Worin liegen die Herausforderungen für den künftigen PV-Ausbau in Deutschland aus Netzsicht?
Soll langfristig mehr als ein Viertel des Stromverbrauchs in Deutschland durch Solarstrom gedeckt werden, muss die derzeit installierte PV-Leistung mindestens um das Sechsfache auf über 200 Gigawatt erhöht werden. An sonnigen Tagen würde dadurch mittags mehr Solarstrom erzeugt, als wir zeitgleich Strom in Deutschland verbrauchen. Damit der erforderliche PV-Zubau nicht durch die Grenzen der Netzaufnahmefähigkeit beschränkt wird, gilt es künftig, überschüssigen Solarstrom möglichst dezentral zu speichern.
Wie lassen sich dezentrale Speicher mit PV-Anlagen verknüpfen?
Bisher kommen Speicher in Kombination mit PV-Systemen überwiegend zur Eigenstromversorgung von Haushalten zum Einsatz. Vorrangiges Ziel dieser PV-Speichersysteme im Hausbereich ist die Reduzierung des Strombezugs aus dem Netz. Dafür wird der Batteriespeicher geladen, sobald auf dem Dach mehr Strom erzeugt als zeitgleich im Haus ver-braucht wird. Nach Sonnenuntergang wird der zwischengespeicherte Solarstrom zur Versorgung im Haus genutzt.
Können solche Batteriespeicher zur Eigenverbrauchssteigerung auch einen Beitrag zur Netzintegration der Photovoltaik leisten?
Entscheidend ist, wann der Speicher im Tagesverlauf mit Solarstrom geladen wird. Wird der Speicher am Morgen frühestmöglich geladen, kann es an ertragsstarken Tagen dazu kommen, dass der Speicher bereits am Vormittag voll ist und anschließend die gesamten Überschüsse in das Netz eingespeist werden. Dadurch können rein eigenverbrauchsoptimierte Speicher die solare Mittagsspitze nicht kappen.
Wie kann das Problem gelöst werden?
Letztendlich kommt es darauf an, dass die Batteriespeicher zu Zeiten hoher Solarstromerzeugung geladen werden. Das heißt, nur ein Teil der zur Verfügung stehenden Überschüsse wird am Morgen geladen, sodass zur Mittagszeit noch ausreichend Speicherkapazität zur Begrenzung der Netzeinspeiseleistung zur Verfügung steht. Damit der Speicher auch voll wird, wenn am Nachmittag Wolken aufziehen, muss im Voraus ermittelt werden, wann der Speicher im Tagesverlauf geladen werden soll. Dies kann durch Optimierungsalgorithmen unter Berücksichtigung von Stromverbrauchs- und PV-Erzeugungsprognosen berechnet werden.
Was passiert, wenn der tatsächliche Verlauf des Stromverbrauchs und der Solarstromerzeugung von den Prognosen abweicht?
Grundsätzlich lässt sich sowohl die Leistungsabgabe einer PV-Anlage als auch der Stromverbrauch eines Haushalts im Tagesverlauf nie exakt vorhersagen. Daher kommt es darauf an, Prognosefehler durch geeignete Betriebsstrategien auszugleichen. Genau das ist Thema unserer Forschungen an der HTW Berlin.
Sind heute schon Anreize vorhanden, damit solche Betriebsstrategien zum Einsatz kommen?
Die Einführung des Marktanreizprogramms für dezentrale PV-Batteriespeicher der KfW mit der geforderten Begrenzung der Netzeinspeiseleistung auf 60 Prozent der installierten PV-Modulleistung ist bereits ein Schritt in die richtige Richtung. Damit auch nicht über die KfW finanzierte Speicher einen Beitrag zur Reduzierung der PV-Einspeisespitzen leisten, könnten alternativ zu den Tilgungszuschüssen des KfW-Programms Investitionszuschüsse gewährt werden. Die Investitionszuschüsse könnte man wiederum an die Bereitschaft zur Reduzierung der Einspeiseleistung koppeln: Je geringer die maximal zulässige Einspeiseleistung im Verhältnis zur installierten PV-Modulleistung gewählt wird, desto höher ist der Investitionszuschuss. Die Investitionszuschüsse sind aber nur übergangsweise eine Lösung. Langfristig brauchen wir flexible und wetterabhängige Stromtarife für den Netzbezug und die Netzeinspeisung.
Wie müssen sich die regulatorischen Rahmenbedingungen ändern?
