innovation, „ein technisches Meisterwerk“, wie der sichtlich beeindruckte schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen es formulierte. Als „zukunftsweisendes Pilotprojekt zur effizienten Nutzung der Solarenergie in der Schifffahrt“ bezeichnen es seine Initiatoren. Bei der solaren Schifffahrt gehe es darum, eine ganze Reihe von Aufgaben gleichzeitig zu lösen. Und zwar nicht nur die naheliegendste, die Umwandlung von Sonnenlicht in elektrische Energie. Es galt, ein Schiff zu bauen mit wenig Gewicht und geringer Reibung, mit einer effizienten Antriebstechnik und verlässlichen Energiespeichern. „Die Speichertechnik, das ist hier die Schlüsseltechnologie“, erklärte Steffen Müller, Geschäftsführer der bauausführenden Kieler Werft Knierim Yachtbau.
68.000 Arbeitsstunden stecken in dem rund 31 Meter langen Wasserfahrzeug. Allein über 20 Tonnen Kohlefasern, 23 Tonnen Harz und Härter und 11,5 Tonnen Schaumkern wurden verarbeitet. Rumpf und Schwimmer entstanden bei Knierim am Nord-Ostsee-Kanal. Ende August letzten Jahres begann dann die Endfertigung auf dem Gelände der Hohwaldtswerke Deutsche Werft (HDW). Die eigentliche Taufe in der HDW-Halle 11 vor großen Publikum verlief unspektakulär: Keine Sekt- oder Champagnerflasche wurde am empfindlichen Schiffsrumpf zerschlagen; vielmehr stieg die älteste Enkelin Immo Ströhers auf einen der Schwimmer und ließ die in einem Rahmen befestigte Flasche einfach fallen. Ein paar Spritzer, der Taufspruch der Taufpatin und ihr Wunsch nach „allzeit Wasser unter den Schwimmern“ – dann endlich bekam die „Türanor Planet Solar“ erstmals Berührung mit ihrem eigentlichen Element.
„Stapelhub“ statt Stapellauf
Dabei handelte es sich nicht wirklich um einen Stapellauf, sondern vielmehr um einen „Stapelhub“. Denn der Katamaran wurde von einem der gewaltigen HDW-Kräne durch das Hallendach ins Wasser
gehievt. Wie ein Riesenspielzeug schwebte er in mehr als 30 Metern Höhe, bevor er butterweich, nur mit einem leichten Schwappen, auf der Kieler Förde aufsetzte. Mit Spannung blicken nicht nur Eigner und Skipper jetzt auf die seit Mitte April laufende Praxiserprobung. Auch für die beteiligten Unternehmen sind sie von großer Bedeutung. „Solarenergie auf Schiffen, das ist ein Thema der Zukunft“, ist Knierim-Geschäftsführer Steffen Müller überzeugt und verspricht sich durch den Bau des Katamarans einen Vorsprung auf diesem Markt für sein bisher auf den individuellen Yachtbau spezialisiertes Unternehmen.
HDW hat, neben dem Standort für die Endfertigung, die Erfahrung bei der schiffstechnischen Integration von Energiespeichern beigesteuert. Konstrukteur ist der Neuseeländer Craig Loomes (Lomocean Design), die Lithium-Ionen-Batterien stammen aus den GAIA Akkumulatorenwerken in Thüringen, die Solarmodule von der Solon AG. Beteiligt waren den Angaben zufolge außerdem das Schweizer Ingenieurbüro Drivetek AG (Antriebstechnik) sowie die Air Fertigung-Technologie GmbH amp; Co. KG in Rostock.
Als Botschafter für die erneuerbaren Energien wird die „Türanor Planet Solar“ nach der Testphase voraussichtlich im April nächsten Jahres ihren rund 50.000 Kilometer langen Weg um die Welt antreten (siehe Karte). Eine große Herausforderung werde es dabei sein, mit der zur Verfügung stehenden Kraft der Sonne klug zu „haushalten“, hieß es. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 7,5 Knoten könne das Schiff bis zu drei Tagen aus der Kraft seiner eigenen Energiespeicher versorgt werden, haben die Ingenieure berechnet.
In 160 Tagen um die Welt
Eingeplant für die Tour durch den Atlantik, den Panamakanal, den pazifischen und indischen Ozean, den Suezkanal und das Mittelmehr sind rund 160 Tage. Anlegestationen sollen New York, San Francisco, Singapur und Dubai sein, wo eine Wanderausstellung in Form eines Dorfes Informationen über erneuerbare Energien bietet. Das „Planet-Solar-Dorf“ wurde im September 2009 in Yverdon-les-Bains in der Schweiz eröffnet und wird in Deutschland Anfang Mai zu besuchen sein, wenn der Solarkatamaran beim Hamburger Hafengeburtstag zwischen dem 7. und 9. Mai erstmals einer großen Öffentlichkeit präsentiert wird.
Nach der Weltumrundung mittels Solarenergie soll nach dem Willen ihres Besitzers dann ein Nutzungskonzept für die „Türanor Planet Solar“ entwickelt werden, zum Beispiel als Veranstaltungsort für Fortbildungen und Konferenzen. Immo Ströher: „Ich will zeigen, dass es möglich ist, mit diesen zukunftsweisenden Technologien langfristig unternehmerisch Geld zu verdienen.“
Heike Wells