Soll ein netzoptimierter Betrieb der PV-Speicher nicht durch Anreize, sondern durch Regulierungen erzielt werden, wäre die verpflichtende Begrenzung der Netzeinspeisung von PV-Speichersystemen durch das EEG eine Option. Bei typischen Speichergrößen im Hausbereich ist eine Begrenzung der Netzeinspeisung auf 50 oder 40 Prozent der Modulleistung bei vertretbaren Abregelungsverlusten möglich. Eine möglichst geringe Einspeiseleistung ist dabei von Vorteil, da sich langfristig umso mehr PV-Systeme in das Netz integrieren lassen, je geringer die in das Netz eingespeiste PV-Leistung ausfällt.
Wie könnte das EEG weiterentwickelt werden?
Was wir grundsätzlich brauchen, ist ein Zielkorridor im EEG, der sich nicht auf die installierte Gleichstrom-Nennleistung der PV-Module bezieht, sondern auf die maximale in das Netz eingespeiste Wechselstromleistung. Ein erster Schritt wäre, als Referenzgröße statt wie bisher die PV-Modulleistung künftig die PV-Wechselrichterleistung anzusetzen. Schließlich ist bei den anderen erneuerbaren Technologien auch die wechselstromseitige Nennleistung sowohl für die Vergütungssätze als auch für den EEG-Zielkorridor relevant. Wieso sollte dies nicht für die Photovoltaik gelten?
Welche Vorteile würden sich für die PV durch die Umstellung vom DC- zum AC-Zubaukorridor ergeben?
Bei neuen PV-Systemen fällt aus Kostengründen die Nennleistung der Wechselrichter in der Regel geringer aus als die installierte PV-Modulleistung. Bei gleichem Zubaukorridor könnte daher durch die Umstellung ein höherer PV-Modulzubau realisiert werden. Beim derzeitigen wenig ambitionierten Zielkorridor im EEG von 2,5 Gigawatt pro Jahr könnten PV-Systeme mit einer Modulleistung von rund 3,5 GW errichtet werden, wenn die installierte Wechselrichterleistung durchschnittlich 70 Prozent der Nennleistung der Module entspricht.
Führen die Änderungen der neuen EEG-Novelle in die richtige Richtung?
Ganz im Gegenteil. Die Bundesregierung plant eine zusätzliche Abgabe auf selbst verbrauchten Strom für Anlagen größer als zehn Kilowatt. Da Batteriespeicher zur Eigenstromversorgung den Eigenverbrauch vor Ort erhöhen, wird deren Wirtschaftlichkeit durch die geplante Eigenverbrauchsumlage negativ beeinträchtigt. Dadurch macht die EEG-Umlage auf den Eigenverbrauch das zunichte, was mit dem Markteinführungsprogramm eigentlich verbessert werden sollte: die Rentabilität der Speicher. Eine völlig paradoxe Situation. Grundsätzlich muss sich der Gesetzgeber bewusst werden, dass die Zukunft von zunehmender Dezentralität und Eigenversorgung geprägt sein wird. Dieser Entwicklung entgegenzuwirken heißt, an alten Strukturen festzuhalten. Es sieht danach aus, dass der PV- und Speicherausbau aufs Abstellgleis gelenkt werden soll.
Mit Blick Richtung Vollversorgung mit erneuerbaren Energien stellt sich die Frage nach dem sinnvollen Verhältnis zwischen PV-Zubau und Speicherausbau. Sollten künftig nicht nutzbare Überschüsse in Kauf genommen werden oder sollte jede Erzeugungsspitze zwischengespeichert werden?
Mit zunehmender PV-Durchdringung werden langfristig Überschüsse auftreten, die entweder im Strom-, Wärme- oder Verkehrsbereich genutzt werden können. Sollten dann immer noch Überschüsse anfallen, die weder zwischengespeichert noch ins Ausland exportieren werden können, besteht die Option der Abregelung von Solarstromüberschüssen. Grundsätzlich ist es wenig sinnvoll, sowohl die Speicher als auch die Netze für die höchste PV-Erzeugungsspitze im Jahr auszulegen. Rein ökonomisch betrachtet kann es daher vorteilhaft sein, Abregelungsverluste in Kauf zu nehmen, statt diese durch größere Speicherkapazitäten zu vermeiden. Es wird also darauf hinauslaufen, dass bei einer installierten PV-Leistung von 200 Gigawatt und mehr in Deutschland nicht jede erzeugte Kilowattstunde Solarstrom zu jeder Zeit in das Netz einspeist werden kann. Hierzu brauchen wir allerdings in Deutschland einen Zubau an neuen PV-Anlagen von mindestens zehn Gigawatt pro Jahr, um bei einer Nutzungsdauer der Anlagen von 20 Jahren überhaupt in diese Größenordnung zu gelangen.
Das Interview von Nicole Weinhold erschien ursprünglich im gedruckten Solar Investor's Guide als Beilage in ERNEUERBARE ENERGIEN 6/2014. Lust auf ein kostenloses Probeabo